Schulreform in NRW: Klage stoppt Gemeinschaftsschule
Zwei kleine sauerländische Gemeinden bringen die rot-grüne Regierung in NRW in die Bredouille. Sie klagen erfolgreich gegen die Einführung der Gemeinschaftsschule.
KÖLN taz | Die "Perspektivschule Finnentrop" ist eine von 14 Gemeinschaftsschulen, die zum kommenden Schuljahr an Rhein und Ruhr eröffnen sollten. Bei ihrer Genehmigung berief sich Landesbildungsministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) auf den Paragrafen 25 des NRW-Schulgesetzes, der Schulversuche zulässt, wenn sie "dazu dienen, das Schulwesen weiterzuentwickeln". Die Gemeinden Attendorn und Lennestadt hatten geklagt, weil sie um ihre eigenen Gymnasien fürchten.
Das Arnsberger Gericht gab ihren Eilanträgen jetzt statt, weil es nur "ergebnisoffene Schulversuche als atypische Ausnahmen" für zulässig hält. Die geplante Gemeinschaftsschule in Finnentrop sei jedoch "Teil einer systematischen, über punktuelle Projekte hinausgehenden Einführung einer neuen Schulform". Das ergebe sich unter anderem aus dem rot-grünen Koalitionsvertrag vom Sommer vergangenen Jahres. Darin heißt es: "Es ist unser Ziel, in den nächsten fünf Jahren mindestens 30 Prozent der allgemeinbildenden Schulen in der Sekundarstufe I zu Gemeinschaftsschulen umzuwandeln." Ein solches Vorgehen erfordere jedoch ein "entsprechendes verfassungskonformes formelles Gesetz", und das fehle.
Tatsächlich ist die Etablierung der Gemeinschaftsschule das zentrale bildungspolitische Projekt von Rot-Grün. Zum Konzept der neuen Schulform, einer Art Gesamtschule light, gehört, dass die Schüler zumindest in der 5. und 6. Klasse gemeinsam lernen. Außerdem sollen alle Abschlüsse inklusive des Abiturs erreicht werden können.
Bildungsministerin Löhrmann erhofft sich davon zum einen eine Verbesserung der Bildungschancen sozial benachteiligter Kinder. Zum anderen will sie kleineren Städten und Gemeinden die Möglichkeit eröffnen, trotz zurückgehender Schülerzahlen ein wohnortnahes und umfassendes Schulangebot vorzuhalten. So zählen zu den ersten genehmigten Gemeinschaftsschulen zwar auch zwei in Köln und eine in Bochum, die meisten jedoch sind auf dem platten Land: in Ascheberg, Billerbeck, Blankenheim-Nettersheim, Burbach, Kalletal, Langenberg, Lippetal, Morsbach, Neuenrade, Rheinberg und eben Finnentrop.
Die Arnsberger Entscheidung ist ein schwerer Schlag für Löhrmanns Vorhaben, die Gemeinschaftsschule in NRW möglichst geräuschlos von unten einzuführen. So hat sie sich bisher bewusst Zeit gelassen mit der angestrebten gesetzlichen Verankerung der Gemeinschaftsschule, wollte zunächst bis zu 50 Gemeinschaftsschulen als Schulversuch genehmigen, um behutsam "einen Schulkonsens für den parlamentarischen Raum vorzubereiten". Noch will sie daran festhalten.
Auch wenn Finnentrop jetzt erst mal auf Eis liegt, könnten die anderen 13 Schulen den Unterrichtsbetrieb nach den Sommerferien aufnehmen, versicherte Löhrmann am Mittwoch: "Eine Prüfung hat bestätigt, dass die übrigen Gemeinschaftsschulen rechtskräftig genehmigt sind." Gegen den Arnsberger Beschluss hat sie Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht Münster eingelegt und verweist auf eine gegenteilige Entscheidung des Verwaltungsgerichts Aachen vom Februar, das ihre Rechtsauffassung bestätigt habe.
Für FDP-Landtagsfraktionschef Gerhard Papke steht die Landesregierung hingegen "vor dem Trümmerhaufen ihrer Schulpolitik". Er forderte, den Modellversuch Gemeinschaftsschule "umgehend zu stoppen".
Auch CDU-Fraktionschef Karl-Josef Laumann sprach von einer "gewaltigen Klatsche". Nun seien Gespräche über einen "Schulfrieden" notwendig. Von einer Gemeinschaftsschule, in der auch nach Gymnasialstandards unterrichtet wird, hält Laumann nichts. Schließlich müsse jemand, der Schlosser werden will, "Dreisatz können und nicht eine dritte Fremdsprache".
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Wahlprogramm der FDP
Alles lässt sich ändern – außer der Schuldenbremse
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil
Migration auf dem Ärmelkanal
Effizienz mit Todesfolge