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Schriftsteller über die israelische Linke„Es ist Zeit, kämpferischer zu werden“

Der Nahostkonflikt „hat ein jüdisches Ghetto geschaffen“, sagt der Autor Nir Baram. Ein Gespräch über Clowns und Feiglinge der israelischen Linken – und Hoffnung.

Bombenalarm in Tel Aviv: Israelis suchen Schutz in einem Einkaufszentrum Bild: dpa
Felix Zimmermann
Interview von Felix Zimmermann

taz: Herr Bram, wieder eskaliert der Nahost-Konflikt, wieder fliegen Raketen, fliegen Kampfflugzeuge, sterben Menschen. Sie sind Schriftsteller, verstehen sich als linker Israeli - wie hoffnungslos sind sie, was die Lage ihres Landes angeht?

Nir Baram: Als israelischer Bürger, der in Israel lebt und hier auch bleiben will, muss ich daran glauben, dass es Hoffnung auf einen Wechsel gibt. Aber dieser Wechsel wird nicht aus dem Nichts kommen. Es ist ein Puzzlespiel, an dem wir mitwirken müssen.

Aber wer setzt das erste Teilchen?

Das müssen wir machen, die Veränderung muss von unten kommen. Wir - auch die Linke - haben die vollständige Trennung von Israelis und Palästinensern akzeptiert. Keiner kann sich vorstellen, mit den Palästinensern jemals zusammen zu leben, auf dieselbe Schule zu gehen, das Land mit ihnen zu teilen. Immer wurde uns eingeredet, es gebe einen unüberwindbaren Gegensatz zwischen uns und ihnen. Daraus ist ein Rassismus erwachsen, den wir nie bekämpft haben.

Im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt wird hier immer wieder von der Zweistaatenlösung geredet. Glauben sie noch an die?

Irgendwann kann man darüber reden, aber jetzt sind wir erst einmal selbst dran. Wir dürfen die Trennung von Juden und Palästinensern nicht länger akzeptieren, nicht die physische durch die Trennmauer, und auch nicht die in unseren Köpfen. Politiker, die staatlichen Institutionen, sie alle haben diese angeblich unüberwindbare Trennung in unseren Köpfen verankert. Wir und sie können nicht miteinander. Das will ich ändern.

Wozu hat diese Trennung geführt?

Sie hat ein jüdisches Ghetto geschaffen. Darin sitzen wir und glauben an unsere Rechtschaffenheit, unsere moralische Überlegenheit, daran, dass alles gut und richtig ist, was wir machen. Wir müssen das hinterfragen.

Im Interview: Nir Baram

Herkunft: Der 38-Jährige kam in Jerusalem zur Welt. Er stammt aus einer Politikerfamilie, sowohl sein Vater als auch sein Großvater waren Minister der Arbeitspartei unter David Ben Gurion und Yitzchak Rabins.

Arbeit: Baram arbeitet als Schriftsteller, Journalist und Lektor. Er setzt sich aktiv für die Gleichberechtigung der Palästinenser und für Frieden in Israel ein.

Bücher: Seine Romane „Gute Leute“ (Hanser, 2012) und „Der Wiederträumer“ (2009) standen jeweils auf der Shortlist des Sapir-Prize, des wichtigsten israelischen Literaturpreises. Mit „Gute Leute“ war Nir Baram zudem Finalist des Premio Roma in der Sektion fremdsprachige Literatur. 2010 erhielt Baram den Prime Minister Award for Hebrew Literature.

Sehen sie Politiker, die diesen Wandel befördern könnten?

Nein. Die Politiker der Linken sind eine Kombination aus Clowns und Feiglingen. Wenn Yitzchak Herzog zum Beispiel ...

... der Vorsitzende der linken Arbeitspartei...

...im Fernsehen redet, dann hört es sich so an: Das jüdische Volk muss dieses tun, das jüdische Volk muss jenes tun. Gibt es Spitzenpolitiker in normalen Ländern, die über ihre Landsleute reden und dabei beständig 20 Prozent von ihnen ignorieren? Das ist vergiftetes Denken - auch in der Linken.

