Schutzquote für Afghanen: Bloß nicht nach Brandenburg
Die Schutzquote für Afghanen ist bundesweit hoch – nur in Eisenhüttenstadt nicht. Warum, kann das Bundesamt für Migration nicht wirklich erklären.
Doch kürzlich fiel einem Rechtsberater der Arbeiterwohlfahrt (AWO) Berlin-Mitte auf, dass Afghanen, die für ihr Asylverfahren in die Bamf-Außenstelle Eisenhüttenstadt verteilt wurden, inzwischen wieder oft abgelehnt werden. Um der Sache auf den Grund zu gehen, stellte Nicolas Chevreux eine Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgsetz (IFG). Und siehe da: In allen Bamf-Außenstellen betrug die „Schutzquote“ im ersten Quartal 2024 zwischen 85 und 100 Prozent, in den meisten sogar zwischen 94 und 100 Prozent. In Eisenhüttenstadt lag sie bei 51 Prozent. Die einzige andere Ausnahme war Nürnberg, aber da gab es auch nur 2 Fälle. In Eisenhüttenstadt waren es 194.
Die taz fragte bei der Behörde nach: Wie kann es sein, dass in Brandenburg – und nur dort – die Schutzquote für Afghanen auf einmal steil abfällt?
Die Antwort des Bamf: „In den in Brandenburg im 1. Quartal bearbeiteten Asylverfahren von Antragstellenden aus der Islamischen Republik Afghanistan war festzustellen, dass es sich zum Großteil um allein reisende, junge, gesunde und arbeitsfähige Männer handelte.“ Bei vielen von ihnen sei nach „sorgfältiger Einzelfallprüfung“ davon auszugehen, dass sie ihr Existenzminimum im Heimatland sichern könnten.
Nur junge Männer in Eisenhüttenstadt?
Den AWO-Rechtsexperten hat das nicht überzeugt – im Gegenteil. „Das kann nicht sein“, sagt er, denn zum einen habe das Geschlecht überhaupt keinen Einfluss auf die Verteilung der Asylbewerber innerhalb Deutschlands. In Eisenhüttenstadt müssten daher prozentual genauso viele alleinstehende Männer zu finden sein wie – sagen wir – in Karlsruhe (Schutzquote im ersten Quartal 2024: 100 Prozent).
Zum anderen, fragt Chevreux, selbst wenn man annehmen würde, dass in Eisenhüttenstadt viel mehr alleinstehende, junge Männer aus Afghanistan Asyl suchen würden als anderswo: „Wie will das Bamf erklären, dass die Schutzquote mancherorts bei 100 Prozent ist? Dass dort keine Männer leben?“ Zum Beispiel in Gießen, wo im ersten Quartal 2024 genau 1.241 Fälle entschieden wurden – und 99,7 Prozent Schutz bekamen. Darunter sollen keine „allein reisenden, jungen, gesunden und arbeitsfähigen Männer“ gewesen sein?
Auch die Asylexpertin von Amnesty International in Deutschland, Sophie Scheytt, findet die Sache merkwürdig. „Wenn sich die Schutzquote plötzlich halbiert, bedarf es dafür einer guten Begründung“, sagt sie auf taz-Anfrage. Die Erklärung des Bamf halte sie allerdings für „unzureichend“. „Das Amt müsste schon erklären, warum sich die Zuteilung der Flüchtlinge auf einmal geändert haben sollte.“
Das aber dürfte schwierig werden. Denn offenkundig hält das Bamf statistisch gar nicht fest, wie die demografische Aufschlüsselung der Asylbewerber aus Afghanistan nach Geschlecht, Alter „und danach, ob sie allein oder als Teil einer Familie reisen“, aussieht. Chevreux hatte nach der Antwort des Bamf genau dies mit einer weiteren IFG-Anfrage herausbekommen wollen. Und bekam am 24. Juni folgende Antwort: Man müsse ihm mitteilen, „dass die von Ihnen begehrten Informationen dem Bundesamt leider nicht vorliegen“.
Demografische Daten gibt es nicht
Das aber heißt: Die erste Erklärung, in Eisenhüttenstadt seien im fraglichen Quartal besonders viele „allein reisende, junge, gesunde und arbeitsfähige Männer“ im Verfahren gewesen, kann nicht stimmen. Denn laut seiner zweiten Antwort weiß das Bamf dies ja gar nicht. „Das Bamf sollte den plötzlichen Abfall der Schutzquote gründlich untersuchen und zeitnah eine überzeugende Begründung nachliefern“, so Scheytt.
Was aber könnte sonst die Abweichung erklären? Den Gedanken, es könnte an der Person liegen, die über die Anträge entscheidet, schließlich sind es einzelne „Entscheider“, die jeden Antrag prüfen und dann ihr Urteil fällen, weist das Bamf empört zurück. „‚Persönliche Befindlichkeiten‘ im Rahmen der Entscheidungsfindung der weisungsgebundenen Entscheidenden kommen hier selbstverständlich nicht zum Tragen, was durch die externe und interne Qualitätssicherung garantiert wird und bei Verstößen auch dienstrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen würde“, so ein Sprecher zur taz.
Das mit der „Qualitätssicherung“ ist aber so eine Sache. Eisenhüttenstadt ist schon in früheren Jahren durch besonders niedrige Anerkennungsquoten aufgefallen. Als 2018 die Bremer Bamf-Außenstelle bundesweit am Pranger stand, weil sie angeblich Hunderte Asylanträge ohne ausreichende Gründe bewilligt habe, deckte der Brandenburger Flüchtlingsrat einen ganz anderen „Bamf-Skandal“ in Eisenhüttenstadt auf.
Dort lag damals die Anerkennung für verschiedene Herkunftsländer auffällig unterhalb der bundesdurchschnittlichen Schutzquote. Kirstin Neumann vom Brandenburger Flüchtlingsrat erklärte seinerzeit, die Qualität der Brandenburger Entscheidungen sei oftmals mangelhaft, viele würden später vor Gericht kassiert. Ein Rechtsanwalt für Migrationsrecht in Frankfurt (Oder) bestätigte das damals.
Nach dem Mord von Mannheim
Und heute? „Auch aktuell scheint es Qualitätsmängel bei den Asylentscheidungen zu geben“, mit schnellen Verfahren, ohne ausreichende Asylverfahrensberatung vor der mündlichen Anhörung, so Neumann. „Das führt zwangsläufig zu Verfahrensfehlern, die dann in langwierigen Gerichtsverfahren korrigiert werden müssen.“
Die Frage bleibt: warum jetzt? Warum geht die Schutzquote nach unten, obwohl sich die politische Situation in Afghanistan eher noch verschlechtert hat? Für Neumann drängt sich der Eindruck auf, dass die verschärfte Abwehrpolitik in Migrationsfragen, die Brandenburg in den letzten Monaten fahre, „vor dem Bamf keinen Halt macht“.
Zu befürchten ist, dass die nach dem Polizisten-Mord in Mannheim auch in Berlin und Brandenburg lauter werdenden Forderungen aus der Politik, Abschiebungen von Straftätern nach Afghanistan wieder aufzunehmen, die Lage für afghanische Flüchtlinge allgemein unsicherer macht. Chevreux sagt, er habe den Eindruck, dass seit ein, zwei Monaten auch in Berlin die Zahl der Ablehnungsbescheide steigt, zumindest kämen mehr Menschen damit in seine Beratungsstelle. Er bekomme auch mehr Anfragen von Menschen, die bereits Schutz bekommen haben: „Viele haben Angst, dass der zurückgenommen wird und sie abgeschoben werden.“
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