Seichte Elbphilharmonie-Ausstellung: Devotionalien von Künstlerhand
Die Hamburger Ausstellung “Elbphilharmonie Revisited“ arbeitet sich an der äußeren Form ab und wagt weder eine konkrete Kritik noch eine allgemeine Reflexion
Man kann das natürlich machen: Einfach „Elphilharmonie“ rufen und schauen, was passiert. Das Ergebnis dann „Ausstellung“ nennen und deren Inhalt „künstlerische Positionen.“ Aber dann darf man sich nicht wundern, wenn man eine Villa-Kunterbunt-Mischung ohne Tiefgang bekommt.
Dabei war die Ausstellung „Elbphilharmonie Revisited“ in den Hamburger Deichtorhallen mit ihren meist eigens geschaffenen Werken internationaler Künstler sicher gut gemeint. Und die Riesenvitrine mit Modellen, Materialproben, Skizzen der Architekten Herzog & de Meuron ist ja auch sehr schön, wirkt allerdings ein bisschen wie ein Werbeblock.
So inkongruent wie die Genres, so irritierend ist auch das Motto der Schau. „Elbphilharmonie Revisited“: Für die vielen Hamburger, die zur Eröffnungssaison keine Karte ergatterten, der reine Hohn. Zumal auch die Deichtorhallen-Schau nicht in den begehrten Konzertsaal führt, wenn man von Candida Höfers kühl-neosachlichen Fotos mal absieht.
Überhaupt bietet die Ausstellung jede Menge Fotos. Von oben, unten, innen, außen. Mal kühl, mal mythisch verpixelt, mal film-essayistisch in Schnee und Nebel. Auffallend viele der zwölf Künstler arbeiten sich an der äußeren Form des Gebäudes ab, als fürchteten sie, von der PR-trächtigen, Heiligenschein-verdächtigen Benutzeroberfläche mehr als eine Handbreit abzuweichen.
Worin liegt zum Beispiel der Erkenntnisgewinn des von Jean-Marc Bustmantes theatralisch „EPHemer“ genannten Triptychons, für das er Aquarelle der Elbphilharmonie-Silhouette einscannte, vergrößerte und auf Fotopapier druckte? Wäre das nicht etwas für den Elbphilharmonie-Andenkenladen, der auch Notizblöcke, Anhänger und Radiergummis in Elbphilharmonie-Form bietet?
Und dann Uli M. Fischers Film-Essay „Sang und Klang“: Zum gewollt morbiden Kunstwerk geronnen sind da Fotos und Politiker-Zitate von Anfang, Mitte und Ende der zehnjährigen Baugeschichte. Skandale hat der Künstler adrett eingebaut und damit automatisch relativiert. Ästhetik schlägt Kritik. Politisch wache Kunst ist das nicht.
Selbst wenn sie auftaucht: Die visionären Elbphilharmonie-Kommentare diverser Politiker, die man in der großen hölzernen – innen als Schamanenhütte gestalteten – „Kanalphilharmonie“ des Hamburger Künstlerkollektivs Baltic Raw Org hören kann: abgenutzt, tausendmal gehört. Denn merke: Musealisierte Kritik ist keine.
À propos: Wie anders als museal soll man die erwähnte Glasvitrine mit Herzog & de Meurons rosa Pappmodellchen und Weiße-Haut-Materialproben auffassen? Oder lauert hier ein selbstironischer Verweis darauf, dass die Philharmonie eigentlich nicht Konzerthaus, sondern Museum ist, das vor allem Eintagsbesucher zieht und für den Konzertalltag nicht taugt? Der ganz reale Unmut etlicher Konzertbesucher, die sich den Elbphilharmonie-Saal unter Überwindung mehrerer enger Kurven mühsam erklettern müssen, spricht jedenfalls Bände.
Aber Kritik ist nicht angesagt in der Deichtorhallen-Schau. Niemand zeigt auf die Menschen, Firmen, Gremien, denen die Kosten letztlich wurscht waren, darunter Exbürgermeister Ole von Beust (CDU), Hochtief, die Architekten, die munter sonderwünschende Kulturbehörde. Da wird allenfalls mal eine zahme Holz-Stahlträger-Plastik-Chaos-Installation Peter Buggenhouts namens „Babel Variationen“ gezeigt, die allgemein auf Größenwahn verweist.
Anderswo geht es um den wendig-windigen Prozess des Bauens – in einer wenig originellen Installation aus Koffern, Ventilatoren, wehenden Skizzen. Um ganz konkrete Auswirkungen – etwa den Unfall des 44-jährigen Arbeiters, der am 13. Juli 2010 vom Gerüst in den Tod stürzte, geht es dann schon wieder nicht. Dabei ist auch dieser Namenlose, dieses „Menschenopfer“, Teil der Elbphilharmonie-Baugeschichte.
Und selbst wenn mal die Arbeiter ins Visier geraten – in der soziologischen Studie von Monica Bonvicini etwa, die Bauleute zu Sexismus interviewte: Auch dann geht es nicht direkt um die Elbphilharmonie, denn die à la Hanne-Darboven seriell an die Wand gepinnten Fragebögen stammen von ungenannten Baustellen in aller Welt. Eigenartig: So konkret die Schau sich an der äußeren Form abarbeitet, so fern bleibt jede Kritik, so abwesend auch jede allgemeinere Reflexion.
Dabei hätte man die Philharmonie durchaus in die weltweit grassierende Sucht nach Alleinstellungsmerkmalen, nach Ikonen städtebaulicher Identität einreihen können. Hätte eruieren können, inwiefern sie sich gleichen und ob sich die Bewohner damit wirklich neu und anders fühlen.
Aber an solch unerfreulichen Themen zappt die Ausstellung lieber vorbei. Da stellt man lieber einen Flügel von Liam Gillick auf, der selbsttätig Strawinskys „Petruschka“ über eine ermordete Puppe spielt, und lässt schwarze Asche draufrieseln. Nein, mit der Elbphilharmonie zu tun hat das nichts, und extra für die Ausstellung gemacht ist es auch nicht. Aber der Flügel ist ja – wie die Philharmonie – eine Hülle, die durch Musik zu füllen sei. So steht es jedenfalls im Begleittext; ein bisschen für dumm verkauft fühlt man sich da schon.
Bevor man die Ausstellung aber total frustriert verlässt, gibt es doch noch was Feines: Das Kabinett mit Tomas Saracenos senegalesischer Seidenspinne. Eigentlich sind es sogar zwei, die im straff (und artgerecht) getakteten Schichtbetrieb abwechselnd in einer Dunkelkabine im Netz sitzen, angestrahlt von einem Spot. Ihr anmutig geschwungenes Netz mit Rautenmuster ähnelt auffallend der Deckenstruktur des großen Elbphilharmonie-Saals. Schöne Vorstellung, eine Spinne hätte den gesponnen. Und als ob Saraceno außerdem die Akustikprobleme der Elbphilharmonie erahnt hätte (was er nicht tat, da das 2016 geschaffene Werk nicht für diese Schau entstand), setzt er sogar eine interaktive Akustik hinein. Ein Spezialgerät übersetzt den vom Besucher aufgewirbelten Staub in Schwingung, die per Fühler über das Netz an die Spinne geht. Die darob – vielleicht – andere Formen spinnt. Die Schwingungen der Spinne wiederum werden, in Töne übersetzt, in die Kabine geleitet.
Soweit also eine angenehme, poetische Interaktion. Wenn man allerdings bedenkt, dass die Spinne – deren Biss schmerzt, aber nicht tötet – völlig frei da herumlungert, kann einem schon mulmig werden. Aber ruhig Blut: Die Nephila senegalensis wandert nur nachts, und dann wären wir erstens nicht da und zweitens übernachtet sie natürlich im Terrarium des Deichtorhallenbüros einen Stock höher.
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