Seestücke: Seeschlacht im Trockenen

Die Ausstellung "Segeln, was das Zeug hält" ist nicht nur besser als ihr Titel, sie erzählt auch etwas über die Idee der Seefahrt, statt über deren Realität: Anstelle von Entbehrung oder Todesgefahr gibt es hier Freiheit auf dem Wasser und prachtvolle Schiffe vor romantischen Küstenlinien.

So viel Schifffahrt bietet die wirkliche Welt schon lange nicht mehr: Abraham Willaerts "Holländische Schiffe in einer Flussmündung" (1632). Bild: Hamburger Kunsthalle/Elke Walford

Überlegungen zur Sicherung der Handelswege können zum Rücktritt eines Präsidenten führen. Oder zum Aufbau einer riesigen Flotte: So machte das im 17. Jahrhundert Holland. Denn Reichtum und Pracht der Niederlande waren in jener Zeit in höchstem Maße vom Seehandel abhängig, speziell von den Fahrten nach Ostindien. Die "Vereenigte Oostindische Compagnie" beherrschte die Meere mit ihren Tausenden von Schiffen, erkundete und beutete ferne Länder aus und bestimmte direkt und indirekt die holländische Politik.

Nicht nur die Handelsgüter aus der Ferne erwirtschafteten Reichtum, schon Schiffbau und Schifffahrt selbst waren mit all ihren Zulieferbetrieben ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor. Und wer nicht hinausfuhr auf See, wollte sich der Seefahrt zuhause versichern und die nasse Welt trocken erfahren: Bilder von Schiffen und Häfen, Seeschlachten und Schiffbrüchen hingen an der Wand in Admiralität und Kontor, im Gasthaus und in der guten Stube, je nach Vermögen als Ölbild oder Kupferstich.

In der Hamburger Kunsthalle versammelt jetzt die Ausstellung "Segeln, was das Zeug hält" Bilder aus jenem "Goldenen Zeitalter" der Niederlande und ihrer Malerei. Dabei sind nicht nur großformatige Seestücke, prachtvolle Schiffsansichten und dramatische Untergänge zu sehen, sondern auch Motive aus dem Umkreis der Schifffahrt, sei es das Studio eines Kartenzeichners oder ein 1662 in Scheveningen gestrandeter Wal. So befriedigt die Ausstellung mit ihren rund 80 Exponaten nicht nur die Schaulust, sondern legt auch Spuren zum kulturgeschichtlichen Kontext.

Da brachte etwa der weltweite Handel Holzarten wie Mahagoni nach Europa, und die Maler nutzten dieses neue Material. Auch wurden Stiche mit Schiffsansichten auf Kachelbilder übertragen und exportiert - die Ausstellung zeigt ein Beispiel aus dem benachbarten Museum für Kunst und Gewerbe. Wenig bekannt sind die "Penschilderijen", einst wegen ihrer großen Kunstfertigkeit besonders gefragte Federzeichnungen auf Holz, deren fast stahlschnittartige Genauigkeit bis heute verblüfft. Das Gemälde "Eine lustige Gesellschaft" zeigt die damals alltägliche Verwendung der Bilder: Über den Zechern hängt da deutlich zu erkennen ein Seestück an der Wand.

Fischerboot und Fregatte, Linienschiff und Pinasse, düstere Sturmstimmung oder erwartungsvolle Ruhe der Flaute, Küstenidyll oder Seeschlacht: Auch wenn die detailreichen Bilder in nautischer und historischer, topographischer und meteorologischer Hinsicht viel Dokumentarisches enthalten, geben sie eher Auskunft über die Idee der Seefahrt als über die Realität. Denn nichts auf diesen doch so realistisch scheinenden Bildern hat je genau so stattgefunden: Kein Segler läuft mit vollem Zeug auf den Betrachter am Strand zu, keine Seeschlacht, schon gar kein Schiffsuntergang, baute sich zu so pittoresken Szenen auf. Nur höchst selten waren die verschiedenen Schiffstypen wie zur Musterschau alle gleichzeitig an einem Ort und auch die Hafenszenen sind in den Figurengruppen und der Architekturstaffage theatralisch überhöht.

Um diesen Theaterblick auf das Meer deutlich zu machen, zeigt die Ausstellung neben den Vorzeichnungen für ein 20-teiliges Kulissenbild voller Schiffe und Felsen - entworfen 1696 für die Hamburger Oper - auch ein kleines, dem Barocktheater in Bayreuth nachgebautes maritimes Bühnenbild samt handbewegter Wellenmaschine. Es war sicher besser, Shakespeares "Sturm" auf der Bühne zu sehen, als selbst ein Unwetter in schwerer See zu überstehen. Und wäre man als einer von über 400 Mann bei einer Seeschlacht mit an Bord gewesen: Selbst als Kapitän wäre es äußerst schwer gewesen, sich ein übersichtliches Bild davon zu machen.

Die Kunst aber kann Sichtbarmachen - und das sogar im Wohnzimmer. Ohne Gestank, Schmerz und Todesgefahr ist von der Freiheit auf dem Wasser und von prachtvollen Holzschiffen vor fernen romantischen Küstenlinien zu träumen. Sei es die genaue Darstellung der Schiffe, die ja die technischen Höchstleitungen ihrer Zeit waren, sei es eine zur politischen Allegorie stilisierte Szene, in der das 1667 gekaperte englische Admiralsschiff "Royal Charles" im Triumph eingebracht wird, oder überhaupt die symbolische Deutung der Seefahrt als Lebensreise mit allen ihren Gefahren: Die Kunst kann die Seefahrt in allen ihren Aspekten begreiflich machen. Und wenn auf dem Bild eines Schiffbruchs auf einer Klippe an Land ein betender Mönch gezeigt wird, klingt auch die religiöse Mahnung an, dass noch das kunstfertigste Menschenwerk stets scheitern kann.

Dieser durchaus gelungenen, mit vielen Leihgaben aus dem englischen National Maritime Museum bestückten Sommerschau schadet nicht mal ihr populistischer Titel. Aber bemerkenswert ist, wie in kaum zu leugnender Konkurrenz zu den anderen mit maritimen Themen befassten Museen immer wieder mit einem vermeintlichen Hamburg-Schwerpunkt gelockt wird. Insofern ist diese angenehm zu konsumierende Ausstellung auch ein nostalgisches Selbstbild der Seestadt Hamburg: So viel Schifffahrt bietet der reale Hafen schon lange nicht mehr.

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