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Senatsbroschüre zu Islam sorgt für WirbelLehrer wollen nicht keusch sein

Das Heft "Islam und Schule" will Lehrern helfen im Umgang mit muslimischen Schülern. Gewerkschaften und Migrantenvereine nennen die Senatsbroschüre rückständig.

Lernen mit Kopftuch sorgt für Diskussionen: darüber, wie Menschen islamischen Glaubens in der Schule integriert werden sollen. Bild: AP

Die vom Senat veröffentlichte Broschüre "Islam und Schule" stößt bei Lehrervertretern auf scharfe Kritik. "Die neue Broschüre ist eine schallende Ohrfeige für die Lehrkräfte", sagte Detleff Wulff, stellvertretender Landesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung Berlin. Auch Migrantenverbände distanzieren sich von der Publikation. Die Broschüre "Islam und Schule" wird seit zwei Wochen verteilt. Sie soll Lehrern helfen, religiös bedingte Probleme mit Schülern zu lösen.

Fünf Jahre hat die Planung der Broschüre gedauert - so lange stritten liberale und konservative Experten über den Tenor des Hefts. Die Islamkritikerinnen Seyran Ates und Necla Kelek zogen sich aus dem Arbeitskreis zurück, weil es unter anderem ein Interview mit dem konservativen Imam Farid Heider enthalten sollte. Am 16. September wurde "Islam und Schule" schließlich an Berliner Schulen verschickt. Erstauflage: 8.000 Stück.

Auf 24 Seiten finden sich in der Broschüre Hintergrundwissen zum Islam und Lösungsvorschläge zu "religiös erscheinenden Konflikten". So wird Lehrern beispielsweise geraten, Klassenarbeiten während des Fastenmonats Ramadan zu vermeiden und einen "gelassenen, selbstverständlichen und respektvollen Umgang mit dem Kopftuch" zu praktizieren. Rund 5.000 Berliner Schüler nehmen nach Angaben der Senatsverwaltung für Bildung am islamischen Religionsunterricht teil.

Eigentlich sollte "Islam und Schule" Lehrern den Dialog mit diesen Schülern erleichtern. Stattdessen hagelt es nun Kritik von Verbänden und Gewerkschaften: "Einige der angebotenen Lösungswege sind sehr fraglich", sagte Rose-Marie Seggelke, Landesvorsitzende der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW), der taz. Besonders negativ aufgefallen seien ihr die Vorschläge zum Schwimmunterricht. In der Broschüre heiß es dazu: "Wenn möglich sollte der Schwimm- und Sportunterricht geschlechtergetrennt abgehalten werden. Auch das Lehrpersonal sollte gleichgeschlechtlich sein." Zudem sollte während des Mädchensports möglichst kein männliches Lehrpersonal, Hausmeister oder Badeaufsicht die einsehbaren Räumlichkeiten betreten. "Das ist praktisch nicht umzusetzen", meint Seggelke. Auch die Empfehlung, im Sexualkundeunterricht auf schematische Darstellungen zu verzichten, finde sie "reichlich weltfremd".

Detlef Wulff vom Verband Bildung und Erziehung geht noch weiter. Die Forderung, im Sexualkundeunterricht künftig nur noch mit Skizzen zu arbeiten, bezeichnete er als "einen einzigen Rückschritt dessen, was die Erziehung zur Mündigkeit angeht". Und die AG schwuler Lehrer in der GEW Berlin kritisiert, dass das Thema Homosexualität in der Publikation weitestgehend ausgespart werde.

Insgesamt 22 Migrantenverbände, Schulen und Vereine sind im Impressum der Broschüre als Mitarbeiter aufgelistet - doch darauf angesprochen, gehen viele von ihnen auf Abstand. Man habe weder an der Endfassung mitgewirkt noch eine Kopie des Hefts erhalten, sagte Mehmet Alpbek, Projektleiter des Türkischen Bundes in Berlin-Brandenburg (TBB), der taz. Er stellt klar: "Wir sind eigentlich für einen gemeinsamen Schwimmunterricht." Ähnlich sieht es Turgut Hüner vom Türkischen Elternverein: "Die Schule muss ihren Auftrag erfüllen und darf nicht beeinträchtigt werden."

