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Schlichtungsgespräch "Stuttgart 21"Alle an einen Tisch mit Herrn Geißler

Erstmals haben sich Gegner und Befürworter von "Stuttgart 21" zusammengesetzt. Baden-Württembergs Ministerpräsident ist "optimistisch" - ihn unterstützt nun die EU.

"Ich bin sehr optimistisch, sonst wäre ich nicht hier": Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus (rechts) beim Schlichtungsgespräch. Bild: dpa

STUTTGART/BERLIN taz | Sechs Stunde hat es am Freitag gedauert, bis Heiner Geißler im Stuttgarter Rathaus die Nachricht verkünden konnte: Die Streithähne um das Bahnprojekt "Stuttgart 21" wollen weiter miteinander reden. "Wir sind zu einem gemeinsamen Ergebnis gekommen, dass wir diese schlichtung machen wollen", sagte der Vermittler am späten Freitagnachmittag.

Zuvor hatten zahlreiche Journalisten und vereinzelt Bürger mit Buttons für und gegen Stuttgart 21 den ganzen Tag über im Rathaus ausgeharrt. Zweimal eilten sie zur Absperrung vor dem Flur, auf dem die Verhandlungen zwischen Projektgegnern und -befürwortern liefen. Zweimal ein Fehlalarm. Die Gespräche zogen sich hin. Zwischenzeitlich waren sie unterbrochen worden, damit sich die Gruppen untereinander absprechen konnten.

Nach Geißlers Schilderungen standen die Gespräche immer wieder auf der Kippe. Er habe dann gemahnt: "Wenn das nicht zustande kommt, dann werden Hoffnungen zerstört." Schließlich wurden die Hoffnungen nicht zerstört. Nächste Woche Freitag wollen sich die Protagonisten wieder zusammen an einen Tisch setzen. Für jede Seite wurden sieben Vertreter ins Rennen geschickt. Auf der Befürworterseite waren dies unter anderem Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU), Verkehrsministerin Tanja Gönner (CDU) und Bahnvorstand Volker Kefer. Ihnen gegenüber sitzen unter anderem der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag, Winfired Kretschmann, sowie der grüne verkehrspolitische Sprecher, Werner Wölfle.

Der umstrittene Punkt war bis zuletzt die Arbeiten für das Grundwassermanagement. Geißlers Ausführungen, wie der Kompromiss nun aussehen soll, konnten nur noch Insider folgen. Fakt ist: Eine für ein Gebäude im Schlossgarten notwendige Betonplatte wird es vorerst nicht geben. "Erdarbeiten" aber soll es für die Grundwasserregelung geben dürfen. Außerdem habe die Bahn zugesichert, keine neuen Aufträge zu vergeben. Im Gegenzug akzeptierten das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 Arbeiten im Gleisvorfeld.

Einen völlig neuen Weg werden die Konfliktparteien in der Transparenz begehen. Die Schlichtungsgespräche sollen über Großleinwände und im Internet übertragen werden, "so dass möglichst viele Bürgerinnen und Bürger teilnehmen können", sagte der 80-jährige Geißler. Er sprach von einem "Prototyp", mit dem er auch zeigen wolle, dass auch in Zukunft schwierige Großprojekte realisierbar sind, die Bürger dabei aber von Anfang an integriert werden müssten.

"Wir wollen, dass endlich die Wahrheiten auf den Tisch kommen", sagte Hannes Rockenbauch vom Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21. Dank der Transparenz könnten die Menschen hinterher objektiv entscheiden, ob sie das Milliardenprojekt wollen oder nicht. Verkehrsministerin Gönner sagte: "Wir scheuen uns nicht vor der Öffentlichkeit - im Gegenteil."

Das Thema der ersten Schlichtungsrunde sollen die Bedeutung und Leistungsfähigkeit des Bahnknotens Stuttgart und der ICE-Neubaustrecke Wendlingen-Ulm sein. Zu den einzelnen Aspekten sollen auch unabhängige Gutachter geladen werden. Damit auch an dieser Stelle Vertreter der Landesregierung und Vertreter einer Volksinitiative auf Augenhöhe und unter gleichen Bedingungen verhandeln können, ist vorgesehen, dass das Land Baden-Württemberg die Kosten für die Gutachter übernimmt.

Mitten in die politische Debatte mischte sich unterdessen auch die Europäische Union ein. "Die Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Paris und Bratislava ist eine extrem wichtige transeuropäische West-Ost-Achse. Die Kommission legt allergrößten Wert darauf, dass sie gebaut wird", sagte EU-Verkehrskommissar Siim Kallas der Rheinischen Post. Stuttgart 21 bilde ein Kernstück dieser Magistrale.

Stuttgart 21 und die damit verknüpfte ICE-Neubaustrecke nach Ulm gehören zum sogenannten Trans-European Transport Network, dahinter verbergen sich hunderte Infrastrukturprojekte quer durch den Kontinent. Konkret erhält das Bundesverkehrsministerium von der EU 101 Millionen Euro zum Ausbau der ICE-Trasse von Wendlingen nach Ulm, sie schließt unmittelbar an Stuttgart 21 an. Zu Stuttgart 21 gehören auch Gleise, die aus der Stadt hinausführen. Für diese Trassenführung hat die Europäische Union 114 Millionen Euro zugesagt.

Gehen diese Gelder zur Förderung des Schienenverkehrs verloren, wenn Stuttgart 21 gestoppt wird? Zumindest die 114 Millionen Euro sind unmittelbar an den Bau des unterirdischen Durchgangsbahnhofs geknüpft - auch wenn der verkehrspolitischer Sprecher der Grünen im EU Parlament, Michael Cramer, sagt: Die EU-Förderung sei nur für Bahnstrecken, nicht für Bahnhöfe. Anders sieht das bei den 101 Millionen Euro, die für die ICE-Trasse von Wendlingen nach Ulm zugeschossen werden sollen, die auch ohne Stuttgart 21 gebaut werden kann.

Doch über beide finanzielle Förderungen muss die EU zumindest formal ohnehin neu entscheiden: Der Bau beider Projekte hätte laut EU-Unterlagen bereits im Januar 2007 beginnen müssen. Das ist längst vorbei, und bisher ist bekanntlich noch keine einzige Schiene verlegt worden.

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10 Kommentare

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  • AS
    Annemarie Schäfle

    Alle Bürger mit hinreichender politischer Bildung wissen bereits, dass ein Bürgerentscheid nicht möglich ist, da das Projekt Stuttgart 21 auf Bundesrecht basiert.

     

    Außerdem ist S21 durch genügend demokratische Gremien gelaufen. Ich finde es ehrlich gesagt schon ein sehr großes Zugeständnis, dass mit den Gegner überhaupt verhandelt wird. Politisch gesehen haben diese ihre Rechte an der Beteiligung am Projekt schon vor Jahren verwirkt. Was nun kommt, ist Stimmungsmache und Wahlkampf.

  • FS
    frau steingräber

    stuttgart 21 wird kommen, leider.

     

    herr geißler wurde heute morgen auf n-tv zitiert, dass die so genannte basta-politik nicht mehr zeitgemäß sei.

    das volk, die bürger wollen mitgenommen werden.

     

    stuttgart wäre der richtige einstieg für mehr direkte demokratie.

    wir sind mündige bürger, die entscheidungen gern mittragen wollen.

     

    nur weil jemand gewählt wurde, heisst dies noch lange nicht, dass er/sie auch die richtige entscheidung trifft, herr mappus.

  • W
    wolfgm

    Dieses Projekt ist mit der heißen Nadeln gestrickt und nur für die Bauenden und Ausführenden Unternehmen ,Beratern und den Politikern gewollt.In Anbetracht der 1,7 Billionen Euro Schulden die wir haben ein Unding.

    Wenn dann noch von Kosten geredet wird die das doppelte der geplanten Kosten ausmachen,wird das Ganze kriminell.Wohin sollen die Mehrkosten Verwinden ,in welche Taschen?

  • DA
    das Auge und das Ohr

    Schlichtungsgespräch "Stuttgart 21"

     

    "Baden-Württembergs Ministerpräsident ist "optimistisch" - ihn unterstützt nun die EU.

    VON N. MICHEL & I. ARZT"

     

    Dann die Meldung in der Stuttgarter Zeitung:

    "Meldungen, nach denen sich der Verkehrskommissar der Europäischen Union, Siim Kallas, in den Streit über Stuttgart 21 eingeschaltet und die Bedeutung des Bahnprojekts für Europa betont habe, wurden gestern dementiert. Kallas" Büro teilte mit, die Aussagen seien so nie gemacht worden. Richtig sei vielmehr, dass der Tiefbahnhof selbst keineswegs mit Geld aus den Töpfen der Europäischen Union gefördert wird. dapd/dpa/StZ"

     

    Sorry, aber was und wem soll man hier noch Glauben schenken????

  • A
    Anna

    Die europäische Union hat nie über den Bahnhof Stuttgart 21 entschieden oder sich dafür ausgesprochen, das wurde gestern entschieden dementiert von EU-Kommissar Kallas: "Die Aussagen seien so nie gemacht worden. Richtig sei vielmehr, dass der Tiefbahnhof selbst keineswegs gefördert werde mit Geldern aus den Töpfen der Union." Nachzulesen in der Stuttgarter Zeitung: http://www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/2673012_0_2147_-nur-der-bahnhof-ist-nicht-foerderungswuerdig.html

    Bitte liebe TAZ, falls die Stuttgart-21-Leute mal wieder irgendwas sagen, erst mal recherchieren ob das stimmt, ich erinnere nur an die angeblichen Pflastersteine und viele weitere Unwahrheiten. Bitte gleich berichtigen.

  • KW
    Kati Wetzel

    Augenauswischerei.

    Die Planer des Untergrundbahnhofes haben sich offenbar diplomatisches, psychologisch geschultes Personal herangezogen das die Wogen glätten, den Gegnern Sand in die Augen streuen und die Protestierenden zweifelnd und uneins machen soll. Sie werden erreichen, was sie erreichen wollen. Mit einem integeren Greis an ihrer Seite und irgendeinem EU-Gelaber.

    Die kriegen`s hin.

    Verdammte Scheiße.

  • V
    vic

    Mappus ist nicht zum Verhandeln gekommen.

    Er wird den Projektgegnern klarmachen, dass es exakt wie geplant weitergehen wird.

    Der Kompromiss dabei ist, dass er überhaupt gekommen ist.

    Tja und Gönner, was soll man sagen...her Masters Voice.

    Und das alles an einem Tag, an dem Schwabens einziges Licht in der Finsternis erloschen ist.

    Scheer war mein Wahlkreisabgeordneter, ich bin Waiblinger. Scheiße- er wird mir fehlen.

  • A
    alcibiades

    nun mischt also auch noch die EU-kommission mit. ihr beitrag von 114 mio. ist zwar erklecklich (ich glaube, soviel hatte ich bisher nicht auf dem konto), aber im vergleich zu bereits genannten möglichen Kosten (wer weiss) von weit über 10 milliarden nicht weiter relevant. was ich damit sagen will: herr oettinger hat seine freunde in der nur über zehn ecken demokratisch legitimierten kommission gebeten, sich mal einzumischen. ich finde, das sollte man einfach mal ignorieren.

  • B
    Berthold

    Nicht nur die Stuttgarter, auch die Franzosen haben immer mehr Probleme mit der Gleichschaltungsdiktatur der Eurokraten.

     

    Früher gabe es eine Europäische Gemeinschaft. Gemeinschaft ist fast immer gut, denn sie bewahrt die Individualität.

     

    Jetzt gibt es eine Europäische Union. Vereinheitlichung ist fast immer schlecht, denn sie unterdrückt die natürliche Vielfalt.

  • KS
    Klaus Samer

    Ich frage mich wo denn bitte die ganze Empörung in den letzten Jahren wahr als das Planfestellungsverfahren lief und die parlamentarische Beratung und Abstimmung.

    Der Prozeß wahr und ist demokratisch legitimiert, das schreiben zu müssen ist schon peinlich genug.

     

    Die Schweiz hat mit Ihrer Volksabstimmung vor dem Tunnelbau vorgemacht wie es geht.

    Die einzige Lehre aus Stuttgart 21 ist, es beim nächsten Mal anders zu machen.

     

    Alle die jetzt nach einer Volksabstimmung schreien möchte ich mal sehen wenn "das Volk" für Stuttgart 21 stimmt. Verlieren gehört derzeit nicht zum Plan, lieber mal schön sich im Lichte der Medienöffentlichkeit sonnen und die eingene Wichtigkeit geniessen - solange es dauert-.

     

    So zu tun als sei Stuttgart 21 über Nacht per undemokratischer Entscheidung zu Stande gekommen ist gelinde gesagt eine Unverschämtheit. Wer demonstriert nimmt demokratische Rechte wahr erfunden hat er damit weder die Demokratie,noch vertritt diese mehr als derjenige der wählen geht oder gewählt wurde.

     

    Die Grünen versuchen derweil mit der Welle der Empörung die Landesregierung zu schleifen, Machiavelli wäre heute sicher ein Grüner. Es gibt viele gute Gründe grün zu wählen der Widerstand gegen Stuttgart 21 ist keiner.