Schrumpfkur: Bahn frei für freie Träger
Weil der Landesbetrieb für Erziehung und Bildung nicht sparte, wird nun ein ganzer Teilbereich geschlossen. Betroffen sind davon auch erfolgreiche Projekte.
Alleine sitzt Sozialarbeiter Franz Liebel zwischen den Fahrrädern. Die Fahrradwerkstatt in der Chemnitzstraße hat Ferien, die Auszubildenden sind in der Berufsschule - Mitte nächsten Jahres soll sie aber ganz geschlossen werden.
In der Einrichtung, die zum Landesbetrieb Erziehung und Berufsbildung (LEB) gehört, können Jugendliche eine Ausbildung zum Fahrradmonteur machen, wenn sie auf dem regulären Arbeitsmarkt keine Chance hätten: Weil der Schulabschluss zu schlecht war oder sie gar keinen haben. Zum 31. Juli 2011 soll die Werkstatt schließen. Der LEB arbeite nicht kostendeckend, hat der Rechnungshof festgestellt. Weil freie Träger im Bereich der beruflichen Bildung 15 Prozent günstiger seien, forderte er bereits 2005 zum Sparen auf. Trotz Sanierungszuschüssen aus dem Haushalt schrieb der LEB weiter rote Zahlen.
In seinem Jahresbericht 2009 forderte der Rechnungshof dazu auf, den ganzen LEB unter die Lupe zu nehmen. Den seit mehreren Jahren geforderten ausgeglichenen Haushalt habe der LEB "bisher nicht erreicht", heißt es im Rechnungshofbericht 2009. Im März diesen Jahres dann zog die Bürgerschaft Konsequenzen: Der Bereich Berufliche Bildung, einer von zwei "Sektoren" des Landesbetriebs, wird Mitte 2011 abgewickelt.
Der Landesbetrieb Erziehung und Berufsbildung (LEB) ist ein 1985 gegründeter staatlicher Jugendhilfeträger.
Er gliedert sich in die Bereiche Jugendhilfe und Berufliche Bildung.
Beaufsichtigt wird er von der Sozialbehörde, Der Bereich der Beruflichen Bildung wird von der Schulbehörde finanziert.
Ohne Sanierungszuschüsse aus dem Haushalt in Höhe von rund 12,8 Millionen Euro läge der LEB-Verlust bei rund 20,8 Millionen.
Das Personal ist von 739 auf zuletzt 589 Stellen reduziert worden. Eine Reihe von Einrichtungen wurden geschlossen, darunter die geschlossene Unterbringung in der Feuerbergstraße.
Kritik daran übt die SPD, die den Landesbetrieb in ihrer Regierungszeit eingeführt hatte. "Alle Hamburger Jugendlichen brauchen eine Chance", sagt die SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Britta Ernst. "Leider interessiert das Sozialsenator Wersich nicht, so dass eine erfolgreiche Maßnahme einfach geschlossen wird."
Die Arbeit soll in Zukunft von freien Trägern übernommen werden. Das könnte Vorteile haben: Da bislang kein Geld gestrichen werden soll, könnten zum gleichen Preis mehr Jugendliche ausgebildet werden. Denn: "Die freien Träger sind preiswerter, aber genauso gut", sagt Brigitte Köhnlein, Sprecherin der Schulbehörde. Was auch damit zu tun hat, dass der LEB seinen Sozialarbeitern Tarife im Rahmen des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst zahlt, die über dem Tarif liegen, die die freien Träger ihren Mitarbeitern zahlen müssen. Außerdem stellen die freien Träger oft nur Zeitverträge aus.
Gerade in diesen befristeten Verträgen sieht Franz Liebel das Problem: Die Jugendlichen bräuchten Kontinuität, sagt er: "Man muss sich Zeit nehmen, damit sie ihren Platz finden können." Die Fahrradwerkstatt habe 90 Prozent ihrer Auszubildenden in eine Stelle auf dem regulären Arbeitsmarkt vermittelt. Die durchschnittliche Erfolgsquote liegt bei rund 60 Prozent.
"Es wäre gut, wenn man einzelne gute Angebote erhalten könnte", sagt der schulpolitische Sprecher der GAL, Michael Gwosdz. Aber: Dafür könnte es jetzt schon zu spät sein. Die Abwicklung des Bereichs der Beruflichen Bildung wurde von der Bildungsbehörde und der Sozialbehörde beschlossen.
Immerhin: Den derzeitigen Auszubildenden in der Chemnitzstraße kann das egal sein. Sie alle haben im nächsten Jahr einen Platz bei einem freien Träger sicher.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken