Selbstbestimmungsgesetz: Kein Abschluss, sondern ein Anfang
Das Selbstbestimmungsgesetz ist für viele das Ende eines langen Kampfes. Elya Conrad hat es Mut gemacht für einen ersten Schritt.
A uf diesen Moment habe ich lange gewartet. Seit dem 1. November ist das Selbstbestimmungsgesetz in Kraft, das es nichtbinären, trans oder inter Menschen erlaubt, ohne entwürdigende Gutachten und irre teure Gerichtsverfahren ihren richtigen Namen und Geschlechtseintrag zu führen. Aber je näher mein Termin beim Standesamt kommt, desto mehr frage ich mich: Warum warte ich eigentlich so sehr darauf? Bin ich so obrigkeitshörig, dass der Staat mir bestätigen muss, wer ich bin? Was ändert sich denn?
Klar ist: Ich werde ab jetzt endlich nicht mehr den Geschlechtseintrag „männlich“ führen müssen und einen geschlechtsneutralen zweiten Vornamen haben.
Wenn ich in mein direktes persönliches Umfeld sehe, dann bedeutet das Selbstbestimmungsgesetz vor allem eines: einen Abschluss. Ich habe Freund*innen, die trotz längst erfolgten sozialen Outings immer wieder mit Behörden oder Eltern zu kämpfen haben, die denken, sie dürften definieren, wer sie sind. Und bisher bedeutet das jedes Mal eine Auseinandersetzung mit Deadnames und persönlicher Herabwürdigung.
Was die mangelnde Akzeptanz angeht, ändert sich mit dem Selbstbestimmungsgesetz wahrscheinlich wenig. Wer anderen seine Vorstellung binärer Geschlechterrollen aufzwingen will, wird das weiter tun. Wer trans Menschen nicht akzeptiert, wird es nicht plötzlich doch tun. Aber die Menschen können jetzt eine Grenze setzen. Sie müssen all das nicht jedes Mal neu verhandeln. In meinem Umfeld atmen gerade ganz viele auf. Nicht, weil sich ihre Identität verändert, sondern weil ihr Leben ab jetzt stressfreier wird.
Lange mit dem Namen gehadert
Und bei mir? Bei mir ist es anders und doch gleich. Es ist kein Abschluss, sondern ein Anfang. Ich warte seit drei Monaten auf den 21. November, auf meinen Termin beim Standesamt. Ich habe lange mit meinem Vornamen gehadert, weil er männlich assoziiert wird. Aber ich habe den Konflikt, den das in mir auslöst, immer verdrängt. Ich habe mir lange nicht erlaubt, auch nur darüber nachzudenken, einen anderen Namen einzufordern. Ich habe mich auch nur wenigen Menschen gegenüber getraut, meine richtigen Pronomen zu verwenden.
Der soziale Teil schien stressig und die behördliche Ebene auch. Und das Selbstbestimmungsgesetz löst keinen der sozialen Stressfaktoren einer Namensänderung. Aber irgendwie hat mir die Rückendeckung, mit meinem Pass eine Grenze zu ziehen, endlich den Mut gegeben, anzufangen. Der Problemberg scheint ein kleines Stückchen kleiner zu sein. Ich bin bereit, mich damit auseinanderzusetzen.
Du liest einen Text aus unserem Zukunfts-Ressort. Wenn Du Lust auf mehr positive Perspektiven hast, abonniere TEAM ZUKUNFT, den konstruktiven Newsletter zu Klima, Wissen, Utopien. Jeden Donnerstag bekommst du von uns eine Mail mit starken Gedanken für dich und den Planeten.
Dass ich nicht Maurice, sondern Elya heißen will, habe ich schon davor gewusst – aber ich habe es eben nicht zustande gebracht, es einzufordern. Dass ich nicht mit „er“ angesprochen werden will, ebenso. Ich habe mich oft einfach arrangiert. Für mich beginnt verrückterweise also mit der staatlichen Absolution in dieser Angelegenheit erst die Bereitschaft dazu, dieses innere Outing konsequenter nach außen zu tragen. Ob das komisch ist? Vielleicht. Aber es ist so. Und ja, ich weiß, dass der soziale Teil weitaus länger dauern wird als mein Gang zum Standesamt. Dass er komplizierter sein, mich mehr Kraft kosten wird. Und dass ich klein anfangen muss. Mit den Menschen, die mir am nächsten stehen.
Es ist ein Privileg, dass mein Leidensdruck nie so groß gewesen ist, dass einfach weiterzumachen keine Option gewesen wäre. Und genau deshalb habe ich dieses Bedürfnis lange hintangestellt. Plötzlich habe ich den Mut dazu, das zu ändern. Auch wenn das vielleicht nicht typisch oder repräsentativ ist. Aber ich weiß, dass es die richtige Entscheidung ist. Danke, Selbstbestimmungsgesetz. Auch wenn ich gerade erst am Anfang bin.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Ärzteschaft in Deutschland
Die Götter in Weiß und ihre Lobby
Verkehrsvorbild in den USA
Ein Tempolimit ist möglich, zeigt New York City
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis