Schwangerschaftsabbrüche im Film: Mehr Lücke als Mut
Schwangerschaftsabbrüche kommen im deutschen Film und Fernsehen kaum vor. Und wenn doch, tragen sie häufig zur Stigmatisierung bei.
Ob im Schulunterricht, in öffentlichen Diskursen oder im Bundestag, wenn es um das Thema Abtreibungen geht, begegnet einem fast überall ein sehr lautes Nicht-darüber-Sprechen. Auch im deutschen Film und Fernsehen tauchen Schwangerschaftsabbrüche nur selten auf.
Die Rolle von solchen Darstellungen und deren Einfluss auf die Zuschauer*innen wird in den USA viel erforscht. Im deutschsprachigen Raum hingegen gibt es nur vereinzelte Untersuchungen, zum Beispiel von der Filmhistorikerin Ursula von Keitz über Abbrüche in Filmen der Weimarer Republik. Nach einem Blick in über fünfzehn neuere deutsche Filme und Serien wird klar: Besonders progressiv sind RTL, ZDF und Co leider heutzutage auch nicht.
Was am häufigsten beim Thema Abtreibung gezeigt wird, ist eine Lücke. Der Abbruch selbst wird ausgespart und damit mystifiziert, zum Beispiel bei der RTL-Soap „GZSZ“. Als Denise erneut schwanger ist, fordert ihr Mann wütend einen Abbruch. Der paternalistische Hausarzt hingegen gibt ihr statt hilfreichen Informationen nur den Rat, zum Eheberater zu gehen. Allein gelassen und innerlich zerrissen, schreit Denise ihren Mann ein paar Folgen später verzweifelt an: „Es gibt kein neues Baby mehr!“
Wenn Abtreibungen nicht zwischen Cliffhänger und der nächsten Folge verschwinden, wird auch auf andere Möglichkeiten zurückgegriffen: Die ungewollt schwangere Person entscheidet sich in letzter Minute doch um („Lindenstraße“). Sie gibt sich einem selbstzerstörerischen Alkohol- und Drogentrip hin und verliert den Fötus in einer Fehlgeburt („Sophiiiie!“). Oder sie erhält plötzlich eine Krebsdiagnose, durch die die Schwangerschaft ohnehin nicht ausgetragen werden kann („Der Bergdoktor“).
Mehr Hürden als in der Realität
Wenn ein Abbruch mehr Raum im Plot bekommt, dann nur bei Charakteren, die herzlos und kalt sind und eine ableistische Sprache verwenden, also diskriminierend gegenüber Menschen, die körperliche oder psychische Beeinträchtigungen haben („Das Kind in meinem Bauch ist behindert, ich will’s nicht.“ („Lindenstraße“). Oder in historischen Darstellungen wie im ZDF-Fernsehfilm „Aufbruch der Freiheit“, der zwar die feministischen Pro-Choice-Kämpfe der 1970er nachzeichnet, aber auch um eine dramatische Abtreibung, bei der die Hauptfigur fast verblutet, nicht herumkommt.
Dramatische Darstellungen sind im TV nichts Ungewöhnliches. Im Gegenteil, gerade weil sie sich vom „normalen Leben“ unterscheiden, entsteht Unterhaltungswert. Dabei wird das Drama jedoch unterschiedlich eingesetzt, wie die Soziologinnen Gretchen Sisson und Katrina Kimport des US-amerikanischen Forschungsprogramms „Abortion Onscreen“ an der University of California in San Francisco bemerken: „Viele medizinische Verfahren werden im TV ungefährlicher gezeigt, als sie es im echten Leben sind, zum Beispiel die Herz-Lungen-Wiederbelebung. Abtreibungen hingegen werden viel riskanter als in echt dargestellt.“
Dies zeigt sich zum Beispiel in der Inszenierung von Barrieren, die in der Realität nicht existieren. So hat die Figur Emily in „GZSZ“ nicht nur ein Beratungsgespräch im Krankenhaus, sondern dort auch noch einen zusätzlichen Anästhesietermin und bezieht am Tag des Abbruchs ein Bett für einen stationären Aufenthalt. Tatsächlich werden laut Pro Familia jedoch nur ein Bruchteil aller instrumentellen Schwangerschaftsabbrüche stationär durchgeführt. 2018 waren es 3 Prozent. Dass Emily so oft ins Krankenhaus muss, ist kein Zufall.
Stoff für Schicksalsmomente
So trifft sie dort auf ihren arbeitenden Bruder und seine Frau, die ihr verurteilende Blicke zuwerfen und Sätze äußern, die an Anti-Abtreibungs-Gruppen denken lassen („Ich werde nicht zusehen, wie du dein Kind umbringst.“). Auch diese Barriere gehört im TV häufig dazu: eine nahestehende Person als moralische Gegenspieler*in, die Selbstbestimmung um jeden Preis verhindern will. Ob emotional missbrauchende Partner, eine christlich-fundamentalistische Mutter oder ein Familienmitglied, das findet, mit 14 sei das Mädchen noch viel zu jung für eine Abtreibung („Lindenstraße“), wenn der Abbruch verhindert wird, gipfelt dies meistens in harmonischen Darstellungen einer glücklichen Familie. Über die emotionale Gewalt jedoch kein Wort.
Im Gegensatz dazu werden Barrieren, die tatsächlich existieren, verschleiert. Fast nie wird erwähnt, wie teuer ein Abbruch eigentlich ist, dass es in Deutschland einen verpflichtenden Beratungstermin und eine dreitägige Wartepflicht gibt und dass gar nicht mal so viele Ärzt*innen außerhalb von Großstädten einen Abbruch überhaupt durchführen. In der deutsch-österreichischen Produktion „Der Bergdoktor“wird der schon zweifachen Mutter Theresa vom Hausarzt sogar eine Abtreibungspille per Rezept verschrieben, die sie dann zu Hause einnehmen kann. Auch wenn diese Darstellung einer langjährigen Forderung vieler Pro-Choice-Aktivist*innen entspricht, ist die Einnahme solch einer Tablette sowohl in Deutschland als auch in Österreich nur unter den Augen einer*s Gynäkolog*in erlaubt.
Seifenopern, Medizindramen oder Krimiserien brauchen Stoff für Schicksalsmomente, wofür sich Abtreibungen gut eignen. Aber wenn solche Darstellungen kein Gegengewicht erhalten, zum Beispiel Abtreibungen, die erleichternd sind, oder ungewollt Schwangere, die ihre Entscheidung ohne Verurteilung treffen können, dann werden sie, um mit Chimamanda Ngozi Adichie zu sprechen, zur gefährlichen single story.
Zuschauer*innen professionell informieren
In den USA gibt es Versuche, dies zu umgehen. Wenn Serienmacher*innen ihre Medienmacht verantwortlich einsetzen wollen, können sie sich an das Hollywood Health & Society Center der University of Southern California wenden. Dort bekommen sie professionelle und genaue Infos zu medizinischen Vorgängen und deren Folgen. Auch Sisson wurde schon mehrmals angefragt. Den Drehbuchautor*innen von „Grey’s Anatomy“riet sie davon ab, die Abtreibungspille als gefährlich darzustellen. „Die Tablette ist ohnehin schon sehr stark stigmatisiert, aber eigentlich eine der sichersten Abbruchsmethoden“, erzählt Sisson der taz. Weil das Team einen Grund brauchte, die Figur in die Notaufnahme zu schicken, ließen sie diese statt der Abtreibungspille dubiose Kräuter im Internet bestellen.
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Neben „Grey’s Anatomy“ gibt es auch andere englischsprachige Serien, die eine Abtreibungsstory nutzen, um Informationen an das Publikum zu vermitteln, zum Beispiel „Sex Education“, „Shrill“ oder „Please Like Me“. In Letzterer bekommt die Figur Claire in einer Praxis genaue Informationen zum Ablauf, nimmt dann zu Hause die Abtreibungspille ein, sitzt etwas später krampfend auf dem Klo und wird nach einem „Ich glaube, es ist geschafft“ erleichtert und zufrieden dargestellt.
Auch im Film „Never Rarely Sometimes Always“ begleiten wir die jugendliche Autumn zu Planned Parenthood, wo sie und damit auch die Zuschauer*innen wertneutrale, respektvolle und informative Beratungen zu Eingriff, Kosten und Nachwirkungen erhält.
In einer Onlinediskussion zum Film kritisiert die Sexualpädagogin Lisa Hallgarten das Auslassen oder Verfälschen wichtiger Informationen mit: „I think to misinform people is a form of abuse.“ (dt. Ich denke, Menschen falsch zu informieren, ist auch eine Form von Missbrauch). Obwohl Hallgarten sich mit ihrer Aussage auf das Vorgehen von Fake-Beratungsstellen bezieht, von denen die Figur Autumn im Film unwissend eine besucht, lässt sich diese Aussage auch gut in Richtung Drama-TV schicken.
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