Selbststilisierung des Attentäters: "Dahinter steckt Männlichkeitsideologie"

An Anders Behring Breivik ist nichts typisch Norwegisches. Er sieht sich als heroischen Einzelnen, der die Welt retten wollte. Davon ist die Skandinavien-Expertin Stefanie von Schnurbein überzeugt.

"Typisch norwegisch ist daran sicherlich so gut wie nichts", sagt Stefanie von Schurbein über die Taten des Osloer Attentäters. Bild: dapd

taz: Frau von Schnurbein, Anders Behring Breivik hat viel Energie darauf verwendet, sich als einen weißen, kernigen Christen zu präsentieren. Inwiefern ist er damit typisch norwegisch?

Stefanie von Schnurbein: Zunächst einmal muss man aufpassen, dass man mit einer solchen Kategorisierung letztlich nicht ihm und der Szene, in der er sich bewegt, Recht gibt. Denn in erster Linie ist das eine Selbststilisierung, und gerade das Attribut christlich ist wohl eher vorgeschoben. Typisch norwegisch ist daran sicherlich so gut wie nichts, und ich würde mit solchen nationalen Stereotypisierungen auch sehr vorsichtig sein. Wenn an dem ganzen Geschehen etwas "typisch norwegisch" sein sollte, dann eher die bewundernswerte Reaktion des Ministerpräsidenten und großer Teile der Bevölkerung, die Hass nicht mit Hass vergelten wollen und sich zunächst zu ihrer offenen Gesellschaft bekennen.

Auf welchem Fundament steht denn eine solche Stilisierung?

Es steckt eine Männlichkeitsideologie dahinter, die den heroischen Einzelnen beschreibt als jemanden, der das Notwendige, Schreckliche, Gewalttätige tut, um nicht nur seine Idee, sondern letztlich die ganze Welt oder zumindest das gesamte Abendland zu retten. In dem Sinne ist das, was er als christlich bezeichnet, eher das, was er unter seiner eigenen Kultur versteht - natürlich ein Zerrbild.

In diesem Sinne dann auch der Kreuzritter …

Die Selbststilisierung als Kreuzritter ist zunächst sicher auf das Feindbild gerichtet, gegen das man "zu Felde zieht": den Islam bzw. die muslimische Welt. Wichtig daran scheint mir auch, dass dieses Bild des Kreuzritters nicht die Ideologie einer Kriegergemeinschaft ausruft. Anders Behring Breivik beruft sich zwar auf ein Erbe, eine Tradition, ein "Wir", er scheint aber davon überzeugt zu sein, dass nicht die Masse und nicht eine Gruppe, sondern nur Einzelne die Tat schließlich auch durchführen können.

50, ist Skandinavistin und Professorin für Neuere Skandinavische Literaturen am Nordeuropa-Institut der Humboldt-Universität in Berlin. Sie beschäftigt sich außerdem mit Ideologien des Nordens und des Nordischen sowie dem religiös motivierten Rechtsextremismus. Im Augenblick arbeitet sie an einem Buchprojekt über germanisches Neuheidentum im internationalen Kontext.

Wenn man sich norwegische Literatur, bildende Kunst oder die Musikszene anschaut, könnte man meinen, dass es eine besondere Lust am Grauen gibt, das sich gerne auch im rechtsradikalen Milieu Bahn bricht. Wie kommt das?

Zum einen ist das immer auch eine Sache der Wahrnehmung. Aber richtig ist, dass in der norwegischen Kultur immer wieder Gruppen auftreten, die sehr extrem mit der Lust am Tabubruch arbeiten. In Norwegen ist das aus zwei Gründen besonders effektiv. Zum einen stilisiert sich Norwegen gerne als Land des Guten und Reinen und Demokratischen und Ausgewogenen, im negativen Sinne auch Gleichmacherischen, und wird auch von außen ja häufig so gesehen. Entsprechend sind solche Tabubrüche besonders auffällig und damit effektiv. Zudem ist Norwegen schlicht ein sehr kleines Land. Wenn also etwas als Skandal inszeniert wird, dann ist das gleich auf Seite eins der großen Presse. In größeren Ländern mit diversifizierteren kulturellen Nischen und Szenen rutscht das Thema vielleicht in einen Nischendiskurs.

