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Schule in der PandemieDer Traum von der Präsenz

Wie waren anderthalb Jahre Schule während der Pandemie, und wie soll es weitergehen? 4 Protokolle.

Sie können Pandemie: Schü­le­r*in­nen einer 4. Klasse beim morgendlichen Coronatest im April Foto: Daniel Biskup

„Nicht wieder zu sehr lockern“

Ich bin 16 Jahre alt, komme bald in die elfte Klasse und wohne in Sulzbach. Das ist ein Dorf in der Nähe von Mosbach in Baden-Württemberg. Die Coronakrise hat mich von Anfang an stark getroffen, sowohl privat, als auch, was die Schule angeht: Davor war ich oft bei meinen Großeltern auf dem Bauernhof. Ich habe dort Ponys, die ich versorge und reite. Normalerweise ging es danach zum Kuchenessen und Quatschen zu Oma. Das ging dann nicht mehr, weil meine beiden Großeltern in der Risikogruppe sind. Auch meine Uroma konnte ich während des Lockdowns nicht sehen. Sie kam in der Zeit in ein Pflegeheim und ist gestorben. Ich habe ihre letzten Monate gar nicht mehr mitgekriegt. Das hat mir sehr weh getan.

In der Schule war es auch schwierig. Die Zeit am Bildschirm macht einen richtig müde und kraftlos und man hat auch keine Lust mehr, sich zu melden. Teilweise war der Unterricht ein Vortrag von den Lehrern, besonders, wenn wir zehn Stunden am Stück hatten. Da hatte am Ende keiner mehr Bock. Immerhin hatte ich an meiner Schule von Anfang an nach Stundenplan Unterricht. Trotzdem fehlt uns jetzt viel Stoff. Online fällt das Lernen viel, viel schwerer. Man kann sich weniger konzentrieren, versteht weniger und traut sich auch nicht so nachzufragen wie in Präsenz.

Gerade in den Fächern, die mir schwerer fallen, bin ich gar nicht mehr mitgekommen. Auch der Kontakt mit Freunden ist ziemlich ins Schleifen gekommen. Normalerweise habe ich meine beste Freundin jeden Tag gesehen. Ganz am Anfang von Corona haben wir nur noch telefoniert, weil uns alles andere zu heikel war. Irgendwann haben wir uns dann doch getroffen – mit Abstand, Maske und im Freien. Auch meine Schulfreunde habe ich fast nur im Online-Unterricht gesehen. Bis heute treffe ich sie nur draußen, denn viele wohnen mit Oma und Opa im Haus.

Fürs nächste Schuljahr wünsche ich mir, dass die Maskenpflicht oder zumindest das Testen bestehen bleibt, um ein bisschen Sicherheit zu haben, auch wegen meiner Großeltern. Und dass nicht wieder zu sehr gelockert wird, die Inzidenz steigt und wieder alles zumachen muss. Das ist einfach kein Leben. Mittlerweile bin ich 16 und der Lockdown hat angefangen, da war ich 14.

Ich habe das Gefühl, einen großen Teil meiner Jugend verpasst zu haben. Deswegen wünsche ich mir, dass wir ein Stück von unserem Leben zurückbekommen, aber weiterhin aufpassen und die Normalität nicht gleich wieder aufs Spiel setzen. Für die Schule wünsche ich mir, dass wir mehr nachholen, damit wir im Abi nicht ganz verloren sind.“

Celina, 16, kommt nach den Sommerferien in die 11. Klasse eines Gymnasiums in Mosbach.

„Die Hilfsangebote sind ausgeschöpft“

Ich wohne in Leipzig, bin Vater von drei Kindern und grundsätzlich zufrieden mit meinem Leben. Einen großen Teil meines Alltags als Schulsozialarbeiter machen Beratungsgespräche aus. Ich mag meine Arbeit, auch wenn es anstrengend ist, Privates und Berufliches unter einen Hut zu bringen.

Während des Lockdowns musste ich die Beratungsgespräche digital führen. Denn selbst wenn ich vor Ort arbeiten konnte, habe ich eine leere Schule vorgefunden. Mit einigen Schü­le­r:in­nen konnte ich gar nicht sprechen, weil die technischen Voraussetzungen fehlten. Um die Schü­le­r:in­nen zu erreichen, bin ich dann zu ihnen gefahren und mit ihnen und ihren Eltern gemeinsam spazieren gegangen. Trotzdem gab es einen großen Einbruch bei den Beratungsgesprächen. Viele Schü­le­r:in­nen haben sich stark zurückgezogen – nicht nur der Schule gegenüber, auch der Kontakt zu ihren Mit­schü­le­r:in­nen hat sich drastisch reduziert.

