Schottische TV-Krimiserie „Annika“: Direkt in die Kamera erzählt
Eine schottische Polizistin übernimmt in „Annika“ eine Führungsaufgabe in Glasgow. Ihre Fälle erzählt und kommentiert sie selbst.
Es ist ja überhaupt keine Frage, ob es Sinn ergibt, in der Nacht von Sonntag auf Montag wach zu bleiben. Dieses Mal nicht, weil die Oscar-Verleihung stattfindet und man unbedingt wissen möchte, wie viele Preise „Oppenheimer“ abräumt, sondern weil die letzten beiden Folgen der britischen Krimiserie „Annika“ wiederholt werden.
Die erste Staffel von 2021 lief Anfang Februar spätabends im ZDF. Und die Staffel ist so verdammt gut, dass es sogar Sinn ergeben würde, das Ganze mitten in der Nacht anzuschauen. Obwohl die kompletten sechs Teile natürlich in der Mediathek stehen, sogar mit Originalton bei Bedarf: feinstes, hügeliges Schottisch.
Gründe gibt’s wie Sand am Meer. Vorneweg: Nicola Walker spielt „Annika“, sie allein ist Grund genug, sich alles anzuschauen, wo sie auf der Besetzungsliste steht. Wer sie zuerst in „River“ gesehen hat vor ein paar Jahren – eine der ungewöhnlichsten, entzückendsten Krimiserien (Stellan Skarsgård!) –, wird wissen, weshalb.
Oder in „Unforgotten“, noch eine Krimiserie, die vor allem wegen ihr taugt. Und ja, sie schafft es wirklich, dass ihre Kommissarinnen jedes Mal komplett anders sind (wer was Mordarmes braucht: In der Mehrgenerationen-Frauen-Serie „The Split“ spielt sie eine Scheidungsanwältin).
Top-Wasserküsten-Kulisse
Detective Inspector Annika Strandhed kommt nach Jahren in Norwegen zurück nach Glasgow, sie leitet dort eine Mordkommission, die zuständig ist für Tatorte am und im Wasser, Ex-Kollege inklusive. Zur Begrüßung bietet sie krümeliges Lakritz aus ihrer Jackentasche an, ihr Dienstfahrzeug ist ein Schnellboot. Wegen der Mordfälle, klar, Leichen getötet mit Harpunen, über Bord gegangen, auf einem Schiff treibend. Aber auch, weil Annika mit ihrer Teenie-Tochter Morgan nun direkt mit Wasserzugang und Bootssteg wohnt. Top-Wasserküsten-Kulisse.
Obendrein ist diese Geschichte so lebendig, unverkrampft, sarkastisch und herzlich zugleich erzählt, dass etwas Vergleichbares schwer zu finden ist. Das liegt an hervorragenden Dialogen für ein hervorragendes Ensemble.
Und an der Idee, Annika direkt in die Kamera sprechen, uns ansprechen zu lassen. Wer dabei an die bahnbrechende Comedy-Dramaserie „Fleabag“ von und mit Phoebe Waller-Bridge denkt, hat natürlich recht. Und es funktioniert auch hier so nahtlos, dass diese Figur das Zeug hat, eine ähnliche Ikone zu werden wie Lund, Norén, Fleabag. DI Strandhed kommentiert so ihr Leben, ihre Fälle, ihre Gedanken, mitunter mit einem Blick, mitten in einer Szene, verwebt mit Vergleichen aus „Moby Dick“, Odysseus, Shakespeares „Sturm“, Ibsens „Volksfeind“, lauter Wasserliteratur.
BBC-Serie als Vorlage
Das hebt alle Physik aus den Angeln: Jede Folge ist 45 Minuten lang, die sich treiben lassen. Und jede Folge ist dicht und dennoch nicht überfrachtet. Ein „ta!“ an die Regie von Philip John und Fiona Walter.
Geschrieben hat das Ganze Nick Walker (nicht verwandt), von dem auch die Vorlage stammt: eine Radio-Serie der BBC. Der Radio-4-Krimipodcast „Annika Stranded“ spielt in Oslo (TV-Annikas norwegische Vergangenheit eine kleine Referenz), immer 15-Minuten-Folgen, sechs Staffeln gab’s seit 2013. Und auch hier von Anfang an: Nicola Walker als Annika. Wer dann immer noch nicht genug hat: Die 2. TV-Staffel, neu aus dem Sommer 2023, gibt’s bei einigen Streamingdiensten.
„Annika. Mord an Schottlands Küste“: Sonntag, 17.3, 1.40 Uhr, erste Staffel bei ZDF und in der ZDF-Mediathek
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