Auch andere frühere Mitarbeiter wollen mit dem Inhalt des Hefts nichts mehr zu tun haben. Der Verein Kumulus hatte zwei Mitglieder im Arbeitskreis gestellt: "Wir haben Beiträge dafür formuliert, doch das ist schon ein paar Jahre her. Wie die Broschüre zustande gekommen ist, wissen wir nicht", sagt Heidi Gellhardt, Projektleiterin bei dem Verein.

Papatya, eine Kriseneinrichtung für junge Migrantinnen, distanzierte sich sogar ausdrücklich von der Broschüre: "Wir möchten keine Verantwortung für den Inhalt übernehmen", sagt eine Mitarbeiterin, die anonym bleiben will. Obwohl der Verein sich seit Jahren nicht mehr an der Broschüre beteiligt habe, wird er im Impressum erwähnt. Grund für den Ausstieg seien Differenzen mit den anderen mitarbeitenden Vereinen und Verbänden gewesen: "Wenn Lehrer berichteten, dass Klassenfahrten oder Schwimmuntericht von muslimischen Eltern verboten wurden, taten viele dies als Einzelfälle ab."

Auch bei Papatya hat man die Broschüre noch nicht zu Gesicht bekommen. Die Forderung nach getrenntem Sportunterricht findet die Leiterin aber skandalös: "Es lebe der Bückling vor den Fundamentalisten."

Von solchen Bedenken will man bei der Senatsverwaltung nichts wissen. "Wir halten dieses Produkt für sehr gelungen", sagte Sprecher Frank Schulenberg. Die Broschüre werde "stark angenommen und als Bereicherung empfunden". Es seien bereits zahlreiche Anfragen eingegangen, auch weit über Berlin hinaus. Deshalb legt der Senat nach: Die zweite Auflage von 20.000 Stück sei bereits in Arbeit.

AUS DER BROSCHÜRE

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12 Kommentare

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  • M
    Muslimanka

    Jeder der sich über fehlende Klassenarbeiten im Monat Ramadan beklagt, soll auch nur einen Tag mitfasten. Im Juli, den ganzen Monat, weder essen noch trinken, bis zum Sonnenuntergang- und der ist bekanntlich in den Sommermonaten recht spät! Und was die Geschlechtertrennung im Sportunterricht betrifft...Ich wurde von meinem Vertretungssportlehrer tatsächlich "angebaggert"...Ein Einzelfall? Von wegen!

    So kann man sich wenigstens auf das Wesentliche konzentrieren...keine Hotpants-Bewertung und Po-Einordnung Im Sportunterricht, ist recht zeitsparend!

  • G
    Ghassan

    Ich finde die Aufregung um getrennten Sportunterricht schon etwas seltsam.

    Außer in der Grundschule war unser Sportunterricht immer geschlechtlich getrennt. Auf der Realschule und auch auf dem Gymnasium. Und das ist keine 10 Jahre her. In Baden-Württemberg vollkommen normal. Muslime hatten wir keine in der Klasse. An denen kann es also schwer gelegen haben.

  • O
    ossi

    ich fordere, dass grafinger bildungssenator wird!

  • A
    ab0032

    Ich bin beeindruckt, die Taz verläßt mal ihren sozialromantiker multikulti Kuschelkurs, wenn auch nur ganz zaghaft. Oder wird an dem Papier nur Kritik geäußert, weil die Migrantenvereine sie nicht gut finden? War doch von unserem linken Senat nur gut gemeint, oder? Ist das nicht das entscheidende? Wenn die linken auch mal was gut machen würden, wär's ja ne Sensation.