Sie haben es angerissen: Die Norweger haben ihr Land bis zu jenem Wochenende immer als besonders heile Welt wahrgenommen. Woran liegt das?

Ich denke, es gibt in Norwegen und auch in den anderen skandinavischen Ländern so etwas wie ein Bewusstsein der eigenen Außergewöhnlichkeit, wir nennen das gern "skandinavischen Exzeptionalismus". Das heißt, dass das Selbstverständnis der eigenen Tradition oder Identität darauf beruht, weniger gewalttätig, ausbeuterisch, imperialistisch, autoritär zu sein als die europäischen Großmächte. Daraus leitet sich fast so etwas wie ein Sendungsbewusstsein ab, diese demokratischen Traditionen von Frieden, Gleichstellung und Gerechtigkeit in die Welt zu tragen.

Der Blick von außen ist gemeinhin ja auch sehr verklärt positiv.

Und hier gab und gibt es sicher Wechselwirkungen, die auch noch in der Nachkriegszeit wichtig gewesen sind. In Skandinavien wurde der Aufbau von funktionierenden Wohlfahrtsstaaten gerade auch im sozialdemokratischen Kontext natürlich als vorbildhaft wahrgenommen. Wobei das viel gerühmte skandinavische Modell ja auch schon lange am Bröckeln ist. Die positive Einschätzung von außen geht historisch auch auf ein Ideal zurück, das den Norden als das Reine, das Ursprüngliche sieht. Hier spielen die Nordenbegeisterung um 1900 und auch die Ideologie des "Nordischen" eine Rolle, aber sicher auch der Tourismus seit dem späten 19. Jahrhundert, der die skandinavischen Länder als naturnah und ursprünglich vermarktet.

Wie kann es in einem Land, das selbst Opfer der Nazis war, eine so ausgeprägte Neonazi-Szene geben?

In Norwegen gibt es, im Gegensatz übrigens zu Schweden, gar keine große, gut organisierte Neonazi Szene. Ich wäre auch sehr vorsichtig damit, den Täter und das Milieu, aus dem er kommt, als neonazistisch zu bezeichnen. Natürlich mag es Überlappungen an den Rändern geben. Aber die Internetplattform document.no, auf der Andreas Behring Breivik seine Texte hinterlegt hat, ist eben nicht neonazistisch, sondern islamfeindlich und antimultikulturalistisch. Selbst das Internet-Diskussionsforum nordisk.nu, auf der er ebenfalls aktiv war, hat zwar Verbindung in die neonazistische Ideologie, ist aber nicht ausschließlich darauf zu reduzieren. Speziell für Norwegen gilt, dass eine antinazistische Haltung tief verankert und etabliert ist, was aber eben nicht heißt, dass es nicht rechtsextreme, rechtspopulistische, ausländerfeindliche Milieus gäbe, die mit dem internationalen Rechtsextremismus gut vernetzt sind.

Wie beschreiben Sie dann das Gedankengut von Menschen wie Anders Behring Breivik und auch des Milieus, in dem der Täter sich im Jahr 2011 bewegt hat?

Es ist in der Tat nur schwer zu fassen. Wichtig ist, dass es sich gegen Multikulturalismus richtet, wobei man natürlich auch hier zunächst einmal genau definieren muss, was jemand damit meint. Klar ist aber, dass eine große Triebkraft die Islamfeindschaft ist. Eine Fremdenfeindlichkeit also, für die das Fremde der Islam ist. Es ist eine Mischung aus kulturellen und religiösen Überfremdungsängsten, die sich in diesem Fall gegen ein politisches Milieu gerichtet haben, das sich sehr um Integration und Verständigung bemüht, eben das sozialdemokratische Milieu in Norwegen.

Welche Rolle spielt hier das Christentum?

