piwik no script img

Schweizer Linke und EuropaDie EU ist der falsche Gegner

Anina Ritscher
Kommentar von Anina Ritscher

Das Scheitern des Rahmenabkommens zeigt, wie schwer sich Schweizer Linke mit Europa tun. Dabei sollte sich deren Engagement nicht gegen die Union insgesamt richten.

Seit Jahren zaudert und zögert die Schweiz bei jedem noch so kleinen Schritt in Richtung EU Foto: agefotostock/imago

D ie Schweiz beschäftigt sich mit dem Rest der Welt nur dann, wenn es unbedingt sein muss. Seit Jahren zaudert und zögert sie bei jedem noch so kleinen Schritt in Richtung Europäische Union.

Zuletzt macht das gescheiterte Rahmenabkommen mit der EU diese Staatsräson deutlich. Nach sieben Jahren bricht die Schweiz die Verhandlungen zum Abkommen ab. Und das, obwohl die EU droht, die aktuellen bilateralen Verträge würden ohne das Abkommen nicht erneuert.

Der Streit führt innenpolitisch zu Verwerfungen: Bürgerliche und Linke wollen mehr EU – aber sie wollen eine unterschiedliche EU. Daher war bis zuletzt strittig, welche Position die Un­ter­händ­le­r:in­nen in den Verhandlungen mit Brüssel überhaupt einnehmen sollen. So sehr sich die wirtschafts­liberale FDP den Zugang zum EU-Markt wünscht, so sehr lehnt sie es ab, dass möglicherweise einige So­zi­al­hil­fe­be­zü­ge­r:in­nen mehr in der Schweiz leben würden – auch wenn es sich um Arbeitslose handelt, die in der Schweiz Abgaben bezahlen.

Gewonnen haben die Rechtspopulisten

Die Gewerkschaften wehrten sich gegen das Abkommen, da sie den Lohnschutz gefährdet sahen. Die sozialdemokratische SP ist zwar traditionell EU-zugewandt, konnte das Abkommen angesichts des berechtigten gewerkschaftlichen Widerstands aber auch nicht recht bewerben.

Die EU macht es Linken seit Jahren schwer: Austeritätspolitik, brutaler Grenzschutz und Finanzdiktat laden nicht zur Annäherung ein. Über die EU wurde deshalb in der SP nur ungern gesprochen. Dabei muss auch Schweizer Linken klar sein, dass ihre Anliegen nicht gegen die EU als Institution, sondern gegen neoliberale Kräfte weltweit durchgesetzt werden müssen.

Gewonnen hat am Ende eigentlich nur einer: Christoph Blocher. Der Großvater der rechtspopulistischen SVP war 1992 daran beteiligt, dass die Schweiz nicht dem europäischen Wirtschaftsraum beigetreten ist. Seither wettert er gegen die vermeintlichen „fremden Richter“ in Brüssel und lobt die „schweizerische Souveränität“. Sein Engagement trägt nun Früchte.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Anina Ritscher
Geboren 1994, arbeitet als freie Journalistin zu den Themen Rechtsextremismus, Desinformation und Verschwörungsglauben. Schreibt außerdem über die Schweiz. Teil des Selbstlautkollektivs, ein Zusammenschluss aus freien Journalist:innen.
Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • Der EU-Binnenmarkt nach 1993 ist nichts anderes als der personifizierte Neo-Liberalismus.

    Siehe z.B. auch die EuGH-Rechtsprechung zu freien Berufen in D; Weinmonopol in Schweden und andere marktliberale Ergüsse...

    Es waren übrigens (zu Recht) auch die Sozialdemokratischen und ländlich ökologischen Parteien die in Norwegen den EU Beitritt '95 verhindert haben und ökologische Erwägungen die Island veranlassten das Beitrittsgesuch wieder zurückzuziehen. In Finnland dagegen mussten in den ersten 5 Jahren des Beitritts 28% der Bauern aufgeben...

    Nein, meine Lieben... , die EU ist nicht links... .

    [Den Völkerfreundschafts-Aspekt könnte man auch über einen anders aufgestellten Europarat durchziehen. So ist das nur ein Feigenblatt für die Gelben und Schwarzliberalen... ]

    Die Eurorettung hat Griechenland übrigens auch erst so richtig von einer bloßen Staatsfinanz-, in eine gehörige Wirtschaftskrise getrieben...



    Varoufakis wusste das.

  • 2G
    21327 (Profil gelöscht)

    Die SP hat mit ihren NEIN zu diesen Rahmenabkommen richtig entschieden.

    www.woz.ch/2110/sc...in-soziales-europa

    • @21327 (Profil gelöscht):

      Nein, lieber Sozi1891, hat sie nicht.



      Es wird auch der SP nicht möglich sein, die Insel der Glückseligen im Meer des (neoliberalen?) Unglücks aufrecht zu erhalten. Die Schweiz hat die letzten 150 Jahre enorm von Sondereffekten wie "Fluchtgeldinsel" oder Verschonung von Kriegen durch Anpassertum profitiert. Dass dies einmal ein Ende haben wird, war absehbar, alles andere ist Strukturerhaltung auf dem Buckel anderer. Und dass wer vom EU-Markt profitiert, sich auch an dessen Spielregeln halten muss, ist wohl selbstverständlich.



      Ich gebe der Anina Ritscher recht, dass die Linke sich nicht auf die EU als Ganzes einschiessen sollte, sondern auf die Teile, welche wirklich schief (neoliberal?) laufen. Da sollte sich der EGB aber nicht an den rein Besitzstandbewahrenden des SGB anlehnen - als es am Schluss nur noch darum ging, ob eine Anmeldefrist vor Entsendung von Personal 2 oder 8 Tage betragen soll. Da erwarte ich von der Linken mehr Einfallsreichtung anstatt immer "mehr vom gleichen", wie die Bürgerlichen es zu handhaben pflegen.

      • @Wolkensprung:

        Wenn sich die SP auf so etwas einlässt geht sie unter. Ja, die EU ist reformierbar. Das wird aber Jahrzehnte dauern. Die SP Wähler sind bis dahin aber weg.

      • 2G
        21327 (Profil gelöscht)
        @Wolkensprung:

        Hat sie doch! Und somit dem EU-Lohndumping eine Absage erteilt.

  • Die EU braucht nicht noch mehr Quertreiber. Visegrader reichen völlig.