Selbstmordanschlag in nigerianischer Schule: Boko Haram wird immer stärker
47 Kinder starben bei einem Selbstmordattentat auf einem Schulhof, der Täter trug Schuluniform. Nigerias Regierung hat die Lage nicht im Griff.
BERLIN taz | Die Schüler der staatlichen Knaben-Oberschule „Government Science Secondary School“ in Potiskum hatten sich gerade auf dem Schulhof zur Morgenversammlung eingefunden, es war zehn vor acht am Montagmorgen. Plötzlich gab es eine gigantische Explosion, und es lagen 47 Schüler tot im Hof. Weitere 79 wurden verletzt.
Nigerianische Medien machten sofort die islamistische Untergrundarmee Boko Haram für den Anschlag in der 200.000-Einwohner-Stadt im nordnigerianischen Bundesstaat Yobe verantwortlich. Ein Selbstmordattentäter in Schuluniform habe den Sprengsatz gezündet, hieß es. Das eröffnete eine beängstigende Möglichkeit: Die Islamisten, die die Kontrolle über weite Teile Nordostnigerias übernommen haben, setzen jetzt möglicherweise gezielt Jugendliche als Terroristen ein.
„Potiskum ist in Aufruhr“, sagte ein Stadtbewohner gegenüber der Onlineausgabe der nigerianischen Tageszeitung This Day. „Wir hörten einen lauten Knall und seitdem ist das Gebiet abgesperrt. Rettungswagen fahren hinein, um Leichen zu bergen und Verwundete ins Krankenhaus zu bringen. Alle Schulen in der Stadt sind jetzt geschlossen, weil die Eltern ihre Kinder abholen.“
Erst vor einer Woche hatte ein weiterer Anschlag in Potiskum rund 30 Tote gefordert. Ein unbekannter Attentäter hatte sich außerhalb einer Schule am Rande einer Prozession zum schiitischen Aschura-Fest in die Luft gesprengt; panische Soldaten, die die Prozession schützen sollten, hatten daraufhin wahllos das Feuer eröffnet, was zahlreiche weitere Opfer forderte.
Soldaten fliehen nach Kamerun und Niger
„Werden sich die Spannungen zwischen Sunniten und Schiiten auf Nigeria ausbreiten?“, hatte daraufhin das US-amerikanische Center for Security Policy gefragt. In einer Analyse wiesen die Sicherheitsexperten darauf hin, dass Boko Haram ursprünglich eine sunnitische Abspaltung der schiitisch geführten „Islamischen Bewegung“ von Nigeria war, die sich 1979 im Zuge der iranischen Revolution unter Führung von Ibrahim Zakzaky gegründet hatte.
Doch der Anschlag von Potiskum markiert auch die unablässig wachsende Stärke von Boko Haram, insbesondere seit dem angeblichen Waffenstillstand, den Nigerias Regierung am 17. Oktober nach Gesprächen im Tschad mit der Gruppe verkündet hatte. Vor zwei Wochen überrannten die islamistischen Kämpfer die Universitätsstadt Mubi nahe der Grenze zu Kamerun. Sie trieben zahlreiche nigerianische Soldaten und Zivilisten in die Flucht über die Grenze.
Seit dem Einmarsch werden 350 Schulkinder aus Mubi als vermisst gemeldet – möglicherweise entführt, ähnlich wie die berühmt gewordenen Schulmädchen, die am 15. April aus Chibok entführt wurden und von denen noch immer über 200 in der Gewalt von Boko Haram sind.
Vor knapp einer Woche eroberte Boko Haram im Norden Nigerias die Stadt Malam Fatori nahe der Grenze zu Niger. Wieder flohen 315 nigerianische Soldaten in das Nachbarland, wo sie in der Stadt Diffa aufgenommen wurden. Dort leben bereits 105.000 Flüchtlinge aus Nigeria.
Der Präsident will wiedergewählt werden
Als Reaktion darauf hatte Nigerias Armee Einheiten aus dem Bundesstaat Yobe ins Kampfgebiet geschickt. Nun schlägt Boko Haram in Yobe umso stärker zu. Auch andere nordnigerianische Bundesstaaten, die bisher noch nicht Schauplatz von Kämpfen zwischen Armee und Islamisten waren, sind in den letzten beiden Wochen Ziel von Bombenanschlägen geworden.
In sozialen Netzwerken wurde spekuliert, der Schulanschlag von Potiskum könnte einen ganz besonderen Anlass gehabt haben. Am Dienstag will Präsident Goodluck Jonathan in Nigerias Hauptstadt Abuja öffentlich seine Kandidatur zur nächsten Präsidentschaftswahl im Februar 2015 verkünden – ein im Land und auch in der eigenen Partei umstrittenes Unterfangen.
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