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Schluss mit dem Embargo!

Die irakische Bevölkerung ist am Ende ihrer Kraft, während Saddam sich Paläste baut: Die Sanktionen sind gescheitert. Nur ein totaler Ölboykott könnte Saddam entmachten

Mit dem Gewinn aus den schwarzen Ölgeschäften rüsten die Söhne Saddams ihre Privatarmeen auf

Ein Gespenst geht um in der Welt, und deutsche Medien haben es entdeckt – wiederentdeckt. Vom Spiegel über Die Zeit bis zur taz grinst seine Fratze durch die Druckerschwärze, gekleidet in Worte des genüsslichen Schauderns. Das „finstere Reich des Diktators“ wird dort beschworen und die Gefährlichkeit eines Despoten, der die ganze Welt als Geisel nimmt, weil er hat, was alle wollen: Öl, viel Öl. Saddam Hussein ist wieder da, und die deutschen Zeitungen nehmen sich dankbar seiner an.

Der Mann eignet sich als Feindbild und kann schnell die Lücke füllen, die seine schwächelnden Kameraden Bin Laden, Gaddafi und Milošević hinterlassen haben – todkrank der erste, zum Lamm mutiert der zweite, davongejagt der dritte. Saddam ist zurück auf den Brettern der Weltbühne und darf dort wieder die Geißel der Menschheit spielen, weil diese Rolle im Zeitalter der Mediengesellschaft nicht unbesetzt bleiben darf. Die Regisseure in den Redaktionen haben sich auch flugs ein Drehbuch ausgedacht für den Mann mit dem Schnauzer: Weil der Despot so unberechenbar ist, wie es Despoten nun einmal sind, weil der Westen nach wie vor Atombomben made in Bagdad fürchtet, und weil keinem der Chefstrategen in Washington und New York ein neuer Spielplan einfallen mag, muss weitersanktioniert werden. So lange, bis der Strolch die Macht aus seinen Händen weg- und sich selbst für immer in einen seiner Marmorpaläste begibt.

Genau das wird Saddam niemals tun. Wie steht es also heute, nach zehn Jahren, um das Embargo gegen den Irak, und was wäre eine Alternative für die eiserne Strategie der UN-Sanktionen? Es gibt drei zwingende Gründe, die internationale Irak-Politik grundlegend zu ändern!

Erstens: Das Embargo hat eine Dekade lang die Falschen getroffen. Nicht Saddam wurde sanktioniert, sondern die irakische Bevölkerung. Regimeflüchtlinge wie Saddams Bombenbauer Chidhir Hamsa und Oberst Tahir al-Hamdi berichten eindrucksvoll davon, wie ihr ehemaliger Chef die UN-Waffeninspekteure jahrelang an der Nase herumführte, indem er Sprengköpfe und Schmelzöfen zur Plutoniumherstellung in Schulen und Krankenhäusern versteckte oder auf Zügen durch die Wüste fahren ließ. Die jeweiligen Leiter der UN-Abrüstungskommission erhielten nie genug Personal und Rückendeckung aus New York, um dieses Katz-und-Maus-Spiel gewinnen zu können. Stattdessen zogen die USA es vor, ihre neueste Militärtechnologie in Luftangriffen auf den Irak zu testen. Als wichtigen Grund für seinen Rücktritt als Leiter des UN-Hilfsprogramms „Öl gegen Lebensmittel“ für die irakische Bevölkerung nannte Hans von Sponeck im letzten Frühjahr eben diese Angriffe, bei denen überwiegend Zivilisten getötet worden seien – allein 144 Menschen im Jahr 1999.

Der Erfolg des Embargos: Der Irak, einst Musterland des Nahen Ostens, wurde in die Gruppe der ärmsten Länder der Welt hineinsanktioniert. Die Menschen hungern, ihre Krankenhäuser sind geschlossen. Einer Unicef-Studie zufolge starben zwischen 1991 und 1998 eine halbe Million Kinder unter fünf Jahren an Unterernährung und mangelnder medizinischer Versorgung. In der gleichen Zeit ließ sich Saddam Husain munter neue Paläste bauen – von ägyptischen Gastarbeitern, weil er seinen abgemagerten Untertanen einen solch bizarren Antagonismus denn doch nicht zuzumuten traute.

Zweitens: Das Embargo ist heute de facto keines mehr. Nach Saudi-Arabien hat sich der Irak wieder zum zweitgrößten Ölexporteur der Welt entwickelt. Abnehmer für das billige irakische Schmuggelöl fanden sich schnell. Fast täglich passieren inzwischen russische und südamerikanische Tanker die iranischen Kontrollposten im Persischen Golf. Gegen ein kleines Dankeschön von umgerechnet 100 Mark pro Tonne dürfen die Schiffe des „Todfeindes“ Irak weiterreisen. Die Ölpreise sind so attraktiv, dass es nicht stört, wenn einige Tanker von US-Marineinfanteristen gestoppt und zurückgeschickt werden. Offiziell exportiert der Irak nur 2,4 Millionen Barrel Öl am Tag, was vier Prozent des Weltmarktes entsprechen würde. Experten schätzen jedoch, dass die Bagdader Führung jährlich 4 Milliarden Mark allein am Ölschmuggel verdient.

Den Gewinn aus solchen schwarzen Geschäften teilen sich die Familienmitglieder der Sippe Hussein, im Besonderen Saddams Söhne Udai und Kusai, die damit ihre Privatarmeen im Machtkampf um die Nachfolge ihres Vaters aufrüsten. Zwischendurch laben sie sich an französischem Rotwein und russischem Kaviar. Aus ihrem Heimatland mögen sie nur junge Frauen nehmen, die als „Sexsklavinnen“ ein grausames Dasein in Palastkellern fristen. Eine Bagdader Familie rächte sich für die Schändung ihrer Tochter im Jahr 1996 mit einem Attentat auf Lieblingssohn Udai, der seitdem an Krücken geht.

Diplomaten aus aller Welt geben sich in Bagdader Palästen die Türklinke in die Hand, Minister aus 14 arabischen Ländern stehen Schlange. Geschäftsleute und politische Unterhändler nutzen für die Reise Moskau – Bagdad rege die wieder aufgenommenen Linienflüge, und Saddam bedankt sich mit der Entsendung von Botschaftern in Republiken der ehemaligen Sowjetunion. Der Irak ist zurück auf der Weltbühne, und kein noch so langes Embargo kann das Bagdader Regime dazu zwingen, internationale Konventionen oder gar die Menschenrechte zu achten.

Drittens: Auf eine Revolution der Bevölkerung gegen ihre Peiniger zu warten, ist bitter verschenkte Zeit. Zu perfekt, zu totalitär sind die Unterdrückungsmethoden der verschiedenen Geheimdienste und Polizeieinheiten Saddams. Dass die 22 Millionen Iraker aufgespalten sind in Schiiten, Sunniten und einige tausend Christen, in Araber, Kurden, Türken und Perser, erschwert einen koordinierten Aufstand zusätzlich. Saddams Diktatur ist nicht mit dem weggefegten Regime Milošević’ vergleichbar. In der „Volksdemokratischen Republik Irak“ hat es nie auch nur ansatzweise oppositionelle Medien gegeben, die Menschen haben schlicht keine Ahnung vom internationalen Geschehen. Weil Saddam auch das Internet verboten hat, wissen die meisten Irakis wahrscheinlich noch nicht einmal, dass es in Serbien einen Sieg der Menschen gegen einen Despoten gegeben hat.

Wenn die internationale Gemeinschaft es ernst meint mit ihren Beteuerungen, Saddams blutige Herrschaft beenden zu wollen, gibt es nur zwei mögliche Wege. Der erste wäre ein konzertiertes Vorgehen ohne Geschäftemacherei: Die Global Players wie die USA, Russland, Frankreich und Großbritannien müssten ihr Ölgeschäft mit dem Irak schleunigst einstellen und Saddam dort treffen, wo er es spürt: in seiner nächsten Umgebung. Wenn die Nachbarstaaten des Irak einen Gürtel der Verweigerung um das Land mit den zweitgrößten Erdölreserven der Welt legen würden, könnte der Diktator seine Soldaten, Geheimpolizisten und Atomphysiker schon bald nicht mehr bezahlen. Fällt die gekaufte Loyalität weg, ist sein Sturz nicht mehr weit.

Die EU müsste auf die Türkei einwirken, dass sie nicht mehr gemeinsam mit Bagdad gegen die Kurden kämpft. Deutschland mit seinen traditionellen Verbindungen zum Iran müsste einen sofortigen Stopp des iranisch-irakischen Ölschmuggels verlangen. Die USA als Makler im Nahen Osten schließlich müssten Saudi-Arabien, vor allem aber Jordanien und Syrien davon überzeugen, ihre Kontakte zum Irak zu unterbrechen. Also: Grenzen zu, Ölleitungen abdrehen, Flugverbindungen streichen, Diplomatie einstellen. Die Schweiz schließlich könnte ebenfalls guten Willen zeigen und Saddams Konten einfrieren.

Saddams Diktatur ist mit dem Regime Milo- šević’ nicht vergleichbar. Im Irak gab es nie oppositionelle Medien

Der zweite Weg wäre kostspieliger und nach zehn Jahren eiserner Restriktion international wohl kaum vermittelbar: Statt das Land weiter auszuhungern, müsste gezielt Geld hineingepumpt werden, um so die wirtschaftliche, soziale und mediale Infrastruktur wiederaufzubauen, die eine grundlegende Voraussetzung für eine aufkeimende Zivilgesellschaft und einen breiten Protest in der Bevölkerung wäre. Auch dieses Konzept würde ein geschlossenes Vorgehen der internationalen Gemeinschaft zwingend voraussetzen.

Solche gemeinsamen Strategien sind die einzige Möglichkeit, Saddam beizukommen, wenn man nicht wieder tausende von Tomahawks und Cruise Missiles in die irakische Wüste ballern will. Ob der neue US-Präsident diese Strategie initiieren will, wo er doch aus dem Bundesstaat der Ölförderfirmen Texas kommt, ist allerdings fraglich. Wenn nicht, dann ergötzen wir uns eben weiterhin am großen Teufel aus Bagdad, der so herrlich gruslig durch das deutsche Medientheater geistert.

FLORIAN HARMS

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