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Schwache FriedensbewegungKrieg ohne Protest

Die meisten Deutschen sind gegen den Krieg in Afghanistan - aber demonstrieren will fast niemand. Das Land ist zu weit weg und durch die Wirtschaftskrise haben viele andere Sorgen.

Eine Frau demonstriert während der Münchner Sicherheitskonferenz gegen den Krieg in Afghanistan. Bild: apn

BERLIN taz | Mit 100.000 Teilnehmern hatte Rainer Braun gerechnet. Die Prognose des langjährigen Friedensaktivisten galt als besonders optimistisch. Am Ende des Tages waren es eine halbe Million Menschen, die am 15. Februar 2003 auf Berlins Straßen gegen den bevorstehenden Irakkrieg demonstrierten. Die Situation sei eine völlig andere gewesen, erinnert sich Braun heute. Die Bundesregierung hatte den Protest unterstützt. Gewerkschaften, Kirchen und der gesamte SPD-Parteiapparat hätten ebenfalls zur Mobilisierung beigetragen. Heute unterschreiben nicht einmal die Grünen.

Die deutsche Friedensbewegung hat für den Samstag mal wieder zu einer bundesweiten Antikriegsdemonstration nach Berlin aufgerufen. Hauptinitiatorin Jutta Kausch von der Berliner Friedenskooperative (Friko) spricht lieber von "Protestaktion". Nach einer Kundgebung am Bebelplatz werde es zwar einen Demonstrationszug durch das Berliner Regierungsviertel geben. Kausch erwartet aber eigenen Worten zufolge "keine Massen". Immerhin habe sie das Mandat von Friedensgruppen aus hundert Städten erhalten, zum Abschluss der Demo in unmittelbarer Nähe des Reichstagsgebäudes Ortsschilder niederzulegen. Sie sollen der ganzen Protestaktion einen bundesweiten Charakter verleihen.

Eine große Mehrheit der Bundesbürger spricht sich gegen ein weiteres Afghanistan-Mandat des Bundestags aus und fordert einen sofortigen Truppenabzug. Doch wenn die Friedensinitiativen auf die Straße trommeln, werden es wahrscheinlich nicht einmal einige hundert sein, die ihren Aufrufen folgen. "Für viele ist der Afghanistan-Krieg sehr weit weg", erklärt sich Peter Strutynski vom Bundesausschuss Friedensratschlag in Kassel den mauen Protest-Elan. 5.300 deutsche Soldaten am Hindukusch würden die breite Masse nicht wirklich berühren. Zudem habe der Großteil der Bevölkerung mit den Folgen der Wirtschaftskrise momentan ganz andere Sorgen. "Wir können nur das Angebot schaffen", sagt Friedensaktivist Rainer Braun. "Ob die Leute kommen, müssen sie schon selbst entscheiden."

Es ist nicht das erste Mal, dass die deutsche Friedensbewegung vor sich hin vegetiert. Es gab Hochphasen wie etwa Ende der 1950er-Jahre, als bundesweit Friedensgruppen wie Pilze aus dem Boden schossen, um gegen die atomare Aufrüstung zu protestieren. Oder Anfang der 1980er-Jahre: Damals demonstrierten Hunderttausende im Bonner Hofgarten gegen den Nato-Doppelbeschluss. Und zuletzt 2003 vor Beginn des Irakkriegs, als eine halbe Million Menschen auf die Straße gingen. Zwischendurch gab es lange Stagnationsphasen oder gar Phasen des Niedergangs - je nachdem, was die Weltlage hergab.

Doch dieses Mal ist es für die Friedensbewegung anders: "Die Herrschenden eiern in der Afghanistanfrage rum und wir wissen die Mehrheit der Bevölkerung hinter uns, tun uns aber schwer, die Ablehnung des Krieges in deutlich sichtbaren Protest umzuwandeln", beklagt Strutynski. Mitstreiter Braun führt das auf eigene Schwächen zurück. "Wir als Friedensbewegung sind den Menschen nicht mehr nahe." Zudem habe das Internet vieles aufgesogen. Viele äußerten ihren Unmut nun online, nicht mehr auf der Straße.

Bild: taz

Dieser Text ist aus der aktuellen vom 20./21. Februar 2010 - jeden Sonnabend gemeinsam mit der taz am Kiosk erhältlich.

Warum die Bevölkerung derzeit so lethargisch erscheint, führt Strutynski auch auf die Berichterstattung der Medien zurück. Allenfalls im Feuilleton fänden sich kritische Artikel, die die Afghanistan-Politik insgesamt infrage stellen. Im politischen Teil würde vor allem das transportiert werden, was auch die Bundesregierung sagt. "Es fehlt an Informationen", sagt Strutynski.

Auch Sabour Zamani vom afghanischen Kulturzentrum in Berlin sieht das so. Es werde zwar viel über den Einsatz der ausländischen Soldaten berichtet und über die Taliban. Wie es den Menschen in Afghanistan geht - darüber werde jedoch nur sehr wenig geschrieben. Dass vor kurzem in Afghanistan Zehntausende für Frieden auf die Straße gegangen sind, sei hierzulande keine Zeile wert gewesen.

