Schottlands Nummer eins will abtreten: Sturgeon verlässt das Bute House
Die erste Ministerin Schottlands verkündet ihren Rücktritt. In den letzten Wochen sank ihr Ansehen stark, doch sie spricht von „persönlichen Gründen“.

Dahinter steckten, so Sturgeon in einer Pressekonferenz, persönliche Gründe. Es sei die richtige Entscheidung – in ihrem Kopf und Herzen, sagte sie in ihrer Rede in ihrem Amtssitz Bute House. Das Amt hätte immense Opfer von ihr verlangt, und sie hätte seit Längerem darüber nachgedacht.
Inwiefern man ihr das glauben kann, ist fraglich, denn Sturgeons Ansehen ist gerade in den letzten Wochen stark gesunken. Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov für die Sunday Times gab am Anfang des Monats an, dass ihr Ansehen seit Oktober enorm gesunken sei.
Außerdem ist Schottlands Hunger auf Unabhängigkeit, das Hauptanliegen der SNP, auf 47 Prozent gesunken.
Stimme der Vernunft gegen Boris Johnson
Während der Jahre des Referendums und des Brexits sowie während der Pandemie hatte sich die heute 52-jährige Sturgeon, eine Rechtsanwältin, als Stimme der Verantwortung entgegen der bombastischen und populistischen Politik Boris Johnsons behauptet.
2008 wurde sie Parteiführerin, davor war sie unter Alex Salmond stellvertretende Erste Ministerin. Sie ist seit Eröffnung des schottischen Parlaments im Jahr 1999 Abgeordnete, eine Konsequenz der Dezentralisierungspolitik Tony Blairs.
Als das Ende der Pandemie absehbar war, kündigte Sturgeon an, dass sie im Herbst 2023 ein zweites Referendum zur Unabhängigkeit Schottlands abhalten wolle. Schon damals fragten viele, ob das nun Priorität habe. Nachdem die Regierung in London dies nicht gewährte, ließ sie dies vom höchsten Gericht des Vereinigten Königreichs untersuchen – und verlor.
Kurz danach verabschiedete die schottische Regierung ein Gesetz zur Geschlechtsumwandlung ohne medizinische Diagnose, wobei gleichzeitig das Mindestalter für eine Transition herabgesenkt wurde. Das war selbst innerhalb der eigenen Fraktion umstritten. Neun SNP-Abgeordnete des schottischen Parlaments stellten sich dagegen, und die SNP-Ministerin für Sicherheit in den Kommunen, Ash Regan, trat deswegen sogar zurück.
Gesetz zur Selbstbestimmung des Geschlechts scheiterte
Die Westminster-Regierung genehmigte das Gesetz nicht, da es sich gegen das Gleichberechtigungsgesetz des Vereinigten Königreichs richte. Noch wollte Sturgeon dieses Veto richterlich prüfen lassen, da wurde sie mit Fällen konfrontiert, vor denen Oppositionskräfte und Gegner:innen des Gesetztes zuvor gewarnt hatten. Zwei Sexualstraftäter identifizierten sich, nach Begehen der Taten, als weiblich.
Eine Person war bereits hinter Gittern, bei der anderen hatte das Strafverfahren begonnen. Die Gefängnisverwaltung wies beide zunächst in Frauengefängnisse ein. Als das an die Öffentlichkeit kam, gab es Rückzieher und alle ähnlichen Fälle wurden einer Überprüfung unterzogen.
Dazu kommt: Drei Tage vor der Ankündigung ihres Rücktritts begann die schottische Polizei Befragungen zu einem nicht deklarierten Darlehen in Höhe von umgerechnet 121.000 Euro an die SNP. Weitere Fragen bestehen zu Geldspenden für ein Unabhängigkeitsreferendum in Höhe von 740.000 Euro.
Schottland in die Unabhängigkeit geführt
Sturgeon hinterlässt eine Partei im Streit, das bewies bereits die Genderdebatte. In ihrer Rücktrittsrede gab sie an, dass sie Schottland in die Endphase für die Unabhängigkeit geführt hätte. Doch Labour und die Konservativen holen dazu auf. Nun muss die SNP ihre Glaubwürdigkeit und Richtung erst wieder neu definieren.
Labours Parteiführer in Schottland, Anas Sarwar, fand dennoch warme Worte für Sturgeon nach ihrer Rücktrittsrede. Sie hätte das Land durch schwere Zeiten, vor allem die Pandemie, gesteuert.
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