Geflüchtete auf Arbeitssuche: Der boomende Job-Markt hilft

Seit einem Jahr haben Deutsche und EU-Bürger im Norden nicht mehr Vorrang bei der Job-Vergabe. Hohe Nachfrage verführt viele, einen Hilfsjob einer Lehre vorzuziehen.

Fachkräfte werden gesucht: Handwerkliche Betriebe können seit einem Jahr einfacher Geflüchtete einstellen Foto: dpa

HAMBURG TAZ | Auf den ersten Blick ist es ein Erfolg: Ein Jahr ist es her, dass die sogenannte Vorrangprüfung im gesamten Norden ausgesetzt wurde. Die Arbeitsagenturen bevorzugen seitdem nicht mehr deutsche und EU-BürgerInnen bei der Arbeitsvermittlung, sondern behandeln Geflüchtete bei der Vermittlung eines Arbeitsplatzes als gleichwertig.

Damit erhoffte sich die Agentur eine höhere Anzahl von Geflüchteten in festen Jobs. Tatsächlich sind seit dieser Entscheidung die Zahlen steigend – ob das allerdings mit dem Aussetzen der Vorrangprüfung zu tun hat, da gehen die Meinungen auseinander.

In Niedersachsen haben allein in der ersten Jahreshälfte 2017 rund 4.300 Geflüchtete einen Job gefunden, 400 haben in den letzten zwölf Monaten eine Lehre angefangen. „Durch die Neuregelung konnten mehr Flüchtlinge eine Arbeit aufnehmen, die sonst zur Untätigkeit verdammt gewesen wären“, sagt Bundesarbeitsministerin An­drea Nahles (SPD).

Laut Sonja Kazma von der Arbeitsagentur Niedersachsen und Bremen sorgt das Aussetzen der Vorrangprüfung nicht dafür, dass nun mehr Geflüchtete einen Job haben. Es sei lediglich eine Erleichterung für die Angestellten der Agentur: „Dadurch hat sich für uns die Bürokratie vereinfacht.“

Im August 2016 wurde die Vorrangprüfung in 133 von insgesamt 156 Bezirken der Bundesagentur für Arbeit für drei Jahre gekippt.

Seitdem müssen Firmen nicht mehr nachweisen, dass sie keinen Deutschen finden, wenn sie eine Stelle an einen Geflüchteten vergeben wollen.

Ob Geflüchtete überhaupt arbeiten dürfen, hängt von ihrem Aufenthaltsstatus ab: Anerkannte Geflüchtete haben freien Zugang zum Arbeitsmarkt, Asylsuchenden und Geduldeten kann die Ausländerbehörde eine Erlaubnis versagen.

In Niedersachsen haben in den vergangenen zwölf Monaten 4.300 arbeitslose Geflüchtete eine Arbeit gefunden. Damit hat sich die Zahl im Vergleich zum Jahr davor beinahe verdoppelt.

Tatsächlich habe die Vorrangprüfung in Bremen und Niedersachsen schon vor dem Aussetzen wenig Einfluss auf die Beschäftigtenzahlen von Geflüchteten gehabt. „Die Konjunktur war und ist gut. Die Unternehmen haben Druck, Arbeiter zu finden“, sagt Kazma. Da war die neue Gruppe von Arbeitssuchenden sowieso schon willkommen.

Sabine Meyer von der Handwerkskammer Niedersachsen zieht hingegen ein positives Fazit. „Der Wegfall der Vorrangprüfung hat viel gebracht, es war ein schlimmes Hindernis für uns“, sagt sie. Sie habe Fälle betreut, in denen die BewerberInnen perfekt auf die Stellen gepasst hätten, aber die Vorrangprüfung dazu führte, dass die Geflüchteten die Stelle nicht bekamen. Das war Meyer zufolge vor allem bei regulären Arbeitsstellen ein Problem. Ausbildungsplätze seien einfacher zu vermitteln.

Allerdings fällt es der Arbeitsagentur schwer, Geflüchtete für eine Ausbildung zu gewinnen: „Sie wollen gerne direkt mehr verdienen, als sie bei einer dreijährigen Ausbildung bekommen würden“, sagt Kazma. Das laufe daraus hinaus, dass sie eher Hilfsjobs annehmen. Da sei die Nachfrage aber bald ausgeschöpft – Fachkräfte sind dagegen weiterhin dringend gesucht.

Im Handwerk sind schon heute viele Geflüchtete beschäftigt, erzählt Meyer. Ob im Metallbau, KFZ-Bereich oder als MalerIn: Betriebe griffen auf Geflüchtete zurück, um den Mangel an Fachkräften zu bewältigen. „Viele handwerkliche Betriebe haben ihre Einstellungspolitik radikal geändert, um auf den Fachkräftemangel zu reagieren“, sagt Meyer. Den Betrieben sei klar geworden, dass auch sie attraktiver werden müssen.

Auch wenn die Zahlen zumeist positiv sind – aus Sicht der Arbeitsagenturen gibt es noch eine Menge zu tun: „Wir haben immer gesagt: Geflüchtete, die kommen, sind nicht die Fachkräfte von morgen, sondern von übermorgen“, sagt Kazma. Insbesondere das Erlernen der Sprache brauche seine Zeit, was schon wegen der Arbeitssicherheit wichtig sei. „Der Flaschenhals auf dem Weg zu einer Beschäftigung für Geflüchtete ist nicht die Vorrangprüfung, sondern eine gute Sprach- und Berufsqualifikation“, sagt Kazma.

Dem stimmt Meyer zu. Ein abgeschlossener Integrationskurs sei essenziell für die Integration. „In der Regel brauchen Geflüchtete 1.300 Unterrichtseinheiten, um eine Ausbildung antreten zu können“, erklärt sie. Die Kurse umfassen auch Sprachkurse und politische Bildung. Nicht hilfreich seien Abendkurse. Nach einem Arbeitstag sei man zu erschöpft, um aktiv an den Kursen teilzunehmen. „Wir plädieren deshalb dafür, alle Fördermaßnahmen und Kurse vor einem Jobeinstieg zu machen“, sagt Meyer.

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