Das Internet ist schuld? Die Bevölkerung wird nur schlecht informiert? Wie mobilisierungsstark die Friedensbewegung war, hing in der Vergangenheit häufig davon ab, zu welchen Bündnissen die Friedensinitiativen imstande waren. So gab es bei den letzten großen Antikriegsdemos nicht nur die offizielle Unterstützung der regierenden SPD. Auch die radikalen Kräfte aus der linken Szene saßen bei der Vorbereitung mit an einem Tisch.

Wer sich anschaut, wer nun auf der Unterstützerliste steht, dem wird auffallen: Neben dem harten Kern sind vor allem Politiker und Verbände aus dem Umfeld der Linkspartei aufgeführt - und kleinere Gruppen links davon. SPD und Grüne fehlen ebenso wie Antifa-Gruppen, Kirchen oder Gewerkschaften. Ein Grund: Grüne und Sozialdemokraten setzen bei der Afghanistan-Frage auf einen behutsamen Abzug. Die Friedensbewegung hingegen fordert den sofortigen Rückzug.

Und die Kirchen? Die Weihnachtspredigt der Chefin der evangelischen Kirche, Margot Käßmann, in der sie den Afghanistan-Einsatz sehr massiv infrage stellte, zeigte zumindest nicht so viel Wirkung, dass am Samstag viele Kirchenvertreter in großer Zahl demonstrieren werden.

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13 Kommentare

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  • PW
    Peter Wenner

    Und was machen die Menschen in Afghanistan dann?

     

    Wieder unter Talibanherrschaft leben?

     

    Die Afghanen haben es auch verdient frei zu sein, der "Krieg" dort wird nicht zum Spaß geführt oder weil es um Öl geht sondern um die Taliban niemals wieder an die Macht zu lassen.

     

    Versuchen sie mal unter der Sharia zu leben bevor sie den Einsatz dort als einen Fehler brandmarken.

  • Q
    "blattkritik"

    "blattkritik" im netz gefunden nebenan.

     

  • I
    ich

    Zitat: "Die meisten Deutschen sind gegen den Krieg in Afghanistan".

     

    Ich jedenfalls bin NICHT gegen den Afghanistan-Krieg.

     

    Ich war gegen den Irak-Krieg, den Krieg in Afghanistan jedoch fand ich 2001 und auch heute noch durchaus gerechtfertigt und sinnvoll.

  • MF
    Manfred Fenn

    Der Untersuchungsausschuss möge feststellen:

     

    1) dass die Fahrer der Tanklastzüge (Deutsche Staatsbürger afghanischer Herkunft) bewusst und vorsätzlich in Lebensgefahr gebracht wurden.

     

    2) ob eventuell Geiseln im Inferno bei Kundus getötet wurden. Es steht nicht fest, ob 2 Fahrer oder auch die 2 Beifahrer entführt wurden. Die ARD-Tagesschau vom 07.09.09 berichtete von 4 entführten Personen.

     

    3) dass im Falle einer Entführung deutscher Soldaten, Mitarbeiter oder ziviler Aufbaukräfte diese nicht von den eigenen Streitkräften getötet werden dürfen.

     

    4) dass die Bundeswehr sich nicht auf eine Stufe mit den Taliban stellen darf, die ihre Kämpfer zu Selbstmordattentaten anstiften. Die Bundeswehr darf

    nicht entführen lassen, um daraus einen militärischen Erfolg zu erzielen.

     

    Wir wollen unsere Kinder lebendig und gesund aus Afghanistan wieder. Und es bleiben unsere Kinder, solange wir, die Eltern der Soldaten und Soldatinnen hier auf Erden weilen.

  • OB
    Otton Bexaron

    In allen Euro-Nato Laendern sind die Mehrzahl der Menschen gegen den Afghanistan-Einsatz ihrer Truppen und waren auch gegen den Einsatz ihrer Truppen in Irak: Die Regierungen in Nato-Europa sind vollkommen von "de facto Agenten" der USA "besetzt". Die selben Regierungen welche das Geld ihrer Buerger an die New York und London Bankschwindler geschleust haben und jetzt wie in USA die Sozialrenten und Krankenversicherung erwuergen... Es ist wie 1845 und Heinrich Heine merkte schon was in spaeteren Zeiten kommen wuerde: "Oben noch glaenzende Feste, aber man hoert schon das jemand in Keller ein Messer schleift!"

  • KA
    Klaus A.