Welche Rolle spielt Premierminister Benjamin Netanjahu?

Er ist Teil des Problems, seine Regierung befördert den Rassismus. Sein Regime steht auf zwei ideologischen Säulen: Einmal auf dem Holocaust, der immer präsent gehalten wird. Er ist immer da. Und dann tut Netanjahu alles dafür, unsere Stärke zu reklamieren. Das ist eine gefährliche Kombination - weil er die Israelis so überzeugt, dass sie andauernd Angst haben, sich vor dem nächsten Auschwitz fürchten müssen. Und dass es der einzige Weg sei, das wir das niemals mehr erleiden müssen, stark zu sein, zu kämpfen. Und die Leute glauben daran. Noch. Denn ich habe das Gefühl, dass sie skeptischer werden.

In den vergangenen Jahren sind rechte Parteien stärker geworden.

Die rechten Partei sind so stark, weil sie mit ihrer Sprache und Ideologie die Juden zusammenschweißen. Juden gegen die Palästinenser, Juden gegen Nicht-Juden, Juden gegen den Rest der Welt. Wir gegen alle. Diese Sprache verstehen sie, denn das wird uns eingetrichtert seit der Grundschule, in der Armee, in Zeitungen.

Und die Linke?

Redet weiter von der Zwei-Staaten-Lösung und vom Frieden. Aber das ist nicht die Antwort. Wir müssen die Leute überzeugen, dass man in dieser vergifteten Atmosphäre nicht leben kann.

Sie wollen die Werte der Gesellschaft verändern, um den Konflikt zu lösen. Das klingt nach einem langen Weg. Glauben sie, dass viele Israelis so denken?

Wenn ich das, was unsere Armee in den letzten Tagen in Gaza angerichtet hat, mit dem vergleiche, was bei der letzten Operation im Jahr 2012 war, dann sehe ich zwei wesentliche Veränderungen. Ich sehe diesmal keine Euphorie darüber, dass die Armee Ziele in Gaza bombardiert. Und ich sehe keine Glorifizierung der Soldaten. Die israelische Gesellschaft wird müde. Und sie ist enttäuscht. Ihr wird vor jeder Militäroperation versprochen, danach werde alles besser sein als vorher. Aber das ist nicht so, es kehrt keine Ruhe ein. Auf jede Operation folgt die nächste. Das ist der Teufelskreis, den wir durchbrechen müssen.

Vor wenigen Tagen wurde ein palästinensischer Junge ermordet - von jüdischen Israelis, wohl aus Rache für den Mord an drei jungen jüdischen Israelis.

Ich glaube, dass gerade der Mord an Mohammed Abu Chedair die Öffentlichkeit schockiert hat. Weil viele hier, auch jemand wie Justizministerin Tzipi Livni, dachten, Juden könnten so etwas gar nicht tun. Dann ist es doch passiert - und hat die Atmosphäre zumindest der liberalen Israelis verändert. Gerade unter jungen Menschen meiner Generation erlebe ich das. Wir, die wir doch die Guten sind, die moralisch Überlegenen! Es ist an der Zeit, kämpferischer zu werden.

Als ich vor gut zehn Jahren eine Zeit in Israel lebte, hatte die Deutsche Botschaft in Tel Aviv sehr viel mit Israelis zu tun, die aufgrund deutscher Vorfahren deutsche Pässe beantragten. Es war die Zeit der zweiten Intifada, die Leute wollten sicher gehen, ihr Land eines Tages verlassen zu können und anderswo in Frieden zu leben. Haben Israelis heute wieder Grund, ihr Land zu verlassen?

Ich höre von vielen, dass sie darüber nachdenken. Weil sie meinen, Israel lasse sich nicht verändern. Wenn sie 20 Jahre nach vorne denken, sehen sie keine positive Zukunft für Israel. Ich und meine Freunde bleiben. Es ist unsere Sprache, unser Land, wir sind nicht bereit, den Kampf aufzugeben.