  • B
    Bernd

    Voellig laecherlich, diese Broschuere. Unfassbar wie hier noch und noecher politisch korrekt vor dem Islam gekuscht wird, obwohl diese Ideolgie hier demographisch noch nicht mal die 10% Huerde geknackt hat. Da diktiert eine weniger als 10% Minderheit den anderen 90+% knallhart was Sache ist. Da kann man sich echt nur noch an den Kopf fassen! Wann wird man in Deutschland endlich wieder normal frage ich mich?

  • IK
    ich komm aus bayern...

    bitte keine klassenarbeiten während der oktoberfest zeit.

  • CG
    Claire Grube

    Müsste es dann HausmeisterInnen oder Hausmeister_innen heissen? Was ist wenn unter den SchwimmmeisterInnen Lesben dabei sind? Egal, die Einzelheiten können ja noch zwischen Genderbeauftragten und Imamen geklärt werden.

  • N
    nicolaus

    Es keimt Hoffnung: Teile der Linken wachen hoffentlich endlich auf und erkennen, dass der politische Islam ihren eigenen Werten und Optionen diametral entgegengesetzt ist. Alles, was linke oder links-liberale Kultur ausmacht, ist dem Islam(ismus) im Grunde ein Dorn im Auge. Die Verbrüderung unter dem Spruchband "Gegen die USA" oder "Gegen Israel" ist eine gefährliche Täuschung. Dahinter steht ein knallhartes theokratisch-totalitäres Welt- und Menschenbild. Der Typ Mensch, der die bunte alternative Kultur in Deutschland ausmacht, sitzt im Iran im Knast - ganz einfach.

  • J
    Jürgen

    Wenn in der Broschüre tatsächlich solche Vorschläge gemacht werden, wie "der Schwimm- und Sportunterricht (sollte wenn möglich)geschlechtergetrennt abgehalten werden. Auch das Lehrpersonal sollte gleichgeschlechtlich sein.", oder dass während des Ramadan keine Klassenarbeiten geschrieben werden sollten, ist es tatsächlich ein Bückling vor Fundamentalisten. Hiermit greift die Religion (diesmal der Islam) massiv in das öffentliche Leben an den Schulen ein. Das kann nicht sein und wird zu massiven Problemen führen. der Senat hat, wenn die Broschüre voller solcher Vorschläge ist, einen kapitalen Bock geschossen. Die Broschüre sollte dann auf der Stelle eingestampft werden.

     

    PS: Ich besorge mir mal die Broschüre.

  • W
    willy

    Die Mutter der Dummheit ist ständig schwanger!

  • G
    grafinger

    Da der typische berliner taz Leser eher die "Schwaben" und "Bayern" als problematische Miganten "comunity" empfindet hat sich der grafinger zusammen mit anderen Südländern mal hingesetzt und eine (hoffentlich bald vom Berliner Senat vertriebene) Broschüre geschrieben.

     

    Aus dem Inhalt:

     

    Der Süden - wofängt er an und wo hört er auf?

     

    Badener-Schwaben und Franken-Bayern: Ethnische Konflikte die der Berliner nicht versteht.

     

    Süddeutsche Verbalinjurien und warum sie keine Beleidigungen i.S.d. StGB sind.

     

    Starkbierzeit, Wasn und Wiesn: Toleranter Umgang mit fremden rituellen Jahreszeiten.

     

    Integration mal anders: "Vastehst mi ned muast Boarisch leana, Aff, gselchter."

     

    Körperverletzung oder doch gelebtes Brauchtum: Die Wirtshausrauferei im ethnischen Kontext.

     

    FJS: Prophet, Mensch oder Scharlatan? (Mit einem Vorwort von Christine Schanderl)

     

    Deeskalation oder die Vermeidung der Thematik "Länderfinanzausgleich".

     

    u.v.m.

     

    Bis zum Erscheinen sei dem geneigten Leser das Buch "Tief in Bayern" von "R.W.B. Mc Cormack" empfohlen.

  • KK
    kurt krenn

    fein, wenn man im Fastenmonat keine Klassenarbeiten machen sollte, dann möchte ich als strenggläubiger Katholik das in der Fasten- und Adventszeit auch nicht.