    @wolfgang ..."politischen Profiteure der Kriege...etc." Also diese WischiWaschi Kommentare bringen die Diskussion nicht weiter. Da sollte Wolgang schon mal konkreter werden. Im übrigen sehe ich auf politischer Seite keine Profiteure. Weder konnte Rot/Grün durch den Jugoslavien Krieg noch durch den Afghanistan Einsatz Punkten. Auch die derzeitige Nachfolgeregierung schwaz/gelb macht den Eindruck, das Sie lieber Heute als Morgen diese Kriegsbeteiligung los wäre. Zumindest profitieren sie nicht. Auch bei den Linken und der NPD als Anti Afghanistan Kriegsparteien kann ich keinen Profit dieser erkennen. Also was ist mit diesem Kommentar gemeint?

  • H
    Hase

    @Flo

    Die gibt es werden aber nicht wahrgenommen. Es gibt ganze Organisationen in Deutschland. Solange es aber nicht irgendwie nationalistisch angehaucht ist bleibt das leider so (Fußballmentalität). In den USA ist das im übrigen nicht anders.

  • A
    AndyCGN

    @von Flo: ganz meine Meinung. Schon mal ne "Massen"demo gegen den Völkermord in Dafur gesehen, gegen das Füsilieren von Tamilen auf Sri Lanka. Wo war die Friedensbewegung bei Ruanda? Das lässt sich beliebig fortsetzen. Heraus kommt am Ende immer mehr: den Friedensbewegten sind die Menschen am Ende scheißegal!

  • D
    Dennis

    Das Problem liegt besonders auch in der komplizierten Lage Afghanistans. Ein sofortiger Abzug würde nicht zwangsweise die Situation nachhaltig verbessern. Die Option den Einsatz (wirklich) in einen humanitären Aufbaueinsatz umzuwandeln, der mit einem Minimum an militärischer Unterstützung auskommt. Wird von der Mehrheit soweit untersützt, sodass eine Demonstration zum sofortigen Abzug nicht hinreichend mobilisieren kann.

     

    Ich würde gegen "Krieg" in Afghanistan demonstrieren, aber nicht für einen sofortigen Abzug aller Truppen aus dem Land.

  • F
    Flo

    Achjaaaa...

     

     

    ...die *Friedensbewegung*...

     

    Wie stellt ihr euch eigendlich viele Sachen vor, wenn man jetzt mal in der realen Welt bleibt, und nicht in Utopien lebt? Und nach welchem Schema sucht ihr euch eigendlich "Friedensproteste" aus? Warum demonstriert niemand gegen die xxx Kriege und Konflikte in Afrika? Darauf sollte mensch mal aufmerkram machen. Ebenfalls sinnvoller wären mal ein paar Solidaritätsaktionen für die Menschen die auf den Straßen Teherans ständig ihr Leben riskieren. Ich glaub ihr demonstriert prizipell nur, wenn entweder die USA oder Israel in den Konflikt verwickelt ist. Denn dann hat man ja die Standart-Sündenböcke/ Feindbilder...

  • M
    Martin

    Vielleicht ist auch einfach mehr Deutschen klar, wem Sie mit einem fadenscheinigen "Anti-Kriegsprotest" in die Hände spielen, als gemeinhin geglaubt wird.

  • W
    Wolfgang

    Die meisten Menschen sind (nur) verbal gegen den Krieg (auch nur verbal gegen den Faschismus). Mit dieser falschen (geistigen) Einstellung und Verhaltensweise rechnen auch stets die Kriegstreiber - die ökonomischen und politischen Profiteure der Kriege. Diese falschen 'persönlichen' und gesellschafts-politischen Einstellungen sind von den Aggressions- und Kriegstreibern erwünscht. Kriegsgegnerschaft erfordert aktiven gesellschaftspolitischen Widerstand, Teilhabe und Teilnahme auf allen Ebenen der Gesellschaft. Die geografische "Entfernung" und "viele andere Sorgen", rechtfertigen kein "kann nichts tun" und den "Kopf in den Sand" stecken.

    Anmerkung: Die Quellen der Kriege finden sich auch in der deutschen Gesellschaft: Wirtschaft, Politik und Ideologie - in Geschichte und Gegenwart. In den ökonomischen und geopolitischen (-stets auch gesellschaftspolitischen-) Interessen: Rohstoff-, Energie-, Absatz-, Gewinn- und Profitinteressen; Sicherung von Gegenwarts- und Zukunftsinteressen der Industrie (Eigentümer und Aktionäre etc.); des realen us-amerikanischen, deutsch-europäischen Kapitals: Finanz- und Monopolgruppen (Wirtschaftsverbände und -Konzerne etc.) ...

  • H
    Hoast

    Die Schwierigkeiten bei der Mobilisierung gegen den Krieg in Afghanistan liegen nicht in der Abstraktheit und Ferne.

    Ist das Problem nicht vielmehr die Ignoranz, die -egal welchen - Demonstrationen entgegen gebracht wird? Ob gegen Krieg, für die Legalisierung von Hanf, gegen (schwachsinnige)Internetsperren, für ein anderes Bildungssystem... man wird nicht ernst genommen. Schade, so kann Demokratie nicht funktionieren. Schade auch, dass wir von ner Horde Anwälten regiert werden - so von wegen Parlament = Querschnitt der Bevölkerung.