Schwarz-rote Islampolitik: Bundesregierung setzt auf umstrittene Berater
Das Innenministerium wirft seine Islamismus-Berater*innen raus – und ersetzt sie mit islamfeindlichen Forschern aus dem Umfeld des umstrittenen Psychologen Ahmad Mansour.
Die Bundesregierung schaltet gegenüber den mehr als fünf Millionen Muslim*innen in Deutschland auf Misstrauen. Letzten Freitag wurde die sogenannte Taskforce Islamismusprävention im Bundesinnenministerium aufgelöst und ersetzt durch einen neuen Beraterkreis. In dem sitzen zahlreiche hochumstrittene Personen, die mit pauschalisierenden und teils rassistischen Aussagen über Muslim*innen aufgefallen sind. Sie könnten die Politik gegenüber Muslim*innen nun auf Jahre prägen.
Der potenziell große Einfluss der insgesamt 15 Berater*innen rührt unter anderem daher, dass sie den im Koalitionsvertrag vereinbarten „Bund-Länder-Aktionsplan Islamismusbekämpfung“ erarbeiten sollen. Dabei soll es explizit nicht nur um gewaltbereite Islamist*innen gehen, sondern auch um deren Vorfeld. Außerdem soll eine „Dokumentationsstelle Politischer Islam“ aufgebaut werden, bei der allerdings unklar ist, was diese genau sein soll.
Die taz hat mit mehreren Mitgliedern der aufgelösten Taskforce gesprochen, die durch die neuen Berater*innen ersetzt wurden. Sie möchten anonym bleiben. Ohne Ausnahme befürworten sie ein konsequentes Vorgehen gegenüber Islamisten und beteuern, dass es nach einem Regierungswechsel natürlich prinzipiell legitim sei, Beratergremien auszutauschen. Auch über den amtierenden Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) verlieren sie kaum ein schlechtes Wort. Aber an den neu einberufenen Berater*innen üben sie harte Kritik.
Einer sagt, in dem Gremium werde „ein eindeutiges politisches Programm sichtbar – mehr Großerzählung als wissenschaftliche Empirie“. Ein anderer sagt: „Die Definition dessen, was Islamismus ist, wird absehbar verschoben in die hochreligiösen Milieus.“ Damit könnten bald auch streng gläubige – aber eben nicht islamistische – Personen ins Visier der Behörden geraten.
Misstrauen gegen Islam
Den neuen Berater*innen gehe es mehr um ein allgemeines Misstrauen gegenüber dem Islam als um ein Programm gegen Islamismus. Das gefährde den gesellschaftlichen Zusammenhalt und untergrabe womöglich den Kampf gegen Extremismus.
Im Mittelpunkt der Vorwürfe stehen zwei Männer: Christoph de Vries und Ahmad Mansour. De Vries ist parlamentarischer Staatssekretär im Innenministerium, gilt als rechter Scharfmacher und soll nun den Lenkungskreis leiten, der dem neuen Beratergremium vorsteht. Er spricht schon mal davon, dass es ein „genuin deutsches Volk“ gebe, oder beklagt, dass Personen des „Phänotypus westasiatisch, dunklerer Hauttyp“ den deutschen Staat missachteten.
Ein Video von 2023 zeigt, wie er bei einer öffentlichen Rede verschiedene Zuwandergruppen auf einer von ihm erdachten „Integrationsskala“ einordnet. Menschen aus muslimischen Ländern sortiert er da auf die letzten Plätze. „Kulturkampf von rechts“ nennt ein ehemaliges Mitglied der Taskforce das.
Ahmad Mansour wiederum ist das wohl prominenteste Mitglied des neuen Beratergremiums. Der Psychologe hat sich als sogenannter „Islamkritiker“ einen Namen gemacht, warnt beständig vor der Gefahr durch den Islamismus und ist oft in Talkshows zu sehen. Rechte Medien wie Welt und Focus lieben ihn für Aussagen wie: „Der Islam hat sich noch nie in eine andere Kultur integriert und wird es auch nicht in Europa tun.“ Zahlreiche Expert*innen kritisieren Mansours Arbeiten dagegen als einseitig und tendenziös.
