piwik no script img

Schule und EU-WahlenMänner erklären der Jugend Europa

Im Carl-von-Ossietzky-Gymnasium in Berlin-Pankow stellen sich lokale Kandidaten den Schüler*innen-Fragen. Das Podium kommt ohne Frauen aus.

Wahlwerbung der Grünen für die EU-Wahlen Foto: imago-images/STPP

Berlin taz | Eine Frauenquote von 0 Prozent – das geht gar nicht. Vertreter aller Bundestagsparteien, also Linke, Grüne, SPD, FDP und AfD, machen an diesem Montagabend in meiner Schule, dem Carl-von-Ossietzky-Gymnasium im Berliner Stadtteil Pankow, eine Podiumsdiskussion zur Europawahl.

Gekommen sind Arturo Winters (SPD), Timo Bergemann von den Jungen Liberalen, der Grüne Janik Feuerhahn, Niklas Schrader von der Linken und Dr. Michael Adam von der AfD. Hildegard Bentele (CDU) hat keine Zeit.

Vorher haben die Schüler*innen viel über die Beteiligung der AfD geredet. Auf einem Flugblatt stand: „Wer die AfD zu einer Podiumsdiskussion einlädt, nimmt sie nicht nur als normale demokratisch legitimierte Partei ernst, sondern bietet ihnen auch Raum für ihren Wahlkampf“ und „Carl von Ossietzky war ein bekennender Antifaschist und Flüchtling vor dem NS-Staat“. Das alles hat aber nichts gebracht und der AfD-Vertreter ist trotzdem da.

Es sind vielleicht 100 Leute im Saal – die meisten aus der Oberstufe und nur wenige aus den unteren Klassen. Und dann noch einige Lehrer*innen und Eltern. Die Themen sind Klimawandel, Digitalisierung, die Lage junger Menschen und die Rolle der Regionen Europas. Vieles ist für mich ganz schön schwer zu verstehen.

Künstliche Intelligenz

Bei der Digitalisierung geht es um Fluggastdatenspeicherung und Uploadfilter und darum, das Internet demokratisch zu halten. Und um künstliche Intelligenz. Der Grünen-Politiker sagt, er finde Digitalisierung gut, das schaffe neue Jobs, und er sei für ein europäisches Zentrum für künstliche Intelligenz. Der Linken-Vertreter sagt, wir sollten erst mal unser Netz in Deutschland ausbauen.

Ich weiß wenig über Digitalisierung, dafür interessiere ich mich gar nicht. Das finde ich eher unheimlich und künstliche Intelligenz macht mir richtig Angst.

Die junge Leute seien heute wieder politischer, sagen die meisten Politiker. Deshalb werde es auch wieder eine höhere Wahlbeteiligung geben. Die meisten finden, man solle ab 16 wählen dürfen. Außer dem AfD-Vertreter. Der sagt, er fände 16 zu jung. Früher habe man erst mit 21 wählen dürfen.

Der AfD-Politiker sagt dann noch was über Wissenschaftler. Dass die meisten internationalen Forscher nicht nach Deutschland wollen, sondern in die USA. Hier in Deutschland bekämen sie nur eine kleine Wohnung und müssten Fahrrad fahren. Aber in Amerika kriegen sie ein Haus am See, einen schicken Flitzer und vielleicht auch noch eine hübsche Frau dazu. Da rufen dann einige Schüler sofort „Sexismus!“. Stimmt ja auch.

Duzen und siezen

Wäre die AfD nicht dagewesen, hätte es gar keine Diskussion gegeben. Weil alle anderen Parteien sich relativ ähnlich sind. Die duzen sich auch alle. Nur den Mann von der AfD siezen sie.

Die Grünen werden gefragt, warum sie für Digitalisierung seien, weil dabei doch auch viel CO2 ausgestoßen werde. Der Grüne antwortet, auch Digitaltechnik müsse mit erneuerbarer Energie produziert und betrieben werden.

Ich lerne, dass es bei den Grünen immer vor allem ums Klima geht. Ich frage mich, warum auf deren Plakaten dann ein „FCK NZS“-Sticker aufgedruckt ist, weil die ja irgendwie gar nicht so links und antifaschistisch sind, sondern eher so eine Mittelposition haben.

Einer fragt noch den Linken-Poliker: „Was sagen Sie zur Antifa? Die haben ja beim G20-Gipfel in Hamburg so viel randaliert. Können Sie sich mit denen identifizieren?“ Niklas Schrader erklärt, dass Gewalt als politisches Mittel schlecht sei. Aber auch, dass „Antifa“ ja erst mal die Abkürzung für „Antifaschismus“ ist und dass das keine politische Gruppe, sondern eine Einstellung sei.

Der AfD-Politiker ist viel weniger rechts als die im Bundestag. Der haut nicht so den Gauland raus und sagt „Holocaust war nur ein Vogelschiss“. Eigentlich will ich noch nach den Widersprüchen in der AfD fragen. Warum Alice Weidel als lesbische Frau verheiratet ist, in der Schweiz gelebt hat und ein schwarzes Kind hat, obwohl die AfD doch gegen alles das ist. Aber dann sind die zwei Stunden doch zu schnell rum.

Der Autor ist Schüler, 13 Jahre alt und Siebtklässler

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Zunächst Gratulation zu dem wirklich gelungenen Text. Aber:



    OMG. Es hat eine Podiumsdiskussion in einer Schule gegeben. Wen interessiert das?



    Und es gab eine schulische Veranstaltung ohne eine Frau auf dem Podium, WOW!



    Könnte jemand gelegentlich eine Liste der schulischen Veranstaltungen in D ohne Mann auf dem Podium posten? Nein? Interessiert niemanden, gell?



    Eben.

  • Ein schöner Text. In der Tat stelle ich mir eine solche Podiumsdiskussion erst mal verwirrend vor, wenn man gerade in politische Themen einsteigt. Dass dort keine Frau war, ist mal wieder bezeichnend, wird sich aber hoffentlich in den nächsten Jahren endlich ändern. Und dass der AfD-Mensch gemäßigt wirkte, liegt wohl daran, dass er mit den menschenverachtenden und rassistischen Positionen seiner ParteikollegInnen in einer Schule schwer angeeckt wäre. Eine der Strategien der Rechten ist die Verstellung. Kurz verplappert hat er sich in dem Moment, als er Frauen mit Statussymbolen gleichgesetzt hat. Super Reaktion der SchülerInnen! :)