Sechs Monate Teilhabechancengesetz: Gesetz sucht Langzeitarbeitslose

SPD-Arbeitsminister Heil wollte Jobs für bis zu 150.000 Langzeitarbeitslose schaffen. Bisher hat nur ein Bruchteil davon eine Beschäftigung gefunden.

Die Bergleute Andreas Bossenheiff und Elmar Hammerschmidt melden sich bei der Bundesagentur für Arbeit arbeitslos

Zukünftige Langzeitarbeitslose? Entlassene Bergleute melden sich in Bottrop arbeitslos Foto: dpa

HENNIGSDORF taz | Ulrich A. aus Hennigsdorf bei Berlin ist 57 Jahre alt und hat früher als Straßenbauer gearbeitet. Nach der Wende machte er fünf Umschulungen, war lange arbeitslos. Er hat kaputte Bandscheiben. Wegen der Herzprobleme trägt er immer einen Defibrillator mit sich. Aber: „Ich möchte arbeiten“, sagt Ulrich A., „zu Hause herumsitzen ist nichts für mich.“ Private Arbeitgeber wollen ihn wegen seiner gesundheitlichen Probleme nicht einstellen. A. hat auf einen Platz in einem Beschäftigungsprojekt gehofft, „aber es gibt Probleme“, sagt er.

Für Menschen wie ihn wollte SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil eine Perspektive schaffen. Seit 1. Januar ist das sogenannte Teilhabechancengesetz in Kraft. Im Koalitionsvertrag ging man noch davon aus, dass „bis zu 150.000“ Langzeitarbeitslose durch das Gesetz gefördert werden können. Doch bis April sind es gerade 10.000 Förderfälle, so die Zahlen vom Bundesministerium für Arbeit.

„Die Zahlen sind ernüchternd“, beklagt die Initiative SozialSTART.jetzt des Bundesnetzwerks für Arbeit und soziale Teilhabe. Das Netzwerk besteht aus 250 sozialen Betrieben, darunter auch die Beschäftigungsgesellschaft ABS Hennigsdorf, die für Ulrich A. zuständig ist. „Die Hürden sind zu hoch“, bemängelt Geschäftsführerin Kerstin Thiele. Das Gesetz fördert unter anderem Langzeitarbeitslose, die mindestens sechs Jahre lang Hartz IV bezogen haben. Sie bekommen für bis zu fünf Jahre einen sozialversicherungspflichtigen Job in der Privatwirtschaft oder bei einem gemeinnützigen Beschäftigungsträger, der Arbeitgeber erhält dafür einen Lohnkostenzuschuss von 100 Prozent, der mit den Jahren sinkt.

Es ist aber gar nicht so einfach, geeignete KlientInnen für die Maßnahmen zu finden. A. etwa ist schon viele Jahre arbeitslos, zwischenzeitlich aber verdiente er in einer sozialversicherungspflichtigen Jobmaßnahme genug Geld und konnte auf Hartz IV verzichten. Damit erfüllt er die Voraussetzungen für die neue Förderung nicht mehr. „Wer sich bemüht hat, wird bestraft“, sagt Thiele, „das ist ein Webfehler im Gesetz.“

Viele Langzeitarbeitslose mit gesundheitlichen Probleme

Thiele beklagt, dass alte Förderprogramme ausliefen, während neue Plätze über das Teilhabechancengesetz auf sich warten ließen. Es gebe bundesweit einen Rückgang von mehr als 6.000 sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsangeboten für Langzeitarbeitslose im Vergleich zu 2018, sagt Kerstin Thiele. In ihrem Bereich Oberhavel sei im neuen Programm vom Jobcenter bisher kein einziger Platz bewilligt worden.

Bei neuen Instrumenten sei „eine gewisse Anlaufzeit erforderlich“, sagte eine Sprecherin des Bundesministeriums für Arbeit der taz, im Zeitverlauf sei „mit einem Aufbau der Teilnehmerzahlen“ zu rechnen.

Irina Schmidt, Sprecherin des Jobcenters Oberhavel, verweist auf Stellenangebote privater Arbeitgeber. Auch diese können, ebenso wie die Beschäftigungsträger, im Rahmen des Programms Lohnkostenzuschüsse in Anspruch nehmen, wenn sie einen langjährigen Hartz-IV-Empfänger einstellen. Der Fokus des Jobcenters Oberhavel liege auf der „Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt und nicht auf der Sicherung des Fortbestands der Beschäftigungsgesellschaften“, erklärt Schmidt.

Kanalbau und Altenpflege

Viele Langzeitarbeitslose, die über ABS Hennigsdorf beschäftigt sind, hätten aber gesundheitliche Probleme und Schwierigkeiten, private Arbeitgeber zu finden, erzählte Michael Neie, Projektleiter bei ABS. Oft kämen Alkoholprobleme hinzu. In Neies Projekt, in dem auch A. zwischenzeitlich arbeitete, zimmerten die Teilnehmer Bänke und legten Wege an. Drei der dort beschäftigten Langzeitarbeitslosen fanden zwischenzeitlich einen Job auf dem ersten Arbeitsmarkt: als Müllwerker, im Kanalbau und in der Altenpflege.

Ulrich A. würde gern bei einem Beschäftigungsträger sozialversicherungspflichtig arbeiten. „Wenn das nicht klappt“, sagt er, „fange ich demnächst wieder einen Ein-Euro-Job an.“

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