Schummeleien im Sport: Lauter Albträume
Der Zorn über die manipulierten Anzüge der norwegischen Skispringer ist groß. Dabei gibt es ständig Schummeleien. Geschichten aus der Welt des Sports.
Anzüge und Moralkeulen
Wenn die Erzählung vom fairen Sport ihre Zerbrechlichkeit zeigt, dann mobilisieren die Moralhüter umso mehr ihre Kräfte. Das kann man derzeit am sogenannten Anzugskandal, wahlweise ist auch vom „Anzug-Gate“ die Rede, bei der zurückliegenden Nordischen Ski-WM in Norwegen beobachten. Die Gastgeber wurden durch ein unzureichend verhängtes Fenster heimlich gefilmt, als sie einen Anzug ihrer Skispringer mit der Nähmaschine bearbeiteten. Cheftrainer Magnus Brevig war dabei. Die Aufnahmen führten zur Kontrolle der Bekleidung von Silbergewinner Marius Lindvik und Johann André Forfang. Ein eingenähtes festes Band, das die Flugeigenschaften begünstigt, wurde entdeckt.
Johan Remen Evensen, ehemaliger Skispringer
Zeitungen berichten von einem der schlimmsten Skandale im Wintersport der letzten Jahrzehnte. Es entstehe ein Bild von einem „Spielplatz für Betrüger“, klagte etwa die polnische Zeitung Gazeta Wyborcza. „Von Norwegen hätten wir das nicht gedacht“, bemerkte die schwedische Zeitung Aftonbladet. Die Berichterstattung der letzten Jahre legte in der Tat häufig den Eindruck nahe, Sportbetrug sei eigentlich ein russisches Phänomen. Auch ehemalige Skispringer wie Sven Hannawald entrüsteten sich. „Wahnsinn, die riskieren unsere Sportart“, wütete der heutige TV-Experte. „In meinem schlimmsten Albtraum hätte ich nicht gedacht, dass es so weit kommt.“
Der deutsche Schriftsteller und Philosoph Wolfram Eilenberger schrieb einmal zur behaupteten Fairness und Moral im Sport: „Jedes Dschungelcamp ist ethisch würdiger.“ Andererseits wird in nur wenigen anderen Bereichen die Moralkeule so leicht geschwungen. Die Debatte ist reichlich bigott. Freilich stößt das gerade den Norwegern auf. Offen äußern sich diejenigen, die ihre Karriere bereits beendet haben wie der Skisprung-Olympiasieger Daniel-André Tande. Er habe früher auch mit den Anzügen betrogen, räumte er nun ein. „Absolut jeder macht es.“ Und sein Landsmann Johan Remen Evensen erklärte: „Der Grundsatz im Sport lautet: Wenn du nicht erwischt wirst, hast du nicht betrogen.“ Anbei ein paar Geschichten derer, die das Pech hatten, erwischt zu werden.
Der andere Anzugskandal
Als die deutsche Skispringerin Katharina Schmid, damals unter ihrem Geburtsnamen Althaus, aus dem Mixed-Wettbewerb um eine olympische Medaille in Peking genommen wurde, war die Empörung ebenfalls groß. Allerdings richtete sie sich gegen die Materialkontrolleure. Schmid, die wie vier weitere Springerinnen wegen eines zu weiten Anzugs disqualifiziert wurde, schimpfte, der Weltverband FIS zerstöre das Frauen-Skispringen.
Von einem „Skandal“ sprach der DSV-Sportchef Horst Hüttel. Die Argumente für die Verärgerung waren durchaus nachvollziehbar. Mit unterschiedlichem Maß, hieß es, werde geurteilt. Die beanstandeten Anzüge seien bei den Wettbewerben zuvor, als wohl mit geringerer Strenge begutachtet wurde, noch durch die Kontrolle gekommen. Offenbar war es in einigen Fällen zur Regel geworden, Regeln zu überschreiten. Es hatte sich ein Graubereich etabliert. Dass auch das deutsche Team offenbar jenseits des eigentlich Erlaubten experimentierte, wurde als legitim erachtet. Frei nach dem Motto: Wenn andere auch betrügen, hast du nicht betrogen.
Nur das Rad eines Freundes
Es ist eine reichlich verworrene Geschichte. Das Rennen, das sie im Januar 2016 ihre Karriere kostete, konnte Femke Van den Driessche wegen eines Defekts gar nicht beenden. Zum Verhängnis wurde ihr ein Ersatzrad, das an dem Tag gar nicht zum Einsatz kam. Und wirklich kaum glaubhaft soll sie nicht einmal die Besitzerin dieses etwas zu speziellen Rennrads gewesen sein. Als eine der Favoritinnen war die damals 19-jährige Belgierin bei dem Querfeldeinrennen der U23-WM in ihrem Heimatland gestartet. Bei einer Routinekontrolle nach dem Rennen wurden im Sattelrohr des besagten Ersatzrads Kabel und ein Elektromotor gefunden.
„Das Rad gehört einem Freund. Er hat es mir am Ende der vergangenen Saison abgekauft, es ist das gleiche wie das, welches ich benutze“, erklärte Van den Driessche. Der Freund, der auch ihr Betreuer sei, habe sein Rad vor dem Rennen am Lastwagen abgestellt. Ein Mechaniker habe es für ihres gehalten, es gereinigt und mitgenommen. Als nicht entlastend bewertete der Weltverband UCI die Erzählung der U23-Europameisterin von 2015, sperrte Van den Driessche für sechs Jahre und erkannte ihr alle Titel ab. Sie hatte allerdings bereits während der Anhörung ihr Karriereende verkündet.
Des Motordopings wurden auch der Schweizer Zeitfahren-Olympiasieger Fabian Cancellara verdächtigt. Allerdings konnte das nie belegt werden. Er selbst wies die Anschuldigungen empört zurück: „Ich bin geradezu sprachlos. Meine Siege sind das Ergebnis harter Arbeit.“
„Nationale Schande“
Wie schwerwiegend das Vergehen im März 2018 war, unterstrich damals die Wortmeldung von Australiens Premierminister Malcolm Turnbull. Er sei „zutiefst schockiert“ und erwarte vom australischen Cricketverband „eine deutliche Reaktion“. Von einem „Tag der nationalen Schande“ sprach gar Jimmy Maher, der ehemalige Profi und Weltmeister von 2003. Es ging um Ballmanipulation, für das im Cricket eigens die Bezeichnung „ball tampering“ gebräuchlich ist.
Steve Smitz, der Kapitän der australischen Nationalmannschaft, sein Vize David Warner und Cameron Bancroft hatten sich im Vorfeld des Länderspiels gegen Südafrika darauf verabredet, den 160 Gramm schweren Ball unberechenbarer zu machen. Mithilfe eines Klebebands, wie TV-Bilder nachwiesen, nahm Werfer Bancroft Sandkörnchen vom Spielfeldrand auf und verrieb sie mit dem Ball, um dessen Flugbahn zu verändern und dem gegnerischen Schlagmann damit seine Aufgabe schwerer zu machen. Die Folge waren Sperren der Beteiligten von neun bis zwölf Monaten. Selbst der Gentlemen’s Sport Cricket ist vor Betrugsgeschichten nicht gefeit.
Treffer auf Knopfdruck
Auf der Website des Internationalen Olympischen Komitees wird Boris Onyschtschenko zum „wohl hinterlistigsten Betrüger der olympischen Geschichte“ geadelt. Er hob die Manipulation auf ein neues Niveau, heißt es dort fast schon mit einer gewissen Anerkennung. Nachträglich wurde dem Modernen Fünfkämpfer, der für die Sowjetunion antrat, also gewissermaßen die Goldmedaille in der Disziplin olympischer Betrug umgehängt.
Mit dem wachsenden zeitlichen Abstand scheint das moralische Fallbeil der Sporthüter an Schärfe zu verlieren. Obwohl Onyschtschenko, Major der Roten Armee, bei den Olympischen Spielen in Montreal 1976 im Teilnehmerfeld der beste Degenfechter war, hatte sich der 38-Jährige doppelt abgesichert. Seine Waffe war manipuliert. Der Linkshänder brauchte nur mit dem Ringfinger einen eingebauten und mit Wildleder ummantelten Metallknopf zu drücken, um einen Treffer auf der Anzeigetafel für sich zu verbuchen. Im Mannschaftswettbewerb beschwerte sich bereits sein britischer Gegner Adrian Parker, dass zu Unrecht ein Treffer zugunsten von Onyschtschenko gewertet wurde.
Überführt wurde er im darauffolgenden Gefecht auf Initiative von Jeremy Fox, der sich ebenfalls trotz angezeigten Treffers unberührt wähnte und auf eine Überprüfung der russischen Waffe bestand. Es folgte die Disqualifikation von Onyschtschenko. Und es wird erzählt, dass ihn danach das sowjetische Staatsoberhaupt Leonid Breschnew zum Gespräch vorlud.
Wer betrügt hier wen?
Mitunter ist es nicht so einfach festzustellen, wer denn wen verschaukelt. Das veranschaulicht die Geschichte der disqualifizierten Rodlerinnen aus der DDR bei den Olympischen Winterpielen 1968 in Grenoble. Ortrun Enderlein, Anna-Maria Müller und Angela Knösel lagen vor dem entscheidenden dritten Lauf auf den Plätzen eins, zwei und vier. Der polnische Rodelverbandspräsident und Juryvorsitzende Lucjan Świderski stellte nun fest, dass die Kufen der DDR-Schlitten verbotenerweise erhitzt wurden, was bei den Winterspielen zuvor noch erlaubt war.
Sein Analyseverfahren gehorchte nicht unbedingt strengsten wissenschaftlichen Kriterien. Er ließ, so wird berichtet, Schnee über die Kufen rieseln, um zu sehen, ob er schmilzt, und traf dann sein Urteil. Einige westdeutsche Medienorgane hatten dennoch inmitten des Kalten Kriegs keinerlei Zweifel an der Diagnose und beschimpften die DDR-Sportler als „Lügner“ und „Betrüger“. Im Jahr 2006 tauchte ein 37-seitiges Dossier aus dem Ministerium für Staatssicherheit auf, das wiederum eher auf Korruption schließen lässt. Der polnische Sportfunktionär soll vorab einen Gratisurlaub in Österreich genossen haben. Mit Sicherheit lässt sich nur sagen, dass eine Manipulation vorlag. Dafür eignet sich die Bühne des Sports einfach bestens.
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