Schreiben der Bundesanwaltschaft: Autonome werden nicht nach Ungarn ausgeliefert
Im Januar stellten sich sieben Linke, die wegen Angriffen auf Neonazis in Budapest gesucht wurden. Ihre Auslieferung nach Ungarn scheint nun abgewendet.

Das scheint nun abgewendet: Eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft bestätigte der taz, dass ihre Behörde die zuständigen Generalstaatsanwaltschaften bereits Ende Januar angeschrieben und dort mitgeteilt hatte, dass für die Verfahren nicht die ungarischen Verfahren, sondern die deutschen Ermittlungen „vorrangig“ seien. Zentral sei dabei der „Gesichtspunkt der Effektivität der Strafverfolgungen“. Nach taz-Informationen hat die Bundesanwaltschaft ein Interesse, die sieben Autonomen, die zuvor zumeist in Sachsen und Thüringen lebten, als eine gemeinsame Gruppe anzuklagen.
In einem Fall war indes bereits im Juni 2024 eine Auslieferung erfolgt: Maja T. Der nichtbinären Thüringer*in wird ebenso vorgeworfen, an den Angriffen in Budapest beteiligt gewesen zu sein – bei der mehrere Rechtsextreme teils schwer verletzt wurden. Maja T. war mit den anderen sieben Autonomen und zwei weiteren deutschen Linken nach den Budapest-Angriffen abgetaucht.
Im Dezember war Maja T. in Berlin festgenommen worden, im Juni 2024 dann nach einer Entscheidung des Berliner Kammergerichts in einer nächtlichen Blitzaktion nach Budapest ausgeliefert worden – ohne eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über eine Beschwerde der Anwälte von T. abzuwarten. Tatsächlich gab Karlsruhe der Beschwerde kurz darauf recht – da war T. aber bereits in Ungarn.
Thüringen lehnte bereits eine Auslieferung ab
Im Fall Maja T. hatte sich die Bundesanwaltschaft damals nicht gegen eine Auslieferung gestellt. Seitdem seien zu dem Fallkomplex aber neue Beweismittel hinzugekommen, sagte die Behördensprecherin. Deshalb plädiere man nun dafür, die Verfahren in Deutschland zu führen. Weiter gefahndet wird zudem nach zwei weiteren Autonomen, die nach den Budapest-Angriffen ebenso gesucht wurden und sich bisher nicht stellten.
Bereits Ende Januar hatte das Oberlandesgericht Jena entschieden, einen weiteren zuletzt Festgenommenen – den Leipziger Johann G. – nicht nach Ungarn auszuliefern. Auch dem 31-Jährigen wird vorgeworfen, bei den Angriffen in Budapest dabei gewesen zu sein. Zugleich soll G. der Anführer einer militanten Gruppe um die Leipzigerin Lina E. gewesen sein, seiner früheren Lebenspartnerin. Lina E. war bereits im Mai 2023 mit drei Mitangeklagten zu mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden, weil sie mehrere schwere Angriffe auf Neonazis in Thüringen und Sachsen verübt haben sollen. Auch Johann G. soll sich daran beteiligt haben.
Eine Sprecherin des Oberlandesgerichts Jena bestätigte der taz, dass bereits am 29. Januar eine Auslieferung von Johann G. nach Ungarn für unzulässig erklärt wurde. Gleiches hatte zuvor die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft gefordert. „Bei der Abwägung wurde die Durchführung eines Strafverfahrens in Deutschland – vor allem im Hinblick auf die grundrechtlich geschützten Interessen des Verfolgten – gewichtiger als das Auslieferungsinteresse des ersuchenden Staates beurteilt“, sagte die Sprecherin der taz.
Auch eine weitere gefasste Person – die Nürnbergerin Hanna S. – wird nicht nach Ungarn ausgeliefert. Sie war im Juni 2024 in Nürnberg festgenommen worden und soll ebenso in Budapest dabei gewesen sein. Gegen sie beginnt am kommenden Mittwoch ein Prozess in München. Im Fall der 29-Jährigen hatte Ungarn bisher keine Auslieferung beantragt.
Dem Syrer Zaid A. droht weiter eine Auslieferung
Unklar ist der Fall Zaid A. Auch der Syrer gehörte zu den von Ungarn Gesuchten, die sich im Januar stellten. Anders als gegen die anderen sechs lag in seinem Fall aber kein Haftbefehl der Bundesanwaltschaft vor. Entsprechend gilt für ihn auch nicht die aktuelle Mitteilung der Behörde an die Generalstaatsanwaltschaften. Zaid A. droht damit weiter eine Auslieferung nach Ungarn.
Für Maja T. kommt das Schreiben der Bundesanwaltschaft zu spät. Gegen T. beginnt in wenigen Tagen, am 21. Februar, in Budapest ein Prozess wegen der Angriffe. Die Staatsanwaltschaft fordert hier laut Verteidigern eine Haftstrafe von bis zu 24 Jahren. Zugleich boten die Ankläger einen Deal an: Im Falle eines Geständnisses könnten es 14 Jahre werden.
Erst vor einer Woche war eine Verfassungsbeschwerde von Maja T. gegen die Auslieferung erfolgreich. Das Bundesverfassungsgericht warf dem Berliner Kammergericht vor, es habe die Haftbedingungen für Maja T. als nichtbinäre Person „nicht hinreichend aufgeklärt“. Bemühungen der deutschen Regierung, Maja T. nach Deutschland zurückzuholen, sind bisher nicht bekannt. Angehörige von T. und antifaschistische Initiativen hatten dies gefordert.
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