Schützen laden Gysi aus: Linker unerwünscht
Der General der Wildeshauser Schützengilde hat Gregor Gysi als Ehrengast zum traditionellen Schaffermahl eingeladen. Aber seine Schützen steigen ihm aufs Dach.
OLDENBURG taz | An Tradition mangelt es der Schützengilde im niedersächsischen Wildeshausen nicht. Mehr als 600 Jahre alt will sie sein. Auch ihr Schaffermahl, ein Gelage mit Hering, Schnaps und mittlerweile rauchfreiem „Tabakskollegium“, sei erstmals 1492 erwähnt worden und damit „älter als das Bremer Schaffermahl“, wie stolz verlautbart. Und nicht jeder Schützenverein verfügt über ein Offizierskorps, einen Oberst und sogar einen General. Gegen letzteren meutert die Schützentruppe jetzt allerdings.
Der Wildeshauser Bürgermeister Kian Shahidi, Kraft seines Amtes zugleich der General der Schützengilde, hat den Zorn seiner Schützen auf sich gezogen: Zum diesjährigen Schaffermahl am 13. März hatte er als Ehrengast und Festredner Gregor Gysi eingeladen. Das Offizierskorps lud den Linke-Politiker sogleich wieder aus. Begründung: Es gebe eine „geltende Regelung“, nach der „vor Landtags und Bundestagswahlen keine politischen Gäste als Ehrengäste/Festredner einzuladen sind“, heißt es in einer Pressemitteilung.
Nur hieß der Festredner im Bundestagswahljahr 2009 Philipp Rösler. Gegen den FDP-Politiker schien seinerzeit niemand etwas zu haben. Ebenso wenig gegen SPD-Urgestein Karl-Heinz Funke, der beim Schaffermahl vor der niedersächsischen Landtagswahl 2008 Ehrengast war. Wenige Wochen nach der Wahl kam der damalige CDU-Landesvater David McAllister vorbei – ganz untraditionell.
Auf Anfrage mag sich der Oberst des Offizierskorps der Schützen nicht weiter äußern; Gilde-Sprecher Manfred Krug verweist kühl auf die herausgegebene Pressemitteilung – „weitere Statements“ seinerseits seien „daher nicht mehr nötig“. Die Frage, wie sich der Auftritt Röslers mit der erwähnten „geltenden Regelung“ in Bezug auf Wahljahre und Politgäste vertrage, bleibt unbeantwortet. Ebenso die Frage, wie das Vorgehen zur Aussage Shahidis in der örtlichen Kreiszeitung passt, dass vorab die Einladung eines „prominenten und rhetorisch begabten Bundestagsmitglieds“ vereinbart worden sei – es dürfte schließlich schwierig werden, unter den Parlamentariern unpolitische Redner zu finden. Einladungen waren auch an Angela Merkel, Peer Steinbrück und Jürgen Trittin gegangen – die allerdings alle abgesagt hatten. Gysi sagte zu, wovon General Shahidi seinen Stab auch in Kenntnis gesetzt habe, wie er sagte.
Dennoch wollen die Offiziere den Fraktionschefs der Linken jetzt nicht auftreten lassen. Gysi, so heißt es in der Gilde-Mitteilung, dürfe gerne in einem anderen Jahr kommen. Allerdings habe das Offizierskorps auf seiner jüngsten Sitzung neben Gysis – „nahezu einstimmig“ beschlossenen – Ausladung auch gleich die Weichen für die Zukunft gestellt, wie die Nordwest-Zeitung erfahren haben will: Demnach sollen „künftig Oberst und General die Gästeliste gemeinsam erarbeiten und die Einladungen auch zusammen unterschreiben“. Immerhin: Die Reden sollen, so sah es ein weiterer Antrag vor, nun doch nicht vorher dem Korps vorgelegt werden müssen.
Der in die Kritik seiner eigenen Truppen geratene General Shahidi, selbst parteilos, hält sich bedeckt. Er werde jedenfalls keinen Ehrengast wieder ausladen, sagte er. Muss er auch nicht, das hat der Oberst schon erledigt.
Vielleicht bekommt Gysi doch noch die Chance, in der Kreisstadt aufzutreten: Die Wildeshauser Linke-Politikerin Kreszentia Flauger überlegt, eine Alternativ-Veranstaltung mit ihm als Gast zu organisieren. An der dürften dann auch Frauen teilnehmen. Das dürfen sie beim Schaffermahl der rein männlichen Gilde nur, wenn sie als Ehrengäste geladen sind. Oder den Hering servieren. Tradition halt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos