Seitenwechsel und Regierungskrise in Niedersachsen: Der Verrat
Eine Frau sorgt für Unruhe: Elke Twestens Weggang von den Grünen Richtung CDU bedeutet vorzeitige Neuwahlen und vielleicht einen Machtwechsel in Niedersachsen.
Bussenius hat als Grüner im Kreistag von Rotenburg/Wümme mit Twesten zusammengearbeitet. Ihre eilige Pressekonferenz vergangenen Freitag im Sitzungssaal der CDU hat er im Fernsehen gesehen: Twesten, im schwarzen Blazer, stand da neben ihrem neuen Parteifreund Björn Thümler und verkündete, dass sie nach 20 Jahren Mitgliedschaft bei der Ökopartei ihren Austritt erklärt habe – schriftlich. Ein Bote der CDU-Fraktion hatte den Brief zu den Landtagsgrünen gebracht, kurz bevor Twesten vor die Kameras trat.
„Zukunft bei der CDU“
„Ich sehe bei den Grünen weder vor Ort noch im Land meine persönliche Zukunft“, sagte sie in die Mikrofone. Und da sie bereits vor einem Aufsteller mit CDU-Logo stand, hätte sie sich den nächsten Satz wohl sparen können: „Ich sehe meine politische Zukunft in der CDU.“
Peng. Koalition tot. Fünf Monate vor dem regulären Wahltermin ließ Twesten damit die rot-grüne Mehrheit von Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) platzen: Die hatte im Landtag nur eine Einstimmenmehrheit. Als Twesten die Seiten wechselte, veränderten sich also auch die Mehrheitsverhältnisse. Zwar sitzen die Minister noch auf ihren Posten, auch Weil selbst tut das – sie alle können aber politisch nichts mehr entscheiden.
Auch der Ministerpräsident berief deshalb an jenem Freitag eilig eine Pressekonferenz ein, unter dem Vordach der Staatskanzlei in Hannover. Weil blieb angesichts seiner Machtlosigkeit nur, die Selbstauflösung des Landtags zu fordern. „Es kann keine andere Instanz als den Wähler geben“, sagte er. Im Klartext heißt das: Nicht die Abgeordnete Elke Twesten entscheide über die Mehrheiten im Landtag, sondern der Bürger. „Ich werde einer Intrige nicht weichen“, sagte Weil. Wie unvorbereitet ihn Twestens Übertritt erwischt hatte, davon zeugte der Ärger, der in seiner Stimme deutlich zu hören war.
Weiswein, ehe die Bombe platzt
„Auch ich war geschockt“, erinnert sich der Kommunalpolitiker Bussenius. Denn es war gerade vier Tage her, dass er sich mit seiner Fraktionskollegin Twesten getroffen hatte. „Ich habe keinerlei Anzeichen gehabt, dass so ein Schritt bevorsteht. Ganz im Gegenteil.“ Ganz gemütlich hätten sich die Kreistags-Grünen getroffen, bei einem Abgeordneten zu Hause. Es gab geschmorte Gurken, gut gewürzt, Rührei und Kohlrabi aus dem Garten. „Elke hat noch eine Flasche Weißwein mitgebracht, weil sie Geburtstag hatte“, sagt Bussenius. „Und dann passiert da sowas.“
Ein Essen, Gespräche, aber kein Wort über die schwerwiegende Entscheidung, die Twesten zu diesem Zeitpunkt wohl schon getroffen hatte. Bussenius ist anzumerken, dass er nicht auch noch nachtreten will. Er bleibt sachlich, wenn er über Twesten spricht. Trotzdem fällt ihm dazu nur dieses eine Wort ein: „Hinterhältig“, sagt der gebürtige Ostfriese, dessen Aussprache noch verrät, dass er in Leer aufgewachsen ist.
Er steht mit dieser Meinung nicht allein da. In Hannover, auf den Fluren des Landtags ebenso wie in den Redaktionen, blühen die Spekulationen über Lockangebote der CDU. „Die wird das doch nicht ohne Gegenleistung gemacht haben“, heißt es dann etwa, oder: „Irgendwas haben die ihr schon versprochen.“ Spätestens als der Grünen-Landtagsabgeordnete Helge Limburg dann auch noch eine Erinnerung aus dem Juni aus seinem Gedächtnis kramte, fühlen sich die Skeptiker bestätigt: Damals soll Twesten im Landtag zu ihm gesagt haben, dass sie „ein unmoralisches Angebot der CDU“ bekommen habe. Limburg nahm das nicht ernst – und fragte auch nicht nach.
Auf ihrer Facebook-Seite bestreitet Twesten nun, dass das Gespräch im Juni so abgelaufen sei. Vielmehr habe Limburg sie auf ihre Affinität für eine schwarz-grüne Koalition mit den Worten angesprochen: „Du lässt dich doch nicht kaufen!“
Klar, dass die CDU an ihrer Seite steht: „Es hat zu keinem Zeitpunkt in irgendeiner Form Angebote an Frau Twesten gegeben“, sagt Fraktionschef Thümler.
Auch klar, dass Limburg bei seiner Version der Geschichte bleibt. Doch auch der ehemalige Landtagspräsident Rolf Wernstedt (SPD) berichtete der Nordwest-Zeitung davon, dass ihm Twesten von einem „unmoralischen Angebot“ erzählt habe – in fast identischen Worten.
Auslöser: Erdgasförderung
Ob die CDU Elke Twesten nun etwas versprochen hat oder nicht: Um zu verstehen, warum sie dieses politische Beben verursacht hat, muss man in ihren Wahlkreis schauen. Der Landkreis Rotenburg ist riesig, vom nördlichsten bis zum südlichsten Zipfel sind es über 80 Kilometer. Dazwischen liegen 57 Gemeinden, Wälder und riesige Maisfelder. Die Grünen treffen sich für ihre Mitgliederversammlungen im „Niedersachsenhof“ von Gyhum, einem Ort in der Mitte. Ein eigenes Büro hat die Partei im Landkreis Rotenburg nicht.
In manchen Ortschaften stehen großen weiße Schilder in den Gärten: „Gegen Gasbohren“. Hier und da lehnt ein rotes X aus Brettern an einem Baum. Viele Bürger wehren sich gegen die Erdgasförderung im Landkreis, und die tun das auch unter Hinweis auf die erhöhte Krebsrate: Bei Männern aus der Samtgemeinde Bothel gibt es fast doppelt so viele Fälle von Blutkrebs wie im Landesdurchschnitt. Der Ort ist umgeben von Förderstellen. In Niedersachsen werden 94 Prozent des deutschen Erdgases gefördert.
Die Erdgasförderung ist das wichtigste Thema für die Grünen vor Ort. Und es ist auch einer der Auslöser für den Abgang von Elke Twesten. In der eiligen Pressekonferenz mit der CDU hatte Twesten selbst als Grund genannt, dass ihr Wahlkreis nicht sie für die Direktwahl nominiert hatte, sondern ihre Konkurrentin Birgit Brennecke.
Brennecke nun ist eine unermüdliche Kämpferin gegen die Bohrtürme im Kreis. Dagegen engagiert sie sich nicht nur in der Partei, sondern auch in zahlreichen Bürgerinitiativen vor Ort. Die Grünen im Wahlkreis entschieden sich Ende Mai also gegen die gut vernetzte Landtagsabgeordnete und für eine vergleichsweise unbekannte Praktikerin. Dabei hatte Twesten mit der Einladung des niedersächsischen Landwirtschaftsministers Christian Meyer (Grüne) noch echte Politprominenz aufgeboten – auch das half nichts: Sie verlor deutlich mit 17 zu zehn Stimmen.
Die Sache mit der Leukämie
In einem Café in der Rotenburger Fußgängerzone öffnet Birgit Brennecke ein kleines Töpfchen Kaffeesahne und gießt davon in ihre Tasse. Bis die 62-Jährige den ersten Schluck davon nimmt, dauert es eine ganze Weile: Beim Thema Erdgasförderung macht sie beim Sprechen kaum eine Pause. „Als mein Sohn fünf Jahre alt war, erkrankte er an Leukämie“, sagt Brennecke, der die blonden Haare locker auf die Schultern fallen. Damals lebte sie mit ihrer Familie noch in Bremen. „Da habe ich gedacht, jetzt ziehst du mal aufs flache Land. Da bist du weg vom Straßenverkehr.“ Ihr Sohn sollte gesund aufwachsen können.
Sie zog nach Söhlingen, einem 1.400-Einwohner-Örtchen in der Samtgemeinde Bothel – genau dorthin, wo nun vermehrt Krebsfälle aufgetreten sind. „Nach sechs Jahren ist er nochmal an Leukämie erkrankt“, sagt Brennecke. „Eine Neuerkrankung.“
Erst 2013 habe sie gedanklich die Verbindung zur Erdgasförderung gezogen. Damals erkrankten in ihrer Umgebung gleich zwei junge Menschen an Leukämie. Die Mutter einer betroffenen 19-Jährigen sammelte Unterschriften dafür, mehr als 600: Der Landkreis sollte dazu gebracht werden, Luft-, Wasser- und Bodenproben zu untersuchen – der erste Schritt hin zum Protest gegen die Erdgasförderung. Die solle in Niedersachsen ganz aufhören, sagt Brennecke heute. „Man muss nicht das letzte Gas aus dem Boden holen.“
Auch Elke Twesten hat sich für die Aufklärung der Krebsfälle eingesetzt und gegen Fracking. Sie ist aber weniger Hardlinerin als Brennecke. Und sie sympathisierte offen mit einem Bündnis mit der CDU, die in der Erdgasförderung auch immer noch die Chance sieht, die heimische Rohstoffversorgung zu sichern.
Im Kreistag warb sie für ein schwarz-grünes Bündnis, gemeinsam übrigens mit ihrem Fraktionsvorsitzenden Reinhard Bussenius. Die Basis stimmte dagegen. Später versuchte sie, Landrätin in Rotenburg/Wümme zu werden. Doch ihre Partei entschied sich stattdessen dafür, einen parteilosen Kandidaten zu unterstützen. Twesten trat dann im Landkreis Stade an, konnte sich aber auch dort nicht durchsetzen.
Theoretisch hätte sich die 54-jährige Scheeßelerin trotz ihrer verlorenen Wahl um das Direktmandat gegen Brennecke für die ohnehin aussichtsreichere Grünen-Landesliste bewerben können: Als Landtagskandidatin war sie ausreichend bekannt. Aber vielleicht war ihr ohne die Unterstützung ihres eigenen Wahlkreises das Risiko eines erneuten Scheiterns zu groß.
Grüne nun auch im Kreis geschwächt
Sie ging den vermeintlich einfacheren Weg, den zur CDU. Auch ihren früheren Fraktionschef stellt das vor große Probleme: So wie im Landtag will Elke Twesten nach derzeitigem Stand ihr Kreistagsmandat behalten. „Ich bin sauer, dass sie es mitnimmt“, sagt Bussenius. „Uns fehlt jetzt für die nächsten vier Jahre eine Abgeordnete.“ Das bedeute nicht nur mehr Arbeit für die übrigen vier – „Mir fehlt auch der Draht nach Hannover“.
Aus seiner Perspektive habe die Zusammenarbeit mit Twesten gut funktioniert. „Sie ist gekommen, wenn wir sie eingeladen haben“, sagt er kurz und sachlich, so wie es seine Art ist. Er selbst hätte sie gern wieder im Landtag gesehen. Auch weil er befürchte, dass sich Brennecke auf der Landesliste nicht durchsetzt und die Region dann vielleicht nicht von den Grünen im Landtag vertreten wird. „Sie ist bislang nicht so gut genug vernetzt“, sagt er über die neue Kandidatin.
Brennecke selbst peilt beim Listenparteitag der Grünen in Göttingen an diesem Wochenende mindestens Platz 15 an. „Es muss ein aussichtsreicher Platz werden.“ Sie will etwas für ihre Region bewirken. Und vielleicht habe sie „aus dem Mist“, den Elke Twesten beschert habe, zumindest einen Vorteil – dass die Leute nun ihren Namen kennen.
Mehr zur Sache Twesten, den Folgen für das politische Niedersachsen – und dem Verrat an sich finden Sie in der aktuellen taz.am wochenende oder hier
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken