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Selbst sind die SchülerinnenZwei Elfjährige melden eine Demo an

Eine Schule, auf der Kinder ihre Fähigkeiten entdecken und Politiker, die viel Geld für Bildung ausgeben: Das fordern zwei Bremer Fünftklässlerinnen.

Lotta (in blau) und Toni (in rot) auf dem Schulhof ihrer Schule, auf dem es nichts gibt als Hof Foto: Tristan Vankann/Fotoetage

Bremen taz | Fenster in Klassenräumen, die sich nicht schließen lassen. Schwimmlehrer, die Kinder anschreien. Ein Schulhof, der aus nichts als Hof besteht. Zu wenig Klassenräume. Und ein Unterricht, bei dem zu viele Kinder lernen, was sie nicht können, anstatt ihre individuellen Fähigkeiten zu entdecken.

Solche Klagen sind nicht neu. Aber in diesem Fall kommen sie nicht von einer Gewerkschaft, nicht von einem Bündnis für Bildung und auch nicht von der Gesamtschülervertretung. Sondern von zwei Elfjährigen: Lotta und Toni, Freundinnen und Schülerinnen der im vergangenen Jahr neu gegründeten „Oberschule an der Delmestraße“ in der Bremer Neustadt.

Und weil sie etwas ändern wollen, haben sie für Mittwoch eine Demonstration angemeldet, die auf dem Bremer Marktplatz enden soll, wo sie hoffen, von vielen gehört zu werden. Von Po­li­ti­ke­r:in­nen zum Beispiel, denn sowohl das Rathaus als auch die Bürgerschaft befinden sich genau dort. Und die Politiker:innen, finden die beiden, könnten vor den anstehenden Haushaltsberatungen daran erinnert werden, dass sie mehr Geld für Kinder und Jugendliche ausgeben müssen.

Eigentlich habe sie vom ersten Tag an dieser Schule eine Demo organisieren wollen, erzählt Toni zwei Tage vorher in ihrem Klassenraum in einem Betonbau aus den 1970er-Jahren. Nicht, weil sie die Schule blöd findet, im Gegenteil, sie sei genau so, wie Schule sein solle und sie habe hier die allerbesten Lehrer. Diese hätten ihr und Lotta Mut gemacht.

Schule mit zu wenig Räumen

Nein, der Grund, warum beiden ziemlich schnell wussten, so gehe es nicht weiter, war folgender: Ihre neue Schule war zwar mit einem tollen Konzept, aber ohne eigene Räume gestartet. Und daran hat sich bis heute nicht viel geändert. Die drei fünften Klassen teilen sich die Schule mit einer ebenfalls neu gegründeten Grundschule sowie einer berufsbildenden Schule, die eigentlich längst ausgezogen sein sollte. Der Schnellstart war notwendig, weil in Bremen in kurzer Zeit sehr viele neue Schulplätze geschaffen werden mussten. Wie es nach den Sommerferien weiter gehen wird, wenn nicht nur, wie ursprünglich geplant, drei, sondern fünf neue fünfte Klassen untergebracht werden müssen? Unklar.

Eigentlich wollte ich vom ersten Tag an dieser Schule eine Demo organisieren

Toni, Fünftklässlerin

Umsetzen konnten Lotta und Toni ihren Demoplan, als in diesem Schuljahr das Projektthema „Verantwortung“ auf dem Lernplan stand. Zum Projektunterricht gehört, angeeignetes Wissen für andere erfahrbar zu machen – in diesem Fall eben durch Teilnahme an einer Demo. Die ist dann aber doch freiwillig und am Nachmittag. Wie viele kommen werden, können die beiden nicht einschätzen. Es wollten schon einige aus ihrer Klasse kommen, sagt Lotta. Dem Ordnungsamt hätten sie gesagt, sie rechneten mit 60 Teilnehmer:innen. „Das ist unser Ziel.“

Es ist möglich, dass es deutlich mehr werden, nicht nur, weil Tonis Oma einen Beitrag auf Instagram geteilt hat, sondern weil die beiden Kinder nicht die einzigen sind, die die Zustände an Bremer Schulen nicht mehr hinnehmen wollen. So wird der Flyer für ihre ­„Bildungswende Demo“ eine Woche vorher verteilt, auf einem Treffen des 2024 gegründeten Netzwerks „Solidarity unites Neustadt“. Das hat sich die „Bekämpfung lokaler Probleme durch kollektives Handeln“ zum Ziel gesetzt. „Mit der Stärkung des sozialen Zusammenhalts im Stadtteil sollen reale Verbesserungen entstehen, z. B. im Kampf gegen Rechts und gegen sexistische Gewalt oder bei gemeinsamen Miet- und Arbeitskämpfen“, heißt es auf der Homepage.

Andere Bildungspolitik auf seiner Agenda

Das Netzwerk wurde von im praktischen Umsetzen von Ideen erfahrenen Bremer Ak­ti­vis­t:in­nen ins Leben gerufen – auch unter dem Eindruck des großen Zuspruchs für rechtsex­treme Parteien. Auch eine andere Bildungspolitik steht auf seiner Agenda – im Interesse aller Bevölkerungsschichten.

Zum Auftakttreffen am Dienstagabend vergangener Woche wurden extra Über­set­ze­r:in­nen in Farsi und anderen Fremdsprachen eingeladen. Doch niemand von den 26 Anwesenden, die sich im Foyer der Oberschule am Leibnizplatz – ganz in der Nähe der Schule von Lotta und Toni – eingefunden hat, braucht eine Übersetzung. Drei Schülerinnen im Teenageralter sind dabei, ansonsten sind die meisten mittleren Alters, viele haben Kinder.

Sie tauschen sich über demütigende und entmutigende Erfahrungen aus. Solche haben vor allem die Schü­le­r:in­nen gemacht, die besondere Bedarfe haben, beispielsweise auf Barrierefreiheit angewiesen sind oder einfach nur aufgrund ihrer familiären Situation psychisch belastet sind. Und dann sind da noch die Zahlen, an die einer der beiden Mo­de­ra­to­r:in­nen zu Beginn der Veranstaltung erinnert hat: Je nach Untersuchung erfüllt ein Drittel bis ein Viertel der Bremer Schü­le­r:in­nen nicht die Mindestanforderungen an Lese-, Schreib- und Rechenkompetenzen.

Bildungserfolg hängt vom Kapital ab

Der Bildungserfolg hängt dabei maßgeblich vom ökonomischen und sozialen Kapital ab, das einer Familie zur Verfügung steht, wie Stadtteilvergleiche zeigen. So verlassen im wohlhabenden Stadtteil Horn-Lehe nur 1,2 Prozent der Schü­le­r:in­nen die Schule ohne einen Abschluss. Im Schlusslicht Gröpelingen, in dem besonders viele sozial benachteiligte Menschen leben, sind es 16,4, in der sehr durchmischten Neustadt 12,5 Prozent, etwas mehr als im stadtweiten Durchschnitt von 10,5 Prozent.

Das Treffen endete mit der Verabredung, sich weiter darüber auszutauschen, wie eine Schule sein muss, damit alle Kinder dort gerne hingehen – und dafür zu kämpfen.

Demonstration: 21. Mai, 15.30 Uhr, Leibnizplatz, Bremen

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