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Selbstironische Warnung vor dem Event

Kritik am Spaßbetrieb gehört zum guten Ton. Der Soziologe Gehard Schulze hat sich die Eventkultur näher angeschaut

Gerhard Schulze ist kein Spielverderber. Auch wenn er bei seinen „Streifzügen durch die Eventkultur“ den Eindruck hinterlässt, dass der moderne Spaßbetrieb, im Tourismus besonders ausgepägt, ihm auf den Nerv geht. Und dafür gute Gründe anführt: Trotz des ganzen Kults um subjektive Bedürfnisse und trotz aller medienwirksamen Präsenz gehe Individualität irgendwie unter, meint er. Zwar redeten alle und jeder über alles und jeden und stellten noch ihre intimsten Intimitäten zur Schau, aber gerade deshalb verblassten die „inneren Bereiche des Erlebens“.

Kritik am Spaßbetrieb gehört zum guten Ton. Je heftiger die Spaßfront tobt und sich in öffentlich-rechtlichen und privaten Medienanstalten in den Vordergrund schiebt, umso heftiger regen sich andere wie Spiegel & Co auf und beschwören im Namen von Aufklärung und Menschenwürde den Untergang des Abendlandes. Und sie drehen dabei – wen wundert das noch? – weiter an der medialen Steigerungsschraube. Andererseits: Gegen Kritik sind alle längst immun. Schulze weiß, dass alle – die Akteure, Regisseure, Zuschauer und Kritiker – wissen, dass auf der Bühne der Eventkultur nur „gespielt“ wird. Kritik ist verinnerlicht, Selbstironie oberste Spaßpflicht, an der jeder Nörgler abprallt. Ob im Spaßbad oder bei „Big Brother“: Wer sich öffentlich präsentiert, inszeniert sich selbstironisch mit.

In Schulzes Welt der Events geht es denn auch so prall zu wie in der echten „Als-ob-Wirklichkeit“. Seine Ausflüge gelten dem Intimleben, dem Lachen, den Medien, der Folklore. Er sichtet die „reduzierte Erregungsrhetorik der Sexualfolklore“, den „Kulturimperialismus des eigenen Standpunkts“ und entdeckt die „Drehungen des tautologischen Ichs im Zirkel der Selbstbegründungen“, dank deren sich die Spaßgesellschaft in Stimmung bringt, sich entblößt und immer wieder selbst bestätigt und sich auf diese Weise auch dem „Ereignis-Autismus“ nähert, einem „lärmenden, rotierenden, vibrierenden Stillstand“.

„Es ist“, klärt Schulze auf, „als ob jemand, der einen Witz erzählt, diesen sofort zurückerzählt bekäme, woraufhin alle Umstehenden auch noch anfangen, diesen Witz wieder und wieder zu erzählen.“ Für Schulze ist diese Redundanz nicht etwa bloß ein „Betriebsunfall im Medienspiel“, sondern „systematisch erzeugte Langfristtendenz“. Und hier läuft auch Schulze zur Hochform auf: Er klinkt sich ein in die ironisierende Zunft der Meinungsmacher, er lässt den Soziologen brillieren, er bietet allen intellektuellen Spaßinteressierten den gehobenen Lesegenuss.

Und er enttäuscht trotzdem, weil man nach der Lektüre vielleicht weiß, wie der Spaßbetrieb funktioniert, aber nicht, was Eventkultur denn nun ist. Schulze behauptet: Dies hat alles nichts mehr zu bedeuten. Ein Event ist ein Event. Sonst nichts. Vorbei die Zeiten, als ein gesellschaftliches Ereignis noch gesellschaftlich Sinn machte, sprich: etwas Objektives zum Ausdruck brachte. Schulze bringt das Beispiel einer öffentlich inszenierten Hinrichtung: Über die Volksbelustigung hinaus bedeutete sie immer auch den „rituellen Vollzug dessen, was als ‚gerechte Strafe‘ in einem überpersönlichen Bezugsrahmen von gut und böse definiert war.“ Diese „Volkspädagogik“ habe sich erledigt, meint Schulze, die kulturellen Muster seien verblasst, das „gemeinsame Erleben von etwas Objektivem“ allenfalls Historie.

Tatsächlich führt Schulze die Menschen in der Spaßgesellschaft wie Artisten ohne Netz und doppelten Boden vor, er charakterisiert jeden und alle als die bemühten Designer ihrer eigenen Ichs, ungebunden, schamlos, keinem anderen Wertesystem verpflichtet als dem eigenen Glücksgefühl, so frei und existenziell gelöst, wie es überhaupt nur möglich ist.

Anders als etwa sein amerikanischer Kollege Richard Sennett (“Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus“) spannt Schulze nicht den Bogen zu den modernen Produktionsprozessen. Den neuen, globalen Kapitalismus samt seinen gesellschaftlichen Bedingungen scheint es für Schulze gar nicht zu geben.

CHRISTEL BURGHOFF

Gerhard Schulze: „Kulissen des Glücks. Steifzüge durch die Eventkultur“. Campus Verlag, Frankfurt/New York 1999, 112 Seiten, 29,80 Mark

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