piwik no script img

Schwere Verletzung durch PolizeieinsatzRippenprellung führt zu Bußgeld

Ein Polizist stieß Sven Geilert so hart das Knie in die Rippen, dass er operiert werden musste. Jetzt soll Geilert Bußgeld zahlen.

Polizeikontrolle auf St. Pauli – kann glimpflich ablaufen oder mit Gewalt Foto: Daniel Bockwoldt/dpa

Hamburg taz | Noch heute kann Sven Geilert nicht auf der linken Seite schlafen. Dabei ist es schon vier Monate her, dass zwei Polizisten auf ihm knieten und der eine ihm mit dem Knie immer wieder in die Rippen stieß. Geilert erlitt eine schwere Rippenprellung. Daraufhin sackte seine Lunge um vier Zentimeter ein. Er konnte nicht mehr richtig atmen und musste operiert werden. An der linken Brustseite über dem Herzen sieht man die Narbe.

Am Abend des 27. April hatte Geilert mit seinem Freund Mustafa D. an D.s Kiosk in der Davidstraße in Hamburg-St. Pauli gechillt. D. betreibt den Kiosk „Mittenmang“ seit acht Jahren gemeinsam mit seiner Frau. „Es war überhaupt nichts los an dem Abend, es war ja mitten im Lockdown, die meisten Läden hatten geschlossen“, sagt D. der taz.

Ein Freund von D. betreibt eine Bar gegenüber des Kiosks, „Leos Bar“ heißt sie und liegt direkt neben dem östlichen Eingang der Herbertstraße. Der Betreiber von Leos Bar hatte den ganzen Tag renoviert, was Barbetreiber eben so machen, wenn sie nicht öffnen dürfen. Zum Feierabend wollten D. und Geilert ihm einen Kaffee rüberbringen, so schildern sie es der taz.

Mit etwa anderthalb Metern Abstand hätten sie zu dritt vor Leos Bar gestanden – was laut der damals geltenden Coronaverordnung eine Person zu viel war. Zwei Po­li­zis­t*in­nen seien um die Ecke gekommen, eine junge Frau und ein junger Mann, und hätten sie auf die Coronaverordnung hingewiesen. „Ist angekommen, wir gehen ja gleich“, habe Geilert gesagt und sich schon über die Straße entfernen wollen. Die Po­li­zis­t*in­nen seien ihm und Mustafa D. hinterhergelaufen und hätten ihre Papiere sehen wollen. Geilert verweigerte das.

„Hier wird nicht geraucht“

Daraufhin hätten die Po­li­zis­t*in­nen Geilert an die Wand neben dem Kiosk gedrückt und ihm das Portemonnaie aus der Hosentasche gezogen. „Damit hatten sie ja, was sie wollten, alles war soweit okay und ich wollte mir eine Zigarette anzünden“, schildert Geilert die Situation.

Die Polizistin habe ihn angeschrien „Hier wird nicht geraucht“, ihm die Zigarette aus der Hand gezogen und sie zerbrochen. Zwei weitere Po­li­zis­t*in­nen seien hinzugekommen. „Er hat ein Feuerzeug“, habe die Polizistin gerufen. Daraufhin brachten zwei Beamte Geilert zu Boden.

Zwei Pas­san­t*in­nen beobachteten die Szene und filmten sie mit ihrer Handykamera. Auf dem Video sieht man, wie zwei Polizisten auf Geilert knien und versuchen, ihm die Hand auf den Rücken zu drehen, die neben seinem Gesicht liegt. „Ich wollte mein Gesicht mit meinen Händen schützen“, berichtet Geilert.

Auf dem Video ruft er mit hervorgepresster Stimme, während ein Polizist ihn im Schwitzkasten hält: „Das tut weh, ihr habt mir voll in die Rippen gehauen!“ Mustafa D. versucht, die Situation zu schlichten, man sieht ihn in dem Video mit einigem Abstand auf die Beamten einreden. Auf St. Pauli wird er oft Zeuge von Gewalt, aber das Vorgehen der Be­am­t*in­nen habe ihn schockiert, sagt er.

Weil er vor Schmerzen nicht mehr laufen konnte, trugen die Polizisten Geilert in einen Polizeiwagen und fuhren ihn zur Lerchenwache. „Ich brauche einen Krankenwagen“, habe er schon im Polizeiauto gesagt. In die Lerchenwache mussten ihn die Polizisten wieder tragen, dann setzten sie ihn auf einen Stuhl in einer Zelle. Nach wenigen Minuten habe ein Notarzt ihn abgeholt.

Im Krankenhaus diagnostizierte man nur die Rippenprellung und gab ihm starke Schmerzmittel. Drei Wochen lang quälte er sich herum, konnte nicht liegen, schlief auf einem Stuhl. „Dann bin ich zu Mustafa gegangen und hab gesagt: Ich kann nicht mehr.'“ Wieder im Krankenhaus, stellte eine Ärztin fest, dass sich Luft zwischen den Rippen und der Lunge gebildet hatte, sodass die Lunge sich nicht mehr ausdehnen konnte.

Das tut weh, ihr habt mir voll in die Rippen gehauen!

Sven Geilert zur Polizei

Erst als sie eine 30 Zentimeter lange Kanüle zwischen seinen Rippen hindurch in den Brustkorb schob, konnte er wieder tief atmen. Eine Woche lang musste er stationär behandelt werden. Noch heute kann er nicht schwer heben, seinem Job als Messebauer kann er erst mal nicht nachgehen.

Ein Bußgeldbescheid über 150 Euro erreichte Geilert noch im Mai, eine Anzeige wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte etwas später. Er will erst mal nicht bezahlen, sondern hat die Be­am­t*in­nen ebenfalls angezeigt. Das Dezernat Interne Ermittlungen der Innenbehörde ermittelt gegen die beteiligten Polizist*innen.

Wegen der laufenden Ermittlungen sagt die Polizei nicht viel zu dem Fall. Nach Darstellung des Sprechers Florian Abbenseth sei die Aggression aber von Geilert ausgegangen. „Er pöbelte die Beamten sofort an, zeigte sich aggressiv und suchte die Konfrontation“, sagt Abbenseth. „Als ihm wegen seines Verhaltens im weiteren Verlauf die Handfesseln angelegt werden sollten, leistete er Widerstand.“

Geilert hat nach dem Vorfall Zettel in den umliegenden Straßen aufgehängt, um Zeu­g*in­nen zu suchen, falls es zu einer Gerichtsverhandlung kommen sollte. Die beiden Passant*innen, die das Video aufgenommen haben, meldeten sich daraufhin im Kiosk, zwei andere An­woh­ne­r*in­nen stehen ebenfalls als Zeu­g*in­nen bereit.

Von dem Verfahren erhofft Geilert sich Gerechtigkeit, auch wenn er weiß, dass die Chancen gegen die Polizei vor Gericht meistens schlecht stehen. Es dürfe nicht sein, dass die Po­li­zis­t*in­nen ungestraft davonkämen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare