■ Schorlemmer befürwortet Amnestie für DDR-Verantwortliche: Befreiungsschlag oder Nebelkerze?
Friedrich Schorlemmer hat völlig recht: Es ist höchste Zeit, daß die PDS, Rechtsnachfolgerin der von ihr nicht aufgelösten SED und somit auch Rechtsnachfolgerin der für das SED-Unrecht Verantwortlichen, aufhört, die deutsche Öffentlichkeit zu nerven mit Aufrufen des Inhalts: Nun versöhnt euch mal endlich mit uns! Ist sie sich noch immer nicht der Geschmacklosigkeit bewußt, die in solchen ausgerechnet von ihr ausgehenden Aktivitäten liegt?
Schon 1995 wollte die PDS ein Schlußgesetz zum Zweck der Strafbefreiung von DDR-Verantwortungsträgern, nachdem ihr die juristische Problematik des Amnestiebegriffs deutlich geworden war. Der damalige Entwurf des Schlußgesetzes fiel wegen seiner politischen Unangebrachtheit und seiner krassen juristischen Schwächen wohlverdienter Ablehnung anheim. Sind diese Gründe nun hinfällig geworden? Die PDS-Fraktion scheint sich solche Fragen nicht zu stellen. So hat sie diesen Gesetzentwurf noch einmal präsentiert, vermehrt um neue juristische Fehler.
Schließlich hat sich Gregor Gysi im Neuen Deutschland zu Wort gemeldet. Wie immer klüger als seine PDS-Vorredner, bettet er seine Reflexionen zur Beendigung der Strafverfolgung von SED-Unrecht in den weiteren Rahmen von Überlegungen zur gemeinsamen deutschen Vergangenheit und Zukunft. Aber auch er wiederholt einmal mehr die Falschaussage, SED-Funktionäre seien wegen ihrer Ausübung hoheitlicher Funktionen vor Gericht gestellt worden. Natürlich weiß er genausogut wie alle Welt, daß Krenz, Schabowski und andere nicht wegen ihrer Mitgliedschaft im Politbüro, sondern wegen ihrer Mittäterschaft an Tötungshandlungen verurteilt wurden. Wollen sie sich jetzt genau wie Pinochet auf diplomatische Immunität berufen?
Kommt also jetzt mit Friedrich Schorlemmers „Befreiungsschlag zum Befreiungstag“ (9. Oktober 1999) etwas Licht in diese politisch-juristische Wirrnis? Schorlemmer schlägt ein „differenziertes Amnestiegesetz“ vor, von dessen mutmaßlichem Inhalt er freilich nur verlauten läßt, „schwere Menschenrechtsverletzungen“ sollten von ihm ausgenommen sein. Leichte Menschenrechtsverletzungen will er amnestieren? Aber was sind solche?
Schorlemmer verspricht sich von seinem Vorschlag eine freiere Aufklärung. Wieso denn das? Ist die bisherige Aufklärung denn unfrei? Das behaupten doch immer nur die, die an Aufklärung überhaupt nicht interessiert sind, wie ihre unablässigen und hämischen Diffamierungen der Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen zeigen.
Ich wüßte einen ganz anderen Weg zu der von Gregor Gysi beschworenen, durch die friedliche Revolution und den Mauerfall möglich gewordenen gemeinsamen Geschichte: Wenn die PDS endlich ihren Sonderweg der Unterstützung derjenigen aufgäbe, die gegen die Verfolgung zu DDR-Zeiten politisch gedeckten und darum straflos gebliebenen Unrechts-Hetzkampagnen innerhalb und außerhalb unseres Landes initiieren.
Wäre dieser Anschluß an den Konsens der Demokraten denn inkonsequent? Hat die PDS – damals noch SED-PDS – durch ihre Teilnahme an den Verhandlungen des zentralen Runden Tisches nicht gezeigt, daß sie willens war zu verstehen und zu akzeptieren, daß die Bürgerrechtsbewegung gegen die SED-Diktatur keine Bewegung des Hasses und der Rache war, sondern eine Bewegung für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.
Friedrich Schorlemmer möchte ich fragen: Hat er ganz vergessen, was er am 13. 9. 1991 in der Berliner Zeitung schrieb: „Erstens und selbstverständlich muß die Strafjustiz das Ihre tun, so präzise und rechtsstaatlich wie möglich.“ Sind inzwischen irgendwelche neuen Gründe aufgetaucht, die Anlaß sein könnten, diesen Satz zu widerrufen? In Schorlemmers neuem Vorschlag vermag ich solche nicht zu entdecken. Sie werden auch anderswo kaum aufzufinden sein. Wolfgang Ullmann
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