Schwerpunkt Windenergie: Gegen den Wind
Die Energiewende produziert Gewinner und Verlierer. Die einen investieren in Windkraft, die anderen leben im Schatten der Rotoren.
HAMBURG taz | Es geht um Zumutbarkeiten. Was hat die Gesellschaft zu ertragen, was haben Einzelne für die Gesellschaft zu ertragen, ist die Frage, die im Zusammenhang mit dem Ausbau der Windenergie immer stärker in den Vordergrund rückt.
Welche Opfer Menschen oder ganze Ortschaften bringen sollen oder müssen oder zu bringen bereit sind für die Energiewende, bestimmt immer häufiger die Debatten vor allem in Norddeutschland. Die vom Winde verwöhnten Meeresküsten zum Grünstrom-Lieferanten für ganz Deutschland zu machen, ist eine zunächst mal zwangsläufige Konsequenz der Energiewende. Aber sie wird zunehmend auch eine schmerzhafte.
Zwei Beispiele aus Nord- und Ostfriesland illustrieren den Konflikt zwischen Befürwortern und Profiteuren der Windenergie und ihren Kritikern, die in den allermeisten Fällen nicht grundsätzlich die Windkraft ablehnen, sondern das, was sie für deren ungehemmten Wildwuchs halten. Dabei spielt, das liegt in der Natur der Sache, auch das allseits bekannte St.-Florians-Prinzip eine Rolle.
Irgendwo müssen sie stehen
Niemand, so ist zu vermuten, lässt sich mit Begeisterung ein 180 Meter hohes Windrad in die Aussicht der Sonnenterrasse stellen, gleich einen ganzen Windpark erst recht nicht. Irgendwo aber müssen die Anlagen stehen, die den sauberen Strom für unsere Steckdosen liefern.
Es geht also um Zumutbarkeiten, und die werden, verständlicherweise, subjektiv beurteilt. Wie viel Lärm, wie viel Schatten, wie viel Entfernung ist zumutbar – oder eben nicht. Und alle Versuche von Regierungen und Behörden, diese Kriterien zu objektivieren, sind – logischerweise – umstritten. Wer hinterm Steuer sitzt, hält Autofahren für weniger problematisch als die Anwohner an Hauptstraßen.
Objektiv macht Straßenverkehr Lärm. Objektiv geht von Kinderspielplätzen Lärm aus, ebenso von Bolzplätzen. Auch Windenergieanlagen sind nicht geräuschlos. Aber welcher Lärm in welcher Stärke und Frequenz ist hinnehmbar, welcher nicht? Wo ist die Grenze dessen, was Menschen zugemutet werden kann und darf? Und spielt es eine Rolle, ob es sich um „guten“ Lärm (Kinder, sauberer Strom) oder „bösen“ (Autos) handelt?
„Nicht als pöbelnde Wutbürger“
In Schleswig-Holstein wurden Ende vorigen Jahres zwei Volksinitiativen gegründet, die diese Fragen auf ihre Art beantworten wollen. „Wir stehen hier nicht als pöbelnde Wutbürger“, sagt ihre Sprecherin Susanne Kirchhof. „Aber es ist nicht schön, wenn man sich bewegende Großindustrie in den Raum gestellt bekommt.“ Deshalb wollen die beiden Initiativen, für die jetzt Unterschriften gesammelt werden, den Mindestabstand zwischen Windrädern und Häusern auf 1.000 Meter erhöhen und die Bürgerbeteiligung bei der Flächenauswahl stärken.
Die Prognose ist nicht gewagt, dass in ländlichen und dünn besiedelten Gebieten mit vielen Windparks deutlich mehr Menschen unterschreiben werden als in den Städten, wo das Gros der Stromverbraucher wohnt. Denn der Frage nach der Zumutbarkeit vorgeschaltet ist die Frage der Betroffenheit – nicht in den Augen, nicht im Sinn.
Müssen also Ortschaften auf dem platten Land in Schleswig-Holstein, in Niedersachsen, in Mecklenburg-Vorpommern die Orte sein, in denen die Energiewende sich in stählernen Kolossen auf ehemaligen Äckern und Weiden manifestiert? Ja, müssen sie, lautet die Antwort, um die man sich an dieser Stelle nicht herumdrücken darf.
Offshore-Potential reicht nicht
Denn die gegenteilige Antwort würde bedeuten, die Energiewende abzulehnen – was nicht akzeptabel wäre – oder die Stromerzeugung von der eigenen Haustür fortzuwünschen, wohin auch immer – was subjektiv verständlich ist. Aber irgendjemandes Haustür steht in diesem letztlich dicht besiedelten Land immer irgendwo.
Sicher lässt sich die Stromerzeugung auf Nord- und Ostsee noch beträchtlich intensiveren. Etwa drei Millionen Haushalte in Deutschland werden zur Zeit rein rechnerisch mit Offshore-Windstrom versorgt, in einem Jahrzehnt werden es vermutlich vier Mal so viele sein. So groß das Potenzial weit vor der Küste ist, es reicht allein nicht aus für das bevölkerungsreichste Land Europas mit der viertgrößten Volkswirtschaft der Welt. Also muss der Ausbau auch an Land weitergehen.
Hinter der Frage der Zumutbarkeiten steht zugleich die nach den Alternativen. Die aber sind – Sonne und Wasser hin, Stromsparen her – in den benötigten Größenordnungen nicht in Sicht. Dieses Land wird sehr bald und in großem Maßstab mit Ökostrom kochen, fernsehen und Autofahren müssen. Unzumutbar wäre, eben das nicht zu tun.
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