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Schriften aus dem Warschauer GhettoChronik des Sterbens

Rachela Auerbachs Schriften aus dem Warschauer Ghetto vermitteln das grausame Bild von Hunger und Tod. Jetzt sind sie auf Deutsch erschienen.

Auerbach beschreibt, wie kleine Jungs, die Lebensmittel ins Ghetto schmuggelten, getötet wurden Foto: CAF/dpa/picture alliance

Augenzeugenberichte von Verfolgten, zumal im Moment des Erlebten verfasst, vermitteln ein authentisches Bild des großen Menschenabschlachtens während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Manche sind nicht frei von historischen Irrtümern, andere nur schwer verständlich. Wieder andere, wie etwa Anne Franks berühmtes Tagebuch, beschreiben nicht nur die furchtbare Situation, in der sich die Protagonistin befindet, sondern reflektieren die eigenen Vorstellungen, Wünsche und Träume – und sind damit ein bedeutendes Stück Literatur.

Mehr als 75 Jahre mussten vergehen, bis ein herausragender Text einer intellektuell reflektierenden Überlebenden endlich im Deutschen vorliegt. Es handelt sich um Rachela Auerbachs Tagebuch aus dem Warschauer Ghetto, das jetzt zusammen mit einigen weiteren Texten unter dem Titel „Schriften aus dem Warschauer Ghetto“ veröffentlicht worden ist.

Auerbach stand in den 40ern ihres Lebens, als die Nazis sie in das größte der jüdischen Ghettos im besetzten Osteuropa zwangen. Sie leitete dort zeitweise eine Suppenküche und kam in Kontakt mit dem polnischen Historiker Emanuel Ringelblum, der alles daransetzte, Zeugnis vom alltäglichen Leben und dem ebenso alltäglichen Tod, der Unterdrückung und des Hungers im Ghetto zu hinterlassen. Vom 4. August 1941 an führte Rachela Auerbach auf Wunsch Ringelblums ihr Tagebuch – bis zu den Deporta­tionen nach Treblinka ein Jahr später.

Es ist eine schwer erträgliche Lektüre. Denn Auerbach spart keine Grausamkeit aus. Sie berichtet davon, wie kleine Jungs Lebensnotwendiges von der anderen, christlichen Seite ins Ghetto schmuggelten und dabei nicht selten erwischt und getötet wurden. Sie erzählt von den deutschen Wachposten, unter denen es einem mit dem Spitznamen „Frankenstein“ Vergnügen bereitet, Menschen aus nichtigem oder gar keinem Anlass zu erschießen, von den Razzien, den Massengräbern, den Leichen in den Straßen, den toten Kindern, irre gewordenen Menschen. Auerbach schreibt über die jüdische Selbstorganisation, von der jüdischen Polizei und über ihre Suppenküche. Und über den Hunger und das Sterben. Vor allem über den Hunger und das Sterben.

Das Buch

Rachela Auerbach: „Schriften aus dem Warschauer Ghetto“. Bearbeitet von Karolina Szymaniak, aus dem Polnischen von Sandra Ewers. Metropol-Verlag, Berlin 2022, 198 Seiten, 24 Euro

Zuerst werden die Menschen immer schmaler, „abgemagert bis zur äußersten Grenze, an der der Körperumfang durch Schwellungen wieder zunimmt.“ Dann, in den letzten Tagen, fallen sie in sich zusammen und werden apathisch. Und sterben. Auerbach beobachtet diesen Prozess an ihren Klienten. Sie kann nicht viel unternehmen, höchsten eine zusätzliche Portion dünne Suppe ausgeben. Aber das reicht nicht.

Da ist Abraham Braxmeier, ein athletisch gebauter Sportler aus Karlsbad, der im KZ Dachau eingesessen hatte und einer derjenigen ist, die Rachela Auerbach sich geschworen hat durchzubringen. Seine Schwellungen nehmen zu, er bekommt „Baby-Patschhändchen“ und kann sich nicht mehr zur Essensausgabe schleppen. Aber er kann immer noch klar denken. Mit „danke verbindlichst, danke vielmals“, so schreibt Auerbach, habe Braxmeier immer das Essen in Empfang genommen, als er noch gehen konnte.

Im August 1941 ist Abraham Braxmeier gestorben, und der Versuch, ihm als einem der wenigen wenigstens eine nur halbwegs würdige Grabstelle zu geben, endet im Leichenhaus zwischen aufgestapelten Körpern, denn es fehlt da eine Registriernummer. Braxmeiers Leiche ist unauffindbar zwischen all den Verstorbenen, der so in einem Massengrab endet.

Die Lektüre von Rachela Auerbachs Tagebuch sei Kindern, etwa im Schulunterricht, nicht empfohlen. Aber wer als Erwachsener das Lesen über sich bringt, der erfährt mehr über das Warschauer Ghetto, als es Historiker des 21. Jahrhunderts zu vermitteln wissen.

Karolina Szymaniak hat dazu eine kluge Einleitung über das Leben der 1976 in Tel Aviv verstorbenen Rachela Auerbach geschrieben, aus der auch hervorgeht, wie die Papiere Holocaust und Krieg überdauerten: Sie waren Teil des berühmten Ringelblum-Archivs, das, verborgen in Metallkisten, 1946 aus einem Keller des zerstörten Ghettos geborgen werden konnte.

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1 Kommentar

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  • Verehrter Herr Hillenbrand,



    danke für den Hinweis. Das Erstaunliche ist, wenn man über die Naziverbrechen liest, denkt man nach jedem Buch, nach jedem Kapitel, dass es Schlimmeres nicht geben kann. Schlägt man ein neues Buch über die NS Verbrechen auf, erfährt man, dass es noch schlimmer war als man gedacht hat.... unsere Vorstellungskraft reicht einfach nicht aus....Um so erstaunlicher ist es, wenn Leute, die Alles miterlebt hatten, die übermenschliche Kraft hatten das aufzuschreiben.