Senior:innen mit Kündigung gedroht: Zensur in Kreuzberg?
Mieter:innen des Möckernkiezes solidarisierten sich mit dem Enteignungs-Volksbegehren. Die Genossenschaft drohte ihnen mit fristloser Kündigung.
Den Vorstand der Genossenschaft begeisterte dies aber nicht – er mahnte die Bewohner:innen der Wohnungen kurzerhand unter Androhung einer fristlosen Kündigung ab. Iris Veit von der „Alten-WG“, wie sie das Wohnprojekt nennt, bezeichnete dies gegenüber der taz als „politische Zensur“.
Die Genossenschaft sei vor mehr als 10 Jahren unter dem Motto „Anonyme Investoren oder wir!“ gegründet worden. Nun Bewohnenden fristlos zu kündigen, weil sie sich mit von Verdrängung bedrohten Mieter:innen solidarisieren, entspräche nicht den Gründungswerten der Genossenschaft, so Veit.
Das Abmahnungsschreiben, welches der taz vorliegt, ist vom Vorstandsmitglied Frank Nietzsche verfasst worden. Dieser erklärte schon 2019 öffentlich in Bezug auf den Mietendeckel, dass er diesen für “Unsinn, populistisch und langfristig schädlich“ halte. Zudem bedrohe er die Solvenz des Möckernkiezes. Nun verkündet er, die Banner würden eine „Gefährdung des Friedens in dem Haus“ darstellen.
Durch sie könne der Eindruck entstehen, dass es sich bei den zur Schau gestellten Auffassungen um die der gesamten Genossenschaft handle. Zudem würden die Bewohner:innen gegen diverse Hausordnungspunkte verstoßen. Sollten die Mieter:innen die Banner nicht abnehmen, droht Nietzsche, sich auch mit „gerichtlicher Hilfe“, „einstweiligen Rechtsschutz“ und fristlosen Kündigungen durchzusetzen.
Politische Kultur bedroht
Dies wollen die betroffenen Wohngemeinschaften nicht einfach hinnehmen. Sie riefen deshalb zu einer Kundgebung am Montagmittag auf, zu der etwa 100 Menschen erschienen: Viele Bewohner:innen des Möckernkiezes selbst, aber auch Aktivist:innen des Volksbegehrens.
Veit sagt, es gehe ihr um die „Verteidigung der politischen Kultur“: „Friedliches Zusammenleben entsteht nicht, wenn man den Mund hält.“ Zudem sei in der Genossenschaft 2020 ein Antrag einstimmig angenommen worden, nach welchem „politische Bekundungen an Balkonen und Fassaden unter das Recht der freien Meinungsäußerung“ fielen. Wenn andere mit bestimmten Meinungen nicht einverstanden seien, könnten sie ihren Unmut äußern, damit über Probleme geredet werden könne.
Die Bewohner:innen bezweifeln, dass eine fristlose Kündigung vor Gericht Bestand hätte. Da es sich beim Vermieter nicht um die Deutsche Wohnen selbst handle, sei der Vorwurf einer schweren Störung des Hausfriedens nicht haltbar, so Veit. Nichtsdestotrotz müsse man die Banner vorläufig abhängen, da eine mögliche fristlose Kündigung dennoch zunächst rechtskräftig wäre.
Um Punkt 12 Uhr – der vom Vorstand gesetzten Deadline – werden die Banner deshalb unter Pfiffen und Buhrufen der Kundgebungsteilnehmer:innen eingerollt. Sie werden von einem Hausprojekt in der Kreuzberger Oranienstraße in Empfang genommen. Einen Schriftzug wollen die Senior:innen allerdings für sich behalten, um abends damit durch den Kiez zu flanieren. Aufzugeben sei keine Option. Auf die Frage, wie man es mit der Enteignung halte, antwortet die Kundgebung deshalb kraftvoll: „Jetzt erst recht!“
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