Seenotrettung im Mittelmeer: Italien bleibt hart
Der Konflikt zwischen Frankreich und Italien wegen der verwehrten Aufnahme der „Aquarius“ spitzt sich zu. Ein zweites Boot könnte nun ein ähnliches Schicksal ereilen.
Italien hatte dem Schiff „Aquarius“ von der Hilfsorganisation SOS Méditérranée mit Hunderten erschöpften Migranten an Bord am Sonntag die Einfahrt in einen Hafen des Landes verwehrt. Das Schiff ist nach zwei Tagen Blockade nun in Begleitung zweier italienischer Schiffe unterwegs nach Spanien, wo es voraussichtlich am Samstag ankommen soll.
In Italien hatten vor allem Aussagen des französischen Regierungssprechers für Unmut gesorgt. Er hatte in dem Fall vom „Beweis einer Form von Zynismus und einer gewissen Verantwortungslosigkeit der italienischen Regierung“ gesprochen. Italiens Finanzminister Giovanni Tria sagte am Mittwoch kurzum ein Treffen mit seinem französischen Amtskollegen ab.
„Unsere Geschichte der Solidarität (…) verdient nicht, von Mitgliedern der französischen Regierung heruntergemacht zu werden, und ich hoffe, dass die französische Regierung so schnell wie möglich eine offizielle Entschuldigung vorlegt“, sagte Salvini im Senat in Rom. Macron solle selbst sein Versprechen einhalten, 9.000 Migranten von Italien zu übernehmen.
Danach schlug Paris versöhnlichere Töne an. „Wir sind uns vollkommen der Belastung bewusst, die der Migrationsdruck für Italien bedeutet“, teilte die Sprecherin des Außenministeriums mit. Dass die Pariser Regierung nicht angeboten hatte, die „Aquarius“ in einem französischen Hafen anlegen zu lassen, hatte in Frankreich selbst für Diskussionen gesorgt. Eine Abgeordnete der Partei von Präsident Macron sprach von „Vogel-Strauß-Politik“.
Frankreich und Italien streiten sich seit langem über das Thema Migration. Rom wirft Paris vor, zahlreiche Migranten an der Grenze der beiden Länder zurückzuweisen. Wegen eines Einsatzes französischer Zollbeamten bei einer Hilfsorganisation für Migranten in einem Bahnhof in Italien wurde der Botschafter zuvor schon einmal einbestellt.
Das UN-Flüchtlingshilfswerk bezeichnete den europäischen Streit um die „Aquarius“ als Schande für die Europäische Union. Die Schließung von Häfen gefährde die Rettung auf See, die nach internationalem Recht vorgeschrieben sei, erklärte Flüchtlingskommissar Filippo Grandi in Genf. Italien müsse mit seinen Gründen für die Entscheidung aber gehört werden.
Seenotretter rechnen mit hohen Wellen
Die „Aquarius“ fuhr derweil mit 106 Migranten an Bord im Schneckentempo in Richtung Spanien. Die restlichen Flüchtlinge werden mit zwei Schiffen der italienischen Küstenwache und Marine nach Valencia gebracht. Die Seenotretter rechnen mit vier Meter hohen Wellen, sobald das Schiff die Straße von Sizilien verlässt – dies ist die Meerenge zwischen Sizilien und Tunesien.
Innenminister Salvini will vor allem die privaten Seenotretter aus dem Mittelmeer vertreiben. Er hält sie für „Vize-Schlepper“. Schiffe der Küstenwache durften dagegen in Italien mit Migranten anlegen. So zum Beispiel das Schiff „Diciotti“, das am Mittwoch mit mehr als 900 Migranten in Catania ankam.
Dagegen befanden sich am Mittwoch erneut Dutzende Migranten auf hoher See in der Schwebe: Auf einem Schiff der US-Marine seien 41 Überlebende eines Flüchtlingsunglücks und zwölf Tote, sagte der Sprecher der deutschen Hilfsorganisation Sea-Watch, Ruben Neugebauer. Die US-Navy habe Sea-Watch am Dienstag zur Übernahme der Geretteten und der Leichen vor der Küste Libyens gerufen. Aus Sorge, dass ihnen das gleiche Schicksal wie der „Aquarius“ drohe und sie nicht nach Italien einfahren dürften, würden sie die Überlebenden aber nicht an Bord nehmen und böten nur medizinische Hilfe an.
Innenminister Salvini hatte in den vergangenen Tagen immer wieder betont, dass die „Aquarius“ kein Einzelfall bleiben werde, wenn private Seenotretter Migranten nach Italien bringen wollen. Ein ähnliches Schicksal könnte also auch die „Sea-Watch 3“ ereilen.
Sea-Watch wies darauf hin, dass nun erneut Migranten und die Crew im Ungewissen seien und nicht wüssten, in welchen sicheren Hafen sie fahren könnten. Die Menschen hätten zusehen müssen, wie Freunde oder Familienangehörige ertrunken seien, und würden nun obendrein noch in der Schwebe hängen gelassen, sagte Neugebauer. Wenn immer weniger Rettungsschiffe vor Ort seien, würden mehr Menschen sterben.
Die „Aquarius“ gehört zu den am besten ausgestatteten Schiffen privater Organisationen. Wenn sie weg ist, sind nur noch kleinere Schiffe wie die „Sea-Watch“ unterwegs. Und die können eine Fahrt bis nach Spanien kaum schaffen.
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