Seltener Auftritt von Rainald Goetz: Abstrakte Texte und echte Menschen

Der Autor Rainald Goetz schenkt der „Zeitschrift für Ideengeschichte“ eine fulminante Blattkritik. Ein Ortstermin im Berliner Wissenschaftskolleg.

Der Schriftsteller Rainald Goetz hält an einem Lesepult während eines Vortrags ein Buch hoch

Texte unter Hochdruck: Rainald Goetz am Berliner Wissenschaftskolleg Foto: Maurice Weiss/Ostkreuz

BERLIN taz | Ein Raum, der von Rainald Goetz gelesen wird, ist nicht mehr derselbe. Einer, der von ihm bespielt wird, auch nicht. Man hatte es, weil der Schriftsteller sich zuletzt eher rar gemacht hat, etwas vergessen.

Jetzt aber. Wie von selbst fliegt an diesem Mittwoch im Berliner Wissenschaftskolleg der notierende Stift über die Seiten. „Zeitschrift ist soziale Energie“, schreibt man mit und „Freude an Autorschaft“, „Hochdruck des Schreibens“. Den Gedanken, dass man in der Hysterie des Schreibens sein müsse, um zu hören, was die Sprache von sich aus will, notiert man. Und dass man zum Verstehen anderer Menschen aber „den realen Kontakt mit realen Körpern braucht“.

Und schließlich noch, dass die „im Text gespeicherte Hysterie“ bei so einer Feierstunde zum Erscheinen einer neuen Ausgabe einer Kulturzeitschrift in die „Hysterie intersubjektiver Begegnungen“ übersetzt wird, wenn es glückt.

Der Schriftsteller Rainald Goetz hat im Berliner Wissenschaftskolleg also einen Vortrag über die neue Ausgabe der Zeitschrift für Ideengeschichte, zu der er auch einen (großartigen) Beitrag beigesteuert hat, gehalten. Wo war er die vergangenen Jahre? Von seinem Erkenntnisfuror hat er nichts verloren. Und die längst hinzugewonnene Freundlichkeit den Menschen und Dingen gegenüber steht ihm gut.

Und so gewährte das Zuhören an diesem Abend eine schnelle Abfolge von Mikro-Epiphanien – kurz aufglimmende Einblicke in die Dinge und Zusammenhänge, wie sie wirklich sind, in ihrer Kompliziertheit.

Aanlog ist besser

Durch den Straßenverkehr wird man sich nun, nachdem Rainald Goetz ihn beschrieben hat – ständige „Konfliktabwehr durch Koordination“ der Verkehrsteilnehmer, Konfrontation mit „von sich selbst überforderten Regulierungsbemühungen“ an der Ampel –, eine Zeit lang anders bewegen. Auch das Schreiben als sozialer Akt steht nach diesem Vortrag noch eine Weile irgendwie leuchtend da.

Nur dass man sich aber auch darüber wunderte, wie medienkulturell konservativ der Vortrag in seiner Analog-ist-besser-Grundierung ausfiel. Was noch nicht einmal nur daran lag, dass Rainald Goetz das Analoge – die reale Begegnung, das materielle Printprodukt – gegenüber dem Digitalen so vehement favorisierte. Es lag eher an dem Material, auf das er sich dabei bezog und das, mit Verlaub, in der FAZ-Welt der 90er Jahre steckenblieb.

Die real existierende Zeitungsseite als Kunstwerk feiern, schön und gut, aber lässt sich Henning Ritters „Geisteswissenschaften“-Seite, nur ein Beispiel, tatsächlich immer noch als gegenwärtiger Maßstab behaupten? Wenn schon FAZ, hätte man ja auch etwas zu den Versuchen sagen können, die ikonische „Bilder und Zeiten“-Beilage jetzt im Digitalen wiederauferstehen zu lassen. Vielleicht hat er, dachte man zwischendurch, zum gegenwärtigen Feuilleton insgesamt den Kontakt verloren – was natürlich, auch wenn man es bedauert, sein gutes Recht ist, es ist eben nur ein veränderter Rainald Goetz (was auch sein Recht ist).

Überzeugend euphorisiert

Doch eine schöne Feier der Kulturzeitschriften lieferte er unbedingt ab. Ausgaben der Zeitschrift für Ideengeschichte, von Sinn und Form, Merkur und Das Wetter hielt er hoch. Und siehe: Sie hatten allesamt nichts Verstaubtes an sich, weil Rainald Goetz die in ihnen gebündelte intellektuelle Energie so überzeugend euphorisierte.

An dieser Stelle erschien das Primat des Analogen auch einleuchtend: Das lief darauf hinaus, dass, wenn überzeugend Texte zueinanderfinden, Menschen zusammenkommen. Abstrakte Texte, echte Menschen, na ja, so war’s dann beim Smalltalk hinterher auch.

Schon toll: Nach diesem Auftritt wirkten die Intellektuellen-Zeitschriften geradezu glamourös. Das war das Geschenk des Schriftstellers Rainald Goetz an diesem Abend. Wenn man die Reaktionen von Florian Meinel und Carlos Spoerhase, der Herausgeber der aktuellen Zeitschrift für Ideengeschichte, und ihres Redakteurs Stephan Schlak richtig deutet, nahm man das Geschenk leicht überfordert, aber vor allem voller Dankbarkeit an. Zu Recht.

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