Sie leben seit zehn Jahren in Tel Aviv, in der Nähe des Rabin-Platzes. Dort, wo am 4. November 1995 Premierminister Yitzchak Rabin ermordet wurde. Damit endete damals eine große Verheißung auf friedliche Zeiten. Wie haben Sie das erlebt?

Ich war 19. Es war ein riesiger Schlag für mich, für uns. Wir hatten Hoffnung, Israel und den Nahen Osten ändern zu können. Ein optimistisches Gefühl. Wir haben es verloren, durch Rabins Tod und als die Friedensverhandlungen in Camp David 2000 scheiterten. Die Linke wurde unsicher und ängstlich. Und was jetzt passiert, der Mord an Mohammed Abu Chedair und die rassistischen Krawalle überall, diese ganze Atmosphäre ist die Folge. Weil wir den Rassismus nie entschieden bekämpft haben. Jetzt müssen wir handeln. Wir dürfen den Mord nicht vergessen und müssen die Öffentlichkeit fragen: Ist das das Leben, das Du willst? In diesem Ghetto zu leben, ist das das Beste?

Die Hamas schickt Raketen, manche fliegen bis Tel Aviv. Haben Sie heute Angst dort?

Nein. Vor 20 Minuten heulten die Sirenen, wir gingen runter ins Treppenhaus und standen dort mit den Nachbarn, dann war es vorbei. Hamas wird Israel immer wieder anreifen, Israel wird sich verteidigen. Aber was hier passiert, kann man nicht vergleichen mit dem, was in Gaza passiert, wo schon Dutzende gestorben sind. Wir sind die Stärkeren, wir sollten die Besatzung beenden. Ich habe keine Angst, ich bin einfach nur sehr, sehr traurig.

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15 Kommentare

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  • Dieser Artikel wirkt nach langer "Durststrecke" mit all der einseitige Berichterstattung irgendwie wie

    B a l s a m . Er erklärt, welche Rolle Nethanjahu

    Er enthält plausible Erklärungen, wie "Indoktrination/

    Gehirnwäsche" funktionieren, damit jedes Kind gleich von Anfang an lernt, wer seine "Feinde" sind. Und daß die isr. Bevölkerung irgendwie auch nicht mehr so in euphorischer Feierlaune, sondern konfliktmüde geworden ist,

    ans Auswandern denken, Soldaten nicht mehr ganz so glorifiziert werden...

    (Bravo NIR BRAM - immerhin mal wieder ein Lichtblick!)

  • die opfer bei den arabern sind sozusagen innere tote der israelis sagen die medien: http://www.timesofisrael.com/slightest-doubt-cancels-mission-says-iaf-officer/

  • israel ist ein dominant miliatrisiertes land, nicht wahr?

    • @Dr. rer. nat. Harald Wenk:

      Aber nicht doch! Wie kommen Sie nur darauf? Israel - das ist bekanntlich ein zutiefst friedlicher und aller Brutalität abgekehrter Staat. SALOM!

  • 1G
    1393 (Profil gelöscht)

    "Weil viele hier, auch jemand wie Justizministerin Tzipi Livni, dachten, Juden könnten so etwas gar nicht tun."

     

    Nun ja, wenn man zu einem Militärdienst in einer Besatzungsarmee gezwungen wird, weil sonst Gefängnis droht, in der es praktisch einen Freibrief für das Morden von Palästinensern gibt

    www.btselem.org/publications/summaries/201009_void_of_responsibility

    sollte man sich sicher nicht wundern, wenn sich das auf die Zivilgesellschaft überträgt !

     

    Also das ist alles andere als überraschend!

     

    Insbesondere nach der großen Toleranz für die ermordeten 1400 Palästinenser (345 Kinder/110Frauen) während Cast Lead (leider auch von unserer Kanzlerin im Namen der Deutschen!).

