: Schröder ist ein Idiot
■ Vor drei Jahren tauchte der Multi-Instrumentalist Harry Payúta in die Tiefen der Technik seines Heimstudios ab. Jetzt taucht er mit seinem neuen Label ON-Records und CDs wieder auf
In Harry Payútas Wohnung steht eine respektable Sammlung Didgeridoos – bemalt, geflammt, geritzt, gehäkelt ... – daneben zwei wertvolle Sitars mit üppigen Intarsienarbeiten und noch weitere bizarre Saiteninstrumente mit kürbisartigen Resonanzbeulen und kleinen Gärten aus Wirbelrosetten. Dabei handelt es sich keineswegs um Mitbringsel von einschlägigen Reisen zwecks Horizonterweiterung. Weder den indischen noch den australischen Boden hat Payúta je mit eigenen Füßen betreten. Zwar ist er bekennender Nomade, aber nicht in geographischer Hinsicht, dafür umso mehr in musikalischer.
„Ich habe mich in der Rockecke rumgetrieben, im Jazz rumgekramt, bin in der Neuen Musik gewesen“ – das formuliert Payúta so, als handle es sich bei Musikstilen um Räume – „ich habe sogar avantgardistisch gespielt, bis ich den musikalischen Boden unter den Füßen verlor und selber nicht mehr wusste, ob das was taugt oder nicht. Da zog ich einen radikalen Schnitt und kehrte zurück zu traditionellem Deltablues.“
Überhaupt Schnitte ziehen: Das scheint eine von Payútas Lieblingsbeschäftigungen zu sein. Das einstige Mitglied der Bremer Ethno-Rock-Band „The electric family“ trennte sich auch vom Rock schnell und schmerzlos. „Von einem Tag zum anderen verließ ich die Rockbühne und trat mit meinem Didgeridoo in Kirchen auf. Das war ein tolles Erlebnis.“ Dann kam das, was Payúta seine „tantrischen Jahre“ nennt.
Angefangen hat alles natürlich in frühen Schülerjahren mit Rock und dem dazugehörigen Wunsch ein Star zu werden. „Wer das nicht zugibt, der lügt.“ Jimi Hendrix und Jim Morrison hießen die Götter. Und als diese reihenweise zusammen mit Janis Joplin und Brian Jones hinwegstarben, fand Payúta das – schließlich war man in den wilden End-60ern – so natürlich für ein echtes Rockerleben, dass er nicht mal richtig trauerte.
Erst der Tod eines anderen Lieblings, Frank Zappa, erschütterte ihn in angemessener Weise, aber das war 20 Jahre später. Mittlerweile hat die Musik längst „absolute Priorität“ in Payútas Leben. Und er könnte es sich auch nicht mehr vorstellen, so wie früher in irgendeinem Job dahinzuvegetieren und vor allem nicht „einen Chef auszuhalten“.
Im Laufe seines langen Musikerlebens hat er eine Menge Kompetenzen angehäuft, spielt neben Sitar und Didgeridoo, das er übrigens bei Oberton-Guru Reinhard Schimmelpfennig erlernte, auch E-Bass, Keyboard und singt. An einer Bremer Musikschule hat er sogar gelernt wie man Swing-Arrangements für Big-Bands komponiert. „Aber ich bin kein Komponist, kein Bassist, kein Sitar-Spieler etc., sondern ich bin Musiker.“ Es geht also nicht um die Perfektionierung einzelner Spezialfertigkeiten, sondern immer ums große Ganze. „Virtuosentum interessiert mich nicht. Die Idee, ein Leben lang an einem einzigen Ton zu feilen, finde ich langweilig. Denn spannende Strukturen entstehen erst in der Verzahnung von Einzelstimmen.“
Und diese Verzahnungen erzeugt er zum Teil ganz alleine am 16-Spur-Gerät, zum Teil in wechselnden Kollaborationen. Die Lust auf feste Bandstrukturen hat er verloren. Frühere Embryo- und Amon-Düül-Recken wie Dieter Serfas und Chris Karrer sind gern gesehene Mitspieler.
Aber auch vor der Zusammenarbeit mit jungen HipHop-Novizen oder Musikern aus Marokko und Mali schreckt er nicht zurück. Und als vor einigen Jahren im Bremer Modernes Hamburgs angesagtester Club, der Mojo-Club, angekündigt wurde, packte er sein Didgeridoo ein, „fragte, ob ich mal einen kleinen Beitrag mit einfließen lassen kann“ und kam damit gleich so gut an, dass er zusammen mit den Mojo-DJs eine Zeit lang durch Deutschland tourte.
Den Namen „Payúta“ hat er von einem kleinen Indiostamm geborgt, der ihn vor etwa zehn Jahren auf einer Reise durchs mexikanische Chiapas schwer beeindruckte. Der Name von Bauernführer Subcommandante Marcos sagt ihm aber nichts, denn „ich beschäftige mich grundsätzlich nicht mit Politik, quasi aus gesundheitlichen Gründen, weil mir vor lauter Wut die Galle überkochen würde. Allerdings“, so ergänzt er, „weiß ich es durchaus zu schätzen, in einem Land zu leben, wo man auf dem Marktplatz gröhlen kann ,Unser Bundeskanzler ist ein Idiot', ohne den Kopf abgeschnitten zu bekommen.“
Seit drei Jahren nun forciert Payúta sein Labelprojekt. Ein Jahr lang beschäftigte er sich damit, die nötige Technik zu erlernen, mit dem Ergebnis, dass von der Produktion über Soundabmischung bis zur Booklet-Grafik alles in seiner Hand liegt. Denn „zu oft habe ich mich früher mit den Fehlern von anderen herumgeärgert“. Für den Vertrieb von ON-Records konnte er das renommierte JARO-Label – Firmensitz ebenfalls in Bremen – gewinnen. Die Zeichen stehen wohl nicht schlecht. Längst hat das Didgeridoo-Gebrumme den Geruch nach Lagerfeuer und mantrischem Tiefschlaf hinter sich gelassen und die Ankopplung an neuesten Dancefloor gefunden. Auf Payútas Produktionen steht eso-nahes Wabern einträchtig neben filigran ausgetüftelten Rhythmusgeflechten.
Nun geht der gebürtige Bremer mit rasenden Schritten auf seinen fünfzigsten Geburtstag zu. Und wieder freut er sich auf einen neuen Lebensabschnitt: Mitten während der CD-Release-Vorbereitungen managt er mit seiner Freundin den Umzug in eine Jugendstilvilla im idyllischen Fischerhude. bk
Am 10.1. ab 20h ist Record-Release-Party im Lichthof des ÜberseeMuseums. Als Gäste kommen u.a. Dieter Serfas, Chris Karrer, die Obertonsängerin Arjopa, der Saz-Spieler Ahmed Kurku und der Pianist Dietmar Kirstein; der Bremer Didgeridoo-Bauer Michael Marahrens ist da mit einem Stand.
Payúta im Internet: www.on-records.de
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