Zuletzt hatte das Investigativ-Medium "Correctiv" berichtet, dass ein von Mansour geleitetes Projekt gegen Antisemitismus an Schulen vom Bundeswissenschaftsministerium gefördert werde, obwohl Gutachter*innen schwere Vorbehalte dagegen geäußert hätten. Die Expert*innen beklagten etwa, dass grundlegende wissenschaftliche Standards nicht eingehalten würden und Muslim*innen pauschal Antisemitismus unterstellt werde.
Mansour ist außerdem Mitglied des AK Polis, eines Zusammenschlusses von Wissenschaftler*innen und Expert*innen, die ein hartes Vorgehen gegen Islamisten fordern – dabei aber teils auch Ressentiments gegen Muslim*innen allgemein schüren. Hierzu gehört auch die Islamwissenschaftlerin Susanne Schröter, die in Österreich auf einer Konferenz der rechtsextremen FPÖ auftrat und für den Focus Kolumnen schreibt, die Titel haben wie: „Die unheilvolle Migrations-Allianz zwischen Politik und woken Wissenschaftlern“.
Auch de Vries war schon beim AK Polis zu Besuch. Mit Ruud Koopmans und Hans-Jakob Schindler wurden noch zwei weitere Mitglieder in das neue Beratergremium im Innenministerium berufen.
Und dann ist da noch Güner Balci, die umstrittene Integrationsbeauftragte des Bezirks Neukölln. Auch sie gibt gern markige Aussagen über Muslim*innen zum Besten. Zuletzt warnte sie während des Machtkampfs in der Neuköllner SPD, die Partei sei von Islamisten unterwandert.
Neben der eindeutigen politischen Ausrichtung fällt auf, dass Mansour die einzige Person im neuen Gremium ist, die aus der Praxis der Islamismusprävention und Deradikalisierung kommt. Keine einzige Organisation ist mehr vertreten, die zum Dachverband der Präventionsorganisationen Bag RelEx gehört, in dem alle relevanten Akteure in diesem Feld zusammengeschlossen sind. Auch die weithin als Expert*innen anerkannten Sozialarbeitenden Claudia Dantschke und Thomas Mücke wurden aus dem Kreis der Berater*innen geworfen.
Ein ehemaliges Taskforce-Mitglied sagt der taz dazu: „Wie will man über Prävention sprechen ohne die Leute, die diese Arbeit in der Praxis umsetzen?“ Und sogar der ausgesprochen CDU-nahe Terrorismusforscher Peter Neumann schreibt auf X: „zwei der weltweit erfahrensten Praktiker der Terrorprävention einfach so rauszuwerfen, ist gewagt – und sehr gefährlich.“ Mücke selbst hingegen sagt der taz lediglich: „Wir begrüßen es, dass das Bundesinnenministerium neue Strukturen der Zusammenarbeit finden will.“
Aber nicht nur von Expert*innen, sondern auch aus anderen Parteien kommt Kritik. Die innenpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, Clara Bünger, sagte der taz, die Vorgänge erweckten den Eindruck, „dass Union und SPD eher Bestätigung bestehender Vorurteile suchen als differenzierte Expertise“. Bei den Grünen klingen die Wortmeldungen ganz ähnlich. Deren Abgeordnete Lamya Kaddor sagte der taz: "Prävention bedeutet auch, das normale muslimische Leben jenseits der Extreme zu zeigen und anzuerkennen." Um dann hinzuzufügen: "Wie soll das mit Leuten funktionieren, die nahezu jede Form des Islam für eine Art gefährliche Ideologie zu halten scheinen?"
Doch innerhalb der Koalition sorgt all diese Kritik bislang scheinbar nicht für Zweifel an den neuen Berater*innen, die sich das Bundesinnenministerium ins Haus geholt hat. Der Vize-Vorsitzende der Unionsfraktion, Günter Frings, nannte die Neuberufung einen „notwendigen Schritt, um unsere freiheitliche Demokratie zu schützen und den Entwicklungen der letzten Jahre entschieden entgegenzutreten“. Aus der SPD äußerte sich niemand zu den neuen Berater*innen.
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