Schutz im Schauspielhaus: „Ich finde das normal“
Hamburgs Schauspielhaus beherbergt Flüchtlinge auf der Durchreise. Selbstverständlich, sagt Intendantin Karin Beier – aber eigentlich Aufgabe der Stadt.
taz: Frau Beier, wie kam es dazu, dass Sie Flüchtlinge im Schauspielhaus übernachten lassen?
Karin Beier: Am Samstag, als die Demonstration von rechts angekündigt war, war Hamburg im Ausnahmezustand, vor allem am Hauptbahnhof. Es sind einige Rechtsradikale nach Hamburg gekommen, es gab eine große Gegendemonstration und ein wahnsinniges Polizeiaufgebot. Gleichzeitig sind viele Flüchtlinge auf der Durchreise nach Schweden hier gewesen. Sie kamen in eine Situation, die sich extrem bedrohlich anfühlte.
Wie kam das Theater ins Spiel?
Bei uns im Bahnhof gibt es einen Infopoint für Flüchtlinge und eine Organisation namens „refugees welcome – Karoviertel“, die im Hintergrund arbeitet. Diese beiden haben uns antelefoniert und gefragt, ob wir helfen können – das Schauspielhaus liegt ja direkt gegenüber. Ich habe gesagt: „Alle in die Kantine“. Damit hatten wir am Samstag zwischenzeitlich 300 Leute hier. Da die Züge zwischenzeitlich nicht weiterfuhren, wusste niemand, wie es weitergeht und da habe ich angeboten, dass, wenn die Leute stranden, wir irgendwie versuchen werden, dass sie hier übernachten.
49, ist seit der Spielzeit 2013/14 Intendantin des Hamburger Deutschen Schauspielhauses. Dort inszeniert sie in dieser Spielzeit Fellinis „Schiff der Träume“.
Wie ging es nach der Nacht vom Samstag weiter?
Am nächsten Tag hatten wir eine Ensembleversammlung und haben dann ein kleines Organisationsbüro eingerichtet. Mittlerweile übernachten im Schnitt 30 bis 40 Leute bei uns. Eigentlich finde ich, dass die Stadt die Situation klären müsste. Aber im Moment sieht es so aus, als ob die Hilfe am Bahnhof primär durch diese beiden privaten Organisationen geleistet würde. Wir bieten nur Schützenhilfe, mehr ist es nicht.
Kommen die Flüchtlinge, die bei Ihnen unterkommen, aus Syrien?
Die meisten – wobei es nicht so leicht zu eruieren ist. Wir versuchen uns sprachlich so gut wie möglich durchzukämpfen, aber immer klappt es nicht. Das Foyer des Malersaals ist jetzt mit Matratzen ausgelegt und die Leute vom Infopoint bringen uns vor allem Familien mit Kleinkindern.
Wer aus dem Haus beteiligt sich?
Alle – von Technik über Werkstätten, Verwaltung, Ensemble, Dramaturgie. Es ist Nachtarbeit, ich verordne den Leuten nicht, sich da zu beteiligen. Wir haben Listen gemacht und jeder, der meint, etwas beitragen zu können, trägt sich ein: Wer kann von zwölf bis zwei nachts, wer von zwei bis acht, wer putzt morgens. Wir haben Zahnbürsten und Unterwäsche besorgt. Jede Nachtschicht informiert die nächste, wie es läuft. Und es läuft immer besser.
Am Samstag ist Spielzeiteröffnung. Bleibt das Theater trotzdem offen für die Flüchtlinge?
Ja. Ich fände es ein ganz blödes Zeichen, wenn wir sagten: „Jetzt spielt das Theater, dann geht es nicht mehr“. Wir machen es genauso weiter. Vielleicht legen wir die Matratzen erst um elf statt um zehn Uhr aus. Wie lange wir es schaffen, wie lange wir Freiwillige haben, die zwischen zwei Uhr nachts und acht Uhr morgens Wache schieben, das weiß ich noch nicht. Wir machen ja alle nebenbei noch unseren Job.
Sie haben gesagt, dass Sie all das als Aufgabe der Stadt empfinden.
Ich möchte jetzt nicht auskeilen, weil ich nicht wirklich einen Überblick habe, was getan wird. Aber ich sehe, dass die Situation am Bahnhof manchmal kurz vor dem Kollaps steht. Ich habe gerade heute zum ersten Mal mit einem Politiker gesprochen und gebeten, dass wir Hilfe für die krassen Zeiten in den Nächten bekommen.
Es wird immer wieder gefordert, dass das Theater seinen Elfenbeinturm verlässt. Haben Sie sich das so vorgestellt?
Ich finde, dass man da unterscheiden muss. Unsere primäre Aufgabe ist das, was wir auf der Bühne leisten. Mit unserem Spielplan versuchen wir natürlich aktuelle Bezüge herzustellen, wir eröffnen unsere Spielzeit mit einer Fluchtgeschichte. Oder wir machen „Das Schiff der Träume“: Luxusdampfer trifft Flüchtlingsschiff. Dass wir aber unser Foyer für Flüchtlinge öffnen, ist keine Aktion des Theaters als Institution, sondern das private Engagement unserer Mitarbeiter. Das darf nicht verwechselt werden. Ich würde diese Aktion nicht damit verbinden wollen, uns als Theater zu profilieren.
Das Fernsehen hat nun ein ganz neues Interesse am Schauspielhaus: Gleich sechs Kamera-Teams wollten kommen.
Wir erlauben das nicht. Wir bieten Schutzraum, also auch Privatsphäre. Es fällt mir extrem auf, wie sehr sich die Leute zurückziehen wollen. Ich hätte das Gefühl, die Situation auf obszöne Art auszuschlachten, wenn wir Kamera-Teams erlaubten, dort herumzulaufen. Ich finde, das Medieninteresse sollte beim Infopoint am Bahnhof sein, die leisten die eigentliche Arbeit. Dass wir die Türen öffnen, darüber müssen wir eigentlich nicht reden.
Das müsste man den Hooligans am Bahnhof sagen.
Sie haben uns jetzt Hakenkreuze in die Eingangstüren geritzt. Aber ich kriege ohnehin immer fiese Briefe von denen, daran gewöhnt man sich. Aber wenn Sie mir einen Gefallen tun wollen: Es geht um die Mitarbeiter, nicht die Institution. Dass ein öffentliches Haus jetzt seine Türen öffnet, muss selbstverständlich sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!