    • @1393 (Profil gelöscht):

      Bislang ist es immer noch so, dass die Hamas völlig wahllos auf alles zielt, was sich in Israel bewegt. Beliebtestes Raketenfutter sind Zivilisten, die aber zum großen Verdruss der Hamas-Zentrale in irgendeinem rieselnden Drecksloch unterhalb von Gaza ziemlich gut geschützt sind (dank Eisenkuppel!).

       

      Israelis sind da völlig anders:

      http://www.timesofisrael.com/slightest-doubt-cancels-mission-says-iaf-officer/

      • 1G
        1393 (Profil gelöscht)
        @Senckbley:

        Ich glaube nicht, dass die 1400 seit dem Jahr 2000 durch die IDF ermordeten palästinensischen Minderjährigen denken , dass Israel besonders rücksichtsvoll ist.

         

        www.btselem.org/statistics

        • @1393 (Profil gelöscht):

          Bedanken Sie sich bei Arafat mit seiner Zweitintifada, oder bei Chalid Maschal, der es sich mittlerweile in Qatar gemütlich gemacht hat. Die kippen das Öl ins Feuer und schimpfen auf die Stichflamme.

  • Auch ich wundere mich, wie LeserIn , ob der Unausgewogenheit (und Undifferenziertheit) der taz, wenn immer es um das israelische Staatsbenehmen geht. Als hätten die dortigen Vogelstraussfalken ihr Berliner Pressebüro in der Rudi-Dutscke-Strasse.

    Und hab eine Konkretbitte (an die taz) um mehr Streuung: Weiss nicht, ob der Uri Avneri noch unter uns auf Irden weilt, ist immerhin fast 40 Jahre her, dass ich ihn zum ersten und einzigen Mal getroffen hab, aber wenn ich aus Israel und von Israel und über Israel was wissen will, was nicht unter der Totalitätsglocke des – von Nir Baram beschriebenen – geschürten Teufelskreisghettos ein- und tiefgefroren ist, dann such ich (medial) nach Uri.

    • @Ardaga:

      Es tut mir leid, ich habe Ihren Kommentar missverstanden. Ich nehme alles zurück.

      • @Toyak Yakot:

        אין בעיה

    • @Ardaga:

      Können Sie konkrete Beispiele dafür nennen, dass die TAZ zu Ungunsten Israel berichtet?

      Eher verdeutlichen die Artikel von Frau Knaul, Frau Vogel, Herrn Asmuth, Herrn Yaron, wie TAZ hier eindeutig für Israel Partei ergreift.

       

      Kann es sein, dass Sie an Wahrnehmungsstörung leiden?

       

      Ich bitte also um konkrete Beispiele. Herr Baram durfte schon letzte Woche bei FAZ zu Wort kommen.

      Bis jetzt fehlt es an einem Artikel, der die palästinensische Sicht der Dinge schildert.

      • @Toyak Yakot:

        So weit mir das bisher auffällt, mein/e werte/r Toyak Yakot (vergass den Namen in meiner ersten Stellungnahme heut Morgen einzusetzen, sollte heissen „wie LeserIn Toyak Yakot“ – pardon!), leide ich nicht unter Wahrnehmungsstörungen.

         

        Des weiteren und Sachlichen empfehle ich Dir (nochmals pardon, aber das „Sie“ spielts nimmer, in meinem Aktivwortschatz) mein Posting nochmals und in aller Ruhe zu lesen. Denn da erübrigt sich einiges, wenn nicht Deine ganze unelegante Hüftschuss- und Denkkurzschlussreaktion.

         

        PS: Danke für den Lichteinschalteversuch, Erol Bulut.

      • 1G
        1393 (Profil gelöscht)
        @Toyak Yakot:

        @Toyak Sie haben den Kommentar von ARGADA missverstanden. Und zwar gänzlich umgekehrt gedeutet.

  • Na TAZ,

     

    die FAZ hat Herrn Baram vor einigen Tagen zu Wort kommen lassen.

    Nun merkt ihr, dass eure Berichterstattung der letzten Woche zu sehr in Richtung israelischer Propaganda ging?

    Immerhin wenigstens das.