Für die Zeit nach den Sommerferien ist es besonders wichtig, den Fokus auf die psychische Gesundheit der Schü­le­r:in­nen zu legen. Ich habe in meinem ganzen Berufsleben noch nie so häufig psychische Auffälligkeiten erlebt wie jetzt. Vor der Pandemie lag mein Fokus auf Konflikten unter den Schüler:innen. Jetzt liegt er bei Themen wie Schulangst, Schulabstinenz, Zurückgezogenheit und anderen Angstsymptomen. Und es ist derzeit besonders schwierig, sich Hilfe zu holen, da die Hilfsangebote ausgeschöpft sind.

Einigen Schü­le­r:in­nen ist es gelungen, auch während des Lockdowns strukturiert zu arbeiten. Extrem vielen ist das aber nicht gelungen, die haben dann irgendwann gar nichts mehr gemacht und waren meistens auch schwer erreichbar. Sie stehen jetzt vor einem Berg, den sie nicht alleine überwinden können, und bleiben der Schule fern. Wir müssen also die Lehrpläne überarbeiten und schauen, was wirklich notwendig ist. Auf Noten sollte der Fokus nicht liegen.“

Mir persönlich ist die Koordination zwischen Beruf und Familie sehr schwer gefallen. Zwei meiner Kinder konnten nicht zur Schule gehen, das dritte nicht in den Kindergarten. Während ich im Homeoffice arbeitete, hatten die Kinder auch Bedürfnisse, um die ich mich kümmern musste.

Insgesamt hoffe ich, dass nach den Sommerferien die Schulen offen bleiben. An unserer Schule hat das Hygiene- und Testkonzept gut funktioniert. Selbst nachdem Fälle auftraten, mussten dank der Konzepte nicht alle Kinder sofort in Quarantäne. Ich denke, mit guten Strategien ist das durchaus möglich, es muss nur richtig umgesetzt werden.

Christian Braun-Weidemann ist seit mehr als 7 Jahren Schulsozialarbeiter in Sachsen.

„Noch nie so sehr auf die Ferien gefreut“

Gerade sind bei uns in Nordrhein-Westfalen Sommerferien. Ich habe mich noch nie so sehr auf die Ferien gefreut, selbst als Schülerin damals nicht. Ich habe diese Sommerferien wirklich sehr dringend gebraucht. Das Coronaschuljahr war für mich verrückt und anstrengend zugleich. Ich bin Referendarin und schon als ich im Frühjahr 2020 das erste Mal an die Schule kam, glich sie einer Geisterschule.

Man hatte überhaupt keine Möglichkeit, die Schülerschaft irgendwie kennenzulernen und auch unser Lehrerzimmer war wie leer gefegt. Zum Glück sah es nach den Sommerferien besser aus. Bis zu den Weihnachtsferien lief ein halbwegs normales Schulhalbjahr, wenn man davon absieht, dass die Schüler Masken trugen und ich nur ihr halbes Gesicht kennenlernen konnte.

Als Berufsanfänger, der auch ein bisschen ausprobieren möchte, war ich durch die vielen Regelungen sehr eingeschränkt. Vor allem der Sportunterricht hat unter Corona extrem gelitten. Nach der richtigen Lockdownphase, die auf Weihnachten folgte, hat man gemerkt, wie die Kinder extrem träge wurden. Aber auch bei mir selbst habe ich das bemerkt. Ich habe zwar versucht, die Schüler irgendwie online zu motivieren, mit: Hey, probiert mal diese Bewegungschallenge und geht laufen, aber eigentlich sah es bei einem selbst mit der Motivation nicht viel besser aus.

Die Schüler haben mir auch echt gefehlt. Videokonferenzen können das wirkliche, physische Beisammensein nicht mal ansatzweise ersetzen. Bei uns an der Schule gab es keine Verpflichtung, die Kamera während der Videokonferenzen anzuschalten, und gerade in den oberen Jahrgängen hat man dann oft in einen schwarzen Orbit reingesprochen.

