piwik no script img

„Selbst falls ich mich lächerlich mache“

■ Ihr Sohn ist in Makedonien stationiert. Die Mutter fordert das Ende des deutschen Einsatzes im Kosovo – auch wenn das nicht alle Probleme löst

Ilona Rothe aus Thüringen hat einen Appell veröffentlicht: Stehen wir alle gemeinsam gegen diesen Wahnsinn auf! Vielleicht ist es noch nicht zu spät!

taz: Ihr Telefon ist dauernd besetzt. Wie viele Interviews haben Sie heute schon gegeben?

Ilona Rothe: Ziemlich viele. Aber ich möchte mich auf etwas anderes konzentrieren: Jetzt rufen die Mütter an, so intensiv und so weinend und so leidend. In den letzten zwei Stunden etwa 20 bis 30.

Was fordern Sie konkret?

Schluß mit jeglichem Waffeneinsatz. Sofort zurückkehren zur Politik. Schutz für unsere Kinder, die auch in Makedonien mit drinstecken. Eine Rakete kann reichen, um so eine Stellung zu zerstören. Ich kann mir vorstellen, daß das begehrte Ziele der Serben sind.

Haben Sie mit Ihrem Sohn über Ihren Appell gesprochen?

Mein Sohn hat von dieser Initiative nichts gewußt. Er hätte mit Sicherheit auch alles versucht, um mich davon abzubringen.

Warum?

Er steht durch die Aktion sehr im Mittelpunkt. Heute früh hat er mich angerufen und gefragt: „Mutter, warum hast du das gemacht? Was hast du mir damit angetan?“ Er sagt: „Bis gestern war meine Welt in Ordnung. Heute weiß ich nicht, wie es weitergehen soll. Die denken alle, ich hätte mich bei dir ausgeheult. Ich habe mich doch nie bei dir beklagt!“ Das ist natürlich für mich eine schlimme Sache.

Warum haben Sie gegen seinen Willen die Öffentlichkeit gesucht?

Ich habe als Mutter auch eine Stimme. Er ist jetzt in einer schwierigen Situation, aber ich denke, daß es richtig war, und die Resonanz zeigt das auch. Ich hoffe, daß ich ihn stärken kann.

Warum sind Ihr Sohn und die anderen Söhne bereit gewesen, nach Makedonien zu gehen?

Als er sich bei der Bundeswehr verpflichtet hat, vor vier Jahren, mußte er damit rechnen. Damals hatte ich auch nicht so eine panische Angst. Ab einem bestimmten Punkt haben die Jungen dann das Gefühl, daß man nicht mehr nein sagen kann. Sie haben nicht unbedingt die Kraft, die wir Älteren vielleicht aufbringen könnten. Außerdem unterschätzt man die Gefahr immer. Man glaubt, was man glauben möchte. Ich habe auch versucht, mich zu beruhigen. Man hat diese Verhandlungen verfolgt in Rambouillet, man hat sich gesagt, der Milošević rasselt erst mit dem Säbel und wird doch noch nachgeben. Dann hat uns unser Sohn eröffnet: „Paß auf, Mutti, unser Marschbefehl ist gekommen.“

Wie haben Sie reagiert?

Ich war so hilflos. Wenn ich mit Freunden und Bekannten geredet habe, war die Reaktion von allen: „So schlimm ist das doch nicht; komm, reg dich ab, da läßt sich doch nichts ändern.“ Das hat mich in Wut versetzt, weil ein Krieg kein Erdbeben ist, kein Vulkan, sondern etwas, das man beeinflussen kann. Und vor zwei Tagen ging's mir so schlecht, daß ich gesagt habe, irgendwas muß ich jetzt machen, selbst falls ich mich in der Öffentlichkeit lächerlich mache und nichts bewirke.

Wie wirken die Politiker dieser Tage auf Sie?

Das erinnerte mich stark an Filme über die Zeit vor den Weltkriegen. Da hieß es: Wir müssen unseren Soldaten den Rücken stärken, die Unterstützung aus der Heimat soll sie bei ihren Einsätzen begleiten und so weiter. Da hat sich in mir alles aufgebäumt.

Warum?

Mir kommt das manchmal wie ein großes Spiel vor, auch mit dem Schicksal der Flüchtlinge. Wenn ich diese Spielereien im Fernsehen sehe, mit Simulationen und so weiter, kann ich den Eindruck nicht abwehren, daß das ein richtiges Unterhaltungsprogramm geworden ist. Die Stimme einer Fernsehmoderatorin konnte ich nicht mehr ertragen: dieser Klang und Schwung. Und dieser Major, der sogar noch sein Flugzeug poliert hat, damit die Farben schön blinken – er konnte sich kaum halten vor Begeisterung, das Flugzeug im Einsatz zu sehen. Wenn wir als Mütter da nicht die Grenzen setzen, wer dann?

Die Nato argumentiert: Die Aufgabe der Soldaten ist, noch größeres Leid zu verhindern.

Ich weiß auch nicht, ob die Luftangriffe richtig sind. Aber ich stelle die Gegenfrage: Was ist mit den Luftangriffen gebessert? Jetzt, wo die Bomben gefallen sind, ist der Haß der Serben 100mal stärker geworden. Wie wollen Sie da die Kosovo-Flüchtlinge rücksiedeln? Der zweite Effekt ist, daß in Makedonien Unruhen entstanden sind. Der dritte Effekt ist, daß die Russen zappeln wie verrückt und drohen, in den Krieg einzugreifen. Da ist dann eine Schwelle erreicht, wo wir langsam wieder anfangen können, unsere Keller begehbar zu machen.

Wenn Ihnen jetzt eine Mutter gegenübersäße, die mit ihren Kindern aus dem Kosovo vertrieben wurde, was würden Sie ihr sagen?

Ich würde lange mit ihr sprechen. Ich glaube nicht, daß ich ihr einfach nur einen einzelnen Satz sagen könnte. Diese Menschen sind so schlimm dran und mit Recht verbittert, daß viele gesagt haben, endlich geht es los. Ob das die Völkerverständigung gefördert hat, wage ich zu bezweifeln. Wenn man jetzt etwas machen kann, dann ganz energisch die Opposition in Serbien stärken, Aufklärung betreiben, die Desinformation beseitigen.

Da könnten wir als Mütter eigentlich ganz gut einen Faden knüpfen, zum Beispiel zu serbischen Müttern. Ich glaube, daß man sie aufschließen muß.

Es klingt, als seien Sie schon länger politisch engagiert.

Wir haben in der Wendezeit eine große Organisation gegründet für Zwangsausgesiedelte im innerdeutschen Grenzgebiet, zu denen mein Mann zählt. Wir haben darum gekämpft, daß diese Leute wenigstens eine moralische Rehabilitierung erfahren. Das ist zwar eine andere Sache, die ich nicht damit vermischt sehen möchte. Aber solche Vertreibungen wie jetzt im Kosovo fallen den Serben in den Generationen der Kinder und Kindeskinder wieder auf die Füße. Das wissen die auch.

Was treibt Sie persönlich?

Der erste Mann meiner Großmutter ist im Krieg gefallen. Der Sohn meiner Großmutter ist mit 20 Jahren in Rußland gefallen. Was hat er dort zu suchen gehabt? Mein Großvater ist von serbischen Heckenschützen schwer verwundet worden. Da frage ich mich: Was macht mein Sohn jetzt dort?

Aber damals war es ein Angriffskrieg. Das ist jetzt anders.

Das ist richtig. Interview: Patrik Schwarz

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen