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Seit den letzten Wahlen regieren Leute aus der Protestbewegung in Barcelona und Madrid. Wie sieht ihre Politik aus?Frischer Wind in Spaniens Städten

Aus MadridPablo Elorduy

Bei 40 Grad im Schatten drängen sich Hunderte um und in die Springbrunnen neben dem Rathaus von Madrid – Menschen, die sich keinen Urlaub leisten können. Die Partido Popular, die bis zum 24. Mai in Madrids Rathaus regierte, hat den Verkehr an dieser Stelle unter die Erde verlegt und der Stadt damit nicht nur eine kleine Oase, sondern auch einen riesigen Schuldenberg beschert. „Wir haben die Verpflichtung, eine Amtsführung zu etablieren, die solche Fehlentwicklungen künftig ausschließt“, sagt Carlos Sánchez Mato, neuer Stadtrat für Wirtschaft und Finanzen.

Nach 20 Jahren an der Regierung hat die PP ein Geldloch von 6 Milliarden Euro hinterlassen. Wie vielerorts sieht sich die neue Regierung mit einem Erbe konfrontiert, das durch Misswirtschaft, Korruption und Verschuldung entstanden ist.

Nicht nur in Madrid und Barcelona regieren seit Juni zwei Bürgermeisterinnen mit völlig anderem Hintergrund. Auch in Valencia, Zaragoza, A Coruña, Santiago de Compostela oder Cádiz haben die Wähler der Partei des spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy PP die Tür gewiesen. „Wir befinden uns in einem grundlegenden Wandel: Die Bürger wollen selbst die Protagonisten in der Politik werden“, meint Gala Pin, neue Stadträtin in Barcelona.

Noch vor wenigen Monaten war Madrids Regierung bereit, eine Person ohne vorherige Benachrichtigung aus einer Sozialwohnung rauszuschmeißen, um die Häuser verkaufen zu können. Liquidität zu gewinnen auf Kosten einfacher Bürger und der öffentlichen Versorgung war das Ziel der Regierenden. Nun ist die pensionierte Richterin Manuela Carmena von der Bürgerliste „Ahora Madrid“ die neue Bürgermeisterin. Sofort stoppte sie den geplanten Verkauf von Sozialwohnungen an Finanzgeier und die 2.086 Bewohner können nun wieder ruhig schlafen.

Gewaltloser Widerstand

Auch in Barcelona weht ein neuer Wind, seit dort die Bewegung „Barcelona en Común“ die Wahlen gewonnen hat. Bürgermeisterin Ada Colau war vorher Sprecherin der PAH, der landesweit größten Protestorganisation gegen die Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise.

Die Bürgerinitiative organisiert dezentral gewaltlosen Widerstand gegen die massenhafte Zwangsräumung von Menschen, die ihre Hypothekenschulden nicht mehr bedienen können oder eine untragbar hohe Miete haben. Colau erklärte Barcelona nicht nur zur „Nullzwangsräumungsstadt“.

Sie plant auch, die rechtlichen Möglichkeiten der ärmeren Bevölkerung gegenüber Mietwucher zu verbessern und die immer stärkere Ausrichtung der Stadt als Schaufenster für Touristen zu stoppen. In A Coruña will die neue Regierung einen Teil der von den Banken leer geräumten Immobilien unter städtische Verwaltung stellen.

Neben der Wohnungsfrage spielten im Wahlkampf aber auch andere Themen eine zentrale Rolle: Die Neupolitiker setzen sich für einen besseren öffentlichen Transport ein, wollen den privaten Autoverkehr und die Luftverschmutzung begrenzen, Transparenz schaffen über die Profiteure der öffentlichen Verschuldung und vor allem die Lebensumstände der Menschen am unteren gesellschaftlichen Rand verbessern.“Der entscheidende Kampf ist der um die Demokratie. Mit ihrer Hilfe lassen sich die vielfältigen Probleme lösen – die Wohnungsnot, die Ausbeutung, der ungleiche Zugang zu Gesundheitsdiensten und zur Bildung“, ist Pablo Soto überzeugt, neuer Stadtrat in Madrid.

Der 36-Jährige, der mehrere Onlinetauschbörsen entwickelt hat, sieht seine Rolle vor allem darin, Voraussetzungen für eine möglichst breite Beteiligung der Bürger an der Politik zu schaffen. Dafür will seine Fraktion nicht nur im Internet Plattformen einrichten, sondern vor allem auf Volksbefragungen und -beteiligungen setzen. Die geplante Partizipation der Bürger an Haushaltsentscheidungen hält sich bisher jedoch in Grenzen: Nur an wenigen Stellen dürfen sie über mehr als 5 Prozent mitbestimmen.

Die gegenwärtigen Veränderungen geschehen ohne Massenversammlungen bis zum Morgengrauen wie im Mai 2011. Damals besetzten Empörte überall im Land spontan Plätze, erprobten neue Entscheidungsformen und stellten das Zweiparteiensystem infrage. Doch die Vorstellung, nun würden die Bürger die Hauptrollen in der Demokratie übernehmen, ist nicht viel mehr als ein nachhallender Wunsch aus diesen Erfahrungen.

Neu dagegen ist, dass die Sehnsucht nach echter Demokratie in einige Institutionen eindringt. Das ist es, was die stickige Luft in Spaniens Städten gegenwärtig etwas erträglicher macht.

Der Autorist Journalist bei der Zeitung Diagonal, die ohne Chefs arbeitet und durch ihre Abonnenten finanziert wird

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