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Schwedischer Blick auf DeutschlandWilde Thesen und geräucherte Makrele

Bislang wurde unsere Kolumnistin vor allem zur Repräsentantin der deutschen Hochkultur gemacht. Jetzt muss sie auch als AfD-Erklärerin herhalten.

Wie blicken die Schweden auf Deutschland und mehr Klischee geht nicht: Rotes Holzhaus im Wald – wird gerne von Deutschen gekauft Foto: Jan Wehner/imagebroker/imago

I n unserem Chor gelte ich ungefragt als Expertin für Bach und Händel. Ich gebe mir alle Mühe, diese Illusion aufrechtzuerhalten, denn natürlich bin ich gerne eine Repräsentantin deutscher Hochkultur. Vor allem, wenn man bedenkt, was sonst noch zur Wahl steht. Aber, apropos Wahl, leider drängt sich gerade weniger Unverfängliches in den Vordergrund.

Als ich bei der Chor-Freundin M. zum Essen eingeladen bin, erzählt sie von einem deutschen Paar hier in der Gegend. (Deutsche kommen nach Schweden und kaufen Häuser: Auch das gilt hier als typisch.) Jedenfalls, M. serviert geräucherte Makrele und sagt, dieses Paar sei wohl ein bisschen rechts. „Die meinten, Deutschland sei auch nicht mehr das, was es mal war.“ Ah, ja. Ich verstehe ihre Indiziendeutung. Auch in Schweden sagen Menschen das über ihr Land, und man kann dann recht sicher darauf wetten, welche Schlussfolgerungen dem empörten Tonfall folgen.

Auf welcher Seite M. steht, ist klar. Sie feiert die SPD in Deutschland dafür, dass sie vom „Tor zur Hölle“ gesprochen hat, angesichts des CDU-AfD-Schachzugs neulich im Bundestag. Dann will sie von mir, der Expertin für alles Deutsche, wissen: „Wie kommt das mit der AfD?“

Es ist komplex, sage ich – bevor ich dann wohl doch vereinfache. Gut möglich, dass M. den Aufstieg der Partei jetzt als Folge ostdeutscher Wendetraumata abgespeichert hat. Bin nicht sicher, ob das wissenschaftlichen Standards genügt, aber tröste mich damit, dass die Schäden unzureichender Erklärungsversuche sich in diesem privaten Rahmen in Grenzen halten. Immerhin konnte ich faktenbasiert den Ruf von M.s deutscher Lieblingsstadt retten, in Münster hat man es ja nicht so mit der AfD.

Christdemokraten haben Anti-Kooperations-Klausel gestrichen

Und ich stelle weiter munter Thesen auf: Ein Land ohne nationalsozialistische Katastrophenvergangenheit ist anfälliger für die Normalisierung von rechtsextremen Haltungen. Das Versprechen, dass man die Schwedendemokraten aus der Regierung raushalten wolle, bedeutet ja nicht mehr viel, seit Moderate, Liberale und Christdemokraten sie nach der Wahl 2022 offiziell zum Kooperationspartner im Parlament machten.

Noch warnt etwa die oberste Sozialdemokratin Magdalena Andersson unermüdlich vor den Folgen, sollten die Rechtsextremen künftig nicht nur Mehrheitenbeschaffer für die Minderheitsregierung, sondern tatsächliche Regierungsmitglieder sein. Aber die Christdemokraten haben schon mal die Klausel aus ihrem Programm gestrichen, die eine Koalition mit den Schwedendemokraten bislang ausgeschlossen hatte.

Rechte Parteien seien überall im Aufwind, stellte die Kommentatorin der Tageszeitung Dagens Nyheter kürzlich fest, aber: Die AfD sei besonders extrem. Ihr mache das Angst – auch, weil alles, was beim großen Nachbarn schief laufe, am Ende auch Schweden betreffe. Der Leitartikel beim Svenska Dagbladet hingegen hält es für unpraktisch, die Brandbauer gegenüber der AfD stur aufrecht zu erhalten. So oder so: Schweden beobachtet mit Interesse, ob es von Deutschland bald rechts überholt wird.

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Anne Diekhoff
Nordeuropa-Korrespondentin
Seit 2022 bei der taz. Erst als Themenchefin in Berlin, jetzt als Korrespondentin in Schweden. Früherer Job im Norden: Trolle verkaufen am Fjord. Frühere Redaktionen: Neue OZ, Funke, Watson. Skandinavistin M.A.

7 Kommentare

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  • "Brandbauer" sind die ADis, Brandmauer hingegen schützt vor dem Übergreifen bräunlicher Flammen. Inzwischen sollte wenigstens nach der Wahl die ganze AfD-Bilanz aufgeblättert und bewertet werden - dann könnten erste Landesverbände fällig sein. Selbst ein liberal denkender Mensch muss die bewusste Giftspitzerei gegen unsere Grundwerte wahrnehmen.

    Zum einen nicht von sozialer Gerechtigkeit ablenken lassen, zum anderen noch mehr investieren - eine gut gelungene Integration kann eine sehr fruchtbare Investition sein.

  • >Rechte Parteien seien überall im Aufwind, stellte die Kommentatorin der Tageszeitung Dagens Nyheter kürzlich fest, aber: Die AfD sei besonders extrem. Ihr mache das Angst – auch, weil alles, was beim großen Nachbarn schief laufe, am Ende auch Schweden betreffe. Der Leitartikel beim Svenska Dagbladet hingegen hält es für unpraktisch, die Brandbauer gegenüber der AfD stur aufrecht zu erhalten.

    Warum wird bei der Frage, wie in Skandinavien über Deutschland gedacht wird, so häufig aus dortigen verbreiteten Tageszeitungen zitiert? Geben die dort noch so wie man sich da bei uns in früheren Jahrzehnten auch fürs eigene Land vorstellte, die Meinung weiter Kreise getreulich wieder? Gerade weil es nicht so war, wurde ja die kleine, tapfere taz gegründet. Besteht da in Schweden doch so eine altbackene heile Welt? Oder stellt man als Deutsche es sich gern so vor??

  • Immerhin sind wir noch nicht das Land, das nach Kosovo in Europa die meisten Toten durch Schusswaffen hat. Da hat Schweden wirklich eine einzigartige Stellung - ähnlich wie bei seiner Covid-Politik, die ja mehr so „Lass die Alten sterben“ war. Zumindest wurde das so bei den Nachbarn in Norwegen und Dänemark gesehen.

    • @Suryo:

      Das Problem der Vorstädte hat Schweden mit Frankreich gemein. Das hat aber etwas mit dem Umgang mit Einwanderern zu tun - der in Schweden anders ist als in Frankreich oder oder auch in Deutschland.

      Aber



      Das hat ja nun alles überhaupt gar nix mit dem Artikel zu tun...?

      Händel war übrigens auch Migrant :-)

    • @Suryo:

      Die Mordrate in Schweden unterscheidet sich nur unwesentlich zu der in Deutschland 0,8 zu 1,1 auf 100.000 Einwohner.

      Schweden hat ein Problem mit der Bandenkriminalität, diese ist auch für die Hohe Anzahl der Opfer durch Schusswaffen verantwortlich. Die meisten Auseinandersetzungen und damit auch die meisten Opfer waren aber millieuintern.

      Und woher stammen ihre Kenntnisse über norwegische oder dänische Verstimmungen gegen Schweden. Zumindest für Norwegen ist mir lediglich bekannt, dass es unterschiedliche Auffassungen über die Grenzöffnungen gab, mehr aber auch nicht.

      Nicht zu hart mit den guten Schweden ins Gericht gehen. Es ist ein schönes Land mit netten und aufgeschlossenen Menschen.

  • Tja die Schweden halt. Wenn wir in Norwegen unsere skandinavischen Nachbarn necken wollen bezeichnen wir sie gerne als "deutsche" aufgrund der aus norwegischer Sicht artverwandten Tugenden wie Fleiß, Gründlichkeit, brav in der Schlange anstehen und natürlich die für uns ungewöhnliche Angewohnheit ausreichend zu Mittag zu essen.

    Kein Wunder also das die Schweden sich an Deutschland orientieren. Aber derartige Einstellungen wie im Artikel aufgeführt werden wohl eher im Norden des Landes als im Süden zu finden sein.

    In meiner Heimatstadt, im ganz hohen Norden, haben die meisten noch nie von der AfD gehört und einen deutschen als Repräsentanten deutscher Kultur im Sinne von Bach und Händel zu betrachten würde uns im Traum nicht einfallen, auch nicht dann wenn er Chormitglied ist . Da würden sich für uns ganz andere Vergleiche anbieten, wenn wir derartige ziehen wollten.

    Nun haben wir mit der Fortschrittspartei auch kein rechtes Kaliber zu bieten wie Schweden mit den Schwedendemokraten, die ihre Wurzeln als Neonazipartei nie wirklich hinter sich gelassen haben. Da mag es für manch einen Schweden eine Art Genugtuung sein das Deutschland jetzt mit der AfD ähnliches aufzubieten hat.

    • @Sam Spade:

      Zum Nebenpunkt: Hier scheint das Milieu der Autorin aber auch der Chor zu sein. Die deutsche (v.a. die lutheranische) Kirchenmusik hat durchaus Weltruf.