Schöffenwahl: Richten mit Menschenverstand
Rund 6.000 Schöffen begleiten die Prozesse an Berliner Gerichten. Die Laien haben bei der Urteilsfindung dasselbe Stimmrecht wie die Richter. Nun werden neue Justizamateure gesucht.
Schöffe kann jeder Deutsche im Alter zwischen 25 und 70 Jahren werden, wenn er nicht zu mehr als drei Monaten Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Auch ein laufendes Ermittlungsverfahren oder eine frühere Tätigkeit bei der Stasi steht einer Bewerbung entgegen. Justizangehörige und Regierungsmitglieder werden ebenso wenig berufen wie Personen, die nur unzureichend Deutsch beherrschen, wegen geistiger und körperlicher Gebrechen nicht für das Schöffenamt geeignet oder in Vermögensverfall geraten sind. Ein Schöffe sollte nicht mehr als zwölf Sitzungstage im Jahr auf sein Ehrenamt verwenden müssen. Arbeitgeber müssen den Laienrichter für die Dauer seines Einsatzes freistellen. Verdienstausfall und Fahrtkosten bekommen Schöffen erstattet. UTA
Felix Maxim war nicht begeistert, als er erfuhr, das Einwohnermeldeamt habe ihn per Zufallswahl zum Schöffen für das Landgericht bestimmt. Der Geologe dachte schon darüber nach, wie er sich vor diesem Ehrenamt drücken könnte. Zuvor erkundigte er sich bei einer befreundeten Rechtsanwältin, was das denn sei, ein Schöffe. Die Juristin erklärte es ihm und riet, die Wahl anzunehmen: "Da kannst du was lernen!" Die Prophezeiung hat sich bewahrheitet.
Nach einigen kurzen und weniger interessanten Verfahren erlebte der damals 27-Jährige dann auch die Spannung eines Indizienprozesses: Drei Ganoven hatten aus Rache einen Kumpan getötet und anschließend auf einer Müllkippe verbrannt. Vor Gericht schwiegen die Angeklagten, die Tat musste ihnen Schritt für Schritt bewiesen werden. 1999 endete Maxims dreijährige Amtsperiode als Schöffe. Verlängern wollte er sein Engagement nicht, doch seine Erlebnisse als Laienrichter bleiben ihm in guter Erinnerung.
Nun werden in Berlin wieder 6.000 Schöffen für das Landgericht und das Amtsgericht Tiergarten gesucht. Sie sollen gemeinsam mit den Berufsrichtern Urteile fällen. Die Laienrichter, die möglichst aus allen gesellschaftlichen Schichten und Altersgruppen kommen sollen, sind Garanten für die Urteilsformel "Im Namen des Volkes".
Doch wie in jeder Amtsperiode melden sich auch für die kommende zu wenige interessierte Berliner. Der Grund für die Zurückhaltung ist laut Hasso Lieber Unwissenheit. "Nur den wenigsten ist klar, was ein Schöffe wirklich macht", sagt der Justizstaatssekretär, der zugleich Vorsitzender des Bundesverbandes ehrenamtlicher Richter und Richterinnen ist.
Die "Richter ohne Robe" haben dasselbe Stimmrecht wie ein Berufsrichter. Sie entscheiden zum Beispiel darüber, ob Fragen an Zeugen abgelehnt werden oder ob Anträgen nachgegangen wird. Am Ende des Prozesses urteilen sie gemeinsam mit den Berufsrichtern. Weil dies nur mit einer Zweidrittelmehrheit geht, müssen die Berufsrichter also mindestens einen der Laien überzeugen.
Zur Übernahme des Schöffenamtes ist jeder Staatsbürger berechtigt, aber auch verpflichtet. Die 2009 beginnende Amtszeit beträgt erstmals fünf Jahre. Für diese Tätigkeit kann man sich bis Ende April bei den Bezirksämtern bewerben. Gibt es nicht genügend Interessenten, werden die Kandidaten über das Melderegister gesucht. Davon hält Lieber aber nichts. "Leute, die zwangsweise herangezogen werden, versehen ihre Aufgabe nicht ordnungsgemäß."
Schöffen treten immer zu zweit auf und sitzen zu beiden Seiten der ein bis drei Berufsrichter. Bevor ein Schöffe das erste Mal an einem Gerichtsverfahren teilnimmt, wird er vereidigt: "Ich schwöre, die Pflichten eines ehrenamtlichen Richters getreu dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, getreu der Verfassung des Landes Berlin und getreu dem Gesetz zu erfüllen, nach bestem Wissen und Gewissen ohne Ansehen der Person zu urteilen und nur der Wahrheit und Gerechtigkeit zu dienen, so wahr mir Gott helfe." Der Eid kann auch ohne die letzten fünf Wörter geleistet werden. Wer aus Gewissensgründen überhaupt nicht schwören will, sagt "ich gelobe". Der Eid gilt für die gesamte Amtsperiode.
Schöffen können vor dem Prozess keine Akteneinsicht nehmen. "Eine Viertelstunde vor der Verhandlung erklärt uns der Richter, um was es geht", sagt Helmut Caspary, Schöffe und Vorstandsmitglied im Bund ehrenamtlicher Richter und Richterinnen. Diese Unvoreingenommenheit ist durchaus erwünscht; die Laienrichter sollen mit ihrem gesunden Menschenverstand urteilen und damit ein Korrektiv zum paragrafengeschulten Berufsrichter bilden.
Während der Verhandlung haben Schöffen das gleiche Fragerecht wie die Richter, Staatsanwälte und die am Prozess beteiligten Rechtsanwälte. Doch nicht alle Laienrichter machen davon Gebrauch: Manche trauen sich nicht, und manchmal ist es der Vorsitzende Richter, der die Anwesenheit seiner Laienkollegen einfach übergeht, hat Caspary beobachtet. Schöffen sind auch dabei, wenn das Gericht am Richtertisch Fotos oder Tatwaffen in Augenschein nimmt. "Es ist ein Amt, das den ganzen Mann und die ganze Frau fordert, sagt Hasso Lieber. Als Schöffe übernehme man Verantwortung für die Gesellschaft. Man entscheidet, ob jemand noch eine Chance bekommt und wieder auf die Gesellschaft losgelassen wird. "Es gibt kaum einen Bereich, der sich für die Gesellschaft so öffnet, wie dieser", so der Staatssekretär.
Helmut Caspary bewirbt sich jetzt für eine weitere Amtsperiode. Es ist seine letzte, denn Schöffen können maximal zweimal tätig werden. Der 67-jährige Rentner ist für seine Tätigkeit bestens präpariert: Über hundert Prozesse verfolgte er im vergangenen Jahr im Moabiter Kriminalgericht. Seine Erfahrungen gibt er bei den regelmäßig stattfindenden Schöffenstammtischen des Bundes der ehrenamtlichen Richter und Richterinnen weiter.
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