Nun, Christentum, Abendland und Kreuzrittertum sind letztlich die Marker für das Eigene, für die eigene kulturelle, wie auch immer religiös überformte Identität, die sich aber vor allem gegen ein Feindbild absetzt. In dem Fall hat das Feindbild nichts mit Antisemitismus zu tun, hier ist es wichtig, wer gegen den Islam ist. In diesem Sinne kann man sich beispielsweise auch für Israel einsetzen, obwohl das natürlich auch eine Instrumentalisierung ist. Es ist schon bizarr, wie manche die jüdisch-christliche Tradition bemühen, um den Islam als Feindbild beschreiben zu können.

Wie alltäglich ist denn eine solche Haltung in Norwegen?

Antiislamische Haltungen sind wie in Europa insgesamt weit verbreitet, auch in gemäßigten, überhaupt nicht extremistischen Parteien und Milieus. Man hat Angst, dass der Islam an sich nicht modernisierungs- und demokratiefähig ist, dass er die guten demokratischen Strukturen zerstört, die Gleichstellungspolitik unterminiert. Solche Ansichten sind verhältnismäßig weit verbreitet, aber eben bei Weitem nicht nur in Norwegen. Man hat das ja auch an den ersten Reaktionen in ganz Europa gesehen. Sofort wurde gemutmaßt, dass die Anschläge einen islamistischen Hintergrund haben.

Sie leben in Berlin und in Skandinavien. Wo ist die Islamfeindlichkeit größer?

Die Entwicklungen in Skandinavien sind oft schneller und durchschlagender. Das hat auch damit zu tun, dass die Länder kleiner sind, die Debatten schneller hochkochen und damit auch Politiken schneller durchsetzbar sind. Ich habe den Eindruck, dass es in bestimmten Milieus weniger tabuisiert ist, sich islamkritisch zu äußern, und dass pauschale Islamkritik insgesamt als politisch harmlos gilt - gerade das kann sich jetzt aber auch ändern. Ich war in den letzten Jahren in Dänemark und Norwegen speziell auch in Gesprächen in intellektuellen Zirkeln, mit Bildungsbürgern, oft erschrocken. Auch in der linken Szene, übrigens. Auch hier ist diese Denkfigur, dass der Islam per se autoritär ist und per se zu autoritären Strukturen führen muss, verbreitet. Die Angst, da macht uns jemand unsere schöne linke Politik kaputt, auch das kann in tiefer Islamfeindlichkeit münden. Der Eindruck, Islamfeindlichkeit sei in den skandinavischen Ländern weiterverbreitet als etwa in Deutschland, könnte aber auch einfach daher rühren, dass wir diese Länder idealisieren und uns dann in unseren Erwartungen enttäuscht sehen.

Wird dieser islamfeindliche Kurs auch durch die Europafeindlichkeit gerade Norwegens verstärkt?

Wichtig ist es, sich klarzumachen, dass die großen Parteien in Norwegen eher europafreundlich sind. Die beiden Volksabstimmungen brachten dann aber immer eine knappe Mehrheit der EU-Gegner. Diese EU-Skepsis in der norwegischen Bevölkerung rührt zum einen sicher aus einer Überfremdungsangst heraus, aber auch der Sorge, dass der Großapparat EU die demokratischen Strukturen im eigenen Land kaputtmacht und das kleine Land darin untergehen wird und man deshalb das gute Eigene bewahren will.

Die rechtspopulistische Fortschrittspartei ist eine der europafeindlichen Parteien, doch gibt es EU-skeptische Haltungen durchaus auch bei den im Zentrum und der Linken angesiedelten Parteien. Ich würde die norwegische EU-Skepsis nicht in einem direkten Zusammenhang mit der Ideologie des Täters sehen, halte aber doch die Tendenz zum Isolationismus für einen Nährboden für islamfeindliche Stimmungen. Und natürlich ist das rechtsextreme, islamfeindliche Milieu, in dem sich der Täter bewegt hat und in dem er denkt, der EU gegenüber extrem feindlich eingestellt. Das bedeutet aber nicht, dass es nicht eine Abendlandideologie gibt, die hochgehalten wird.

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