Ein richtiger Alltag hat sich während der ganzen Pandemie nicht eingestellt. Hatte man sich gerade ansatzweise an das eine gewöhnt, wurde das schon wieder über Bord geworfen. Bescheid bekommen hat man immer sehr kurzfristig. Das war sehr frustrierend, gerade als Referendar, wo man auch Unterrichtsbesuche absolvieren muss. In meiner Bilanz überwiegt das Chaos.

Umso mehr habe ich mich gefreut, als jetzt vor den Ferien die Schüler noch mal in die Schule kamen. Ich hoffe, dass es nach den Sommerferien halbwegs normal weitergeht, in voller Klassenstärke und in Präsenz. Schule kann nicht ersetzt werden. Man könnte zwar jetzt fleißig Pläne machen für verschiedene Szenarien, doch wahrscheinlich läuft es darauf hinaus, dass man wieder erst drei Tage vorher wirklich weiß, wie es weitergeht.

Joan Dekker ist seit Mai 2020 Lehramtsreferendarin an einem Gymnasium in Düsseldorf für die Fächer Biologie und Sport.

„Ohne Hilfe der Leh­re­r:in­nen verzweifelt“

Ich habe im Juni diesen Jahres mein Abitur geschrieben und danach einen Ferienjob hier in Berlin angefangen. Ich stehe um 4.30 Uhr auf, gehe zur Arbeit und komme um 18.30 wieder zurück, nur um dann direkt wieder ins Bett zu fallen und am nächsten Tag erneut früh aufzustehen. Mir geht’s aber im Großen und Ganzen ganz gut. Ich bin relativ zufrieden, auch wenn mich die Frage quält, wie es weitergeht, jetzt, wo Schule vorbei ist.

Corona war eine Herausforderung. Zuvor hatten wir jeden Tag einen regulären Ablauf, wir sind um sechs aufgestanden und zum Unterricht gefahren. Auf einmal mussten wir den Unterricht von zu Hause aus machen. Niemand wusste, wie lange das dauern würde. Zunächst gab es nur einen provisorischen Onlineunterricht, in der Hoffnung, dass es bald vorbei wäre.

Irgendwann ist unsere Schule dann zu Microsoft Teams gewechselt, damit hatten wir anderen Schulen gegenüber einen großen Vorteil. Wir hatten eine Plattform, die funktionierte, und waren nicht auf die Plattform des Berliner Senats angewiesen, die immer wieder zusammengebrochen ist.

Ich hatte zu Hause die notwendige Ausrüstung wie PC und Tablet, womit ich dem Unterricht gut folgen konnte. Aber manche meiner Klas­sen­ka­me­ra­d:in­nen mussten sich mit drei Geschwistern und den Eltern einen PC teilen. Das hat natürlich gar nicht funktioniert. Zwei, drei Monate nach Beginn der Pandemie hat die Schule angeboten, dass man ihre Rechner vor Ort nutzen kann. Das waren aber nur circa drei PCs und hat nicht für sämtliche Schü­le­r:in­nen gereicht, die einen benötigt hätten.

Insbesondere das Abi war schwierig. Viele Fragen, die wir im Onlineunterricht gestellt haben, sind bis heute unbeantwortet geblieben, weil es zu viele Fragen gab und manche in der Menge untergingen. Das hat bei einigen Mit­schü­le­r:in­nen Panik verursacht, denn wir waren nicht gut genug auf unser Abi vorbereitet. Viele, teilweise auch ich selbst, sind ohne die Hilfe der Leh­re­r:in­nen am Lernen und Selbsterarbeiten verzweifelt – auch wenn die Leh­re­r:in­nen versucht haben, uns zu unterstützen.

Ich hätte mir gewünscht, dass die Politik mehr Mittel zur Verfügung gestellt hätte. Vielen aus meinem Freundeskreis hat es den Abischnitt gekostet, weil sie im Homeschooling nicht gut arbeiten konnten. Sie konnten selbst nichts dafür. Und die Bemühungen, uns das Abi zu erleichtern, gingen nicht weit genug. Ich kann das Argument, dass man uns nicht bevorzugen wollte, schon nachvollziehen. Aber so, wie es letztendlich ablief, war es uns gegenüber sehr unfair.

Bjarne, 18, hat in diesem Jahr an einem Berliner Gymnasium sein Abitur gemacht.

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