Schlechte Bezahlung von Hebammen: „Zwei Kreißsaalteams haben schon als ganze gekündigt“
Seit November regelt ein neuer Vertrag die Vergütung von Hebammen. Ursula Jahn-Zöhrens vom Deutschen Hebammenverband sieht darin große Probleme.
taz: Frau Jahn-Zöhrens, einer aktuellen Studie zufolge spielt jede zweite freiberufliche Hebamme mit dem Gedanken, ihren Beruf aufzugeben. Warum?
Jahn-Zöhrens: Hebammen hadern schon länger mit den Verhältnissen, in denen sie ihren Beruf ausüben. Weder bekommen sie die Anerkennung, die ihrer Verantwortung gerecht wird, noch spiegelt sich das, was sie unter schwierigen Arbeitsbedingungen leisten, in der Vergütung wider. Zudem fand die Befragung zu einem Zeitpunkt statt, als die jüngste Fassung des Hebammenhilfevertrags bereits bekannt geworden war. Damit wurde Öl ins Feuer gegossen.
taz: Der von einer Schiedsstelle festgesetzte Hebammenhilfevertrag regelt die neue Vergütung von Hebammen, er ist nun Anfang November in Kraft getreten. Was ist dabei das Problem?
Jahn-Zöhrens: Freiberuflich tätige Hebammen berechnen ihre Leistungen gemäß diesem Vertrag. Die neue Version wurde im April 2025 festgesetzt. Wir haben mehrere Kritikpunkte daran. Erstens verdienen Hebammen grundsätzlich zu wenig. Ihr Stundenlohn ist dem neuen Vertrag zufolge etwa 10 Euro niedriger als der von ErgotherapeutInnen und LogopädInnen. Zweitens werden verschiedene Gruppen von Hebammen unterschiedlich bezahlt, was die Kolleginnen spaltet.
ist seit 1989 freiberuflich als Hebamme in eigener Praxis tätig. Im Deutschen Hebammenverband ist sie Beirätin für den Freiberuflichenbereich.
taz: Was meinen Sie genau?
Jahn-Zöhrens: Rund 4.000 Hebammen in Deutschland arbeiten als sogenannte Beleghebammen: freiberufliche Hebammen, die ihre Arbeit eigenständig in Klinikkreißsälen organisieren. Diese Gruppe wird in Zukunft deutlich schlechter bezahlt.
taz: Was würde eine solche Hebamme, die in Vollzeit arbeitet, künftig etwa durchschnittlich verdienen?
Jahn-Zöhrens: Das Einkommen von Hebammen unterliegt starken Schwankungen, die zum Beispiel von der Zahl der betreuten Geburten und den Bedarfen der Frauen abhängen. Über alle Tätigkeitsbereiche hinweg gehen wir derzeit von einem Jahresumsatz zwischen 50.000 und 75.000 Euro brutto aus. Davon müssen, wie bei allen freiberuflich Tätigen, zum Beispiel Kranken- und Rentenversicherung getragen werden, zudem die Berufshaftpflicht, die sehr teuer sein kann. Die Beleghebammen haben mit dem neuen Vertrag Einkommensminderungen um bis zu 30 Prozent.
taz: Das Deutsche Krankenhausinstitut schreibt, dass es mehr als 80 Prozent aller Kliniken, in denen Beleghebammen arbeiten, für sehr oder für ziemlich wahrscheinlich halten, dass ihre Hebammen angesichts des neuen Vertrags in hoher Zahl kündigen oder ihre Tätigkeit stark einschränken. Haben schon Teams gekündigt?
Jahn-Zöhrens: Wir wissen von mindestens zwei Kreißsaalteams in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen, die als ganze gekündigt haben. Vor allem aber kündigen derzeit etliche einzelne Kolleginnen. Wenn eine Geburtshilfe in einem Beleghaus mit 15 Kolleginnen gut arbeiten kann, aber 5 von ihnen kündigen, können die übrigen 10 die Betreuung nicht mehr gewährleisten. Manche Hebammen wechseln jetzt auch aus dem freiberuflichen ins angestellte System.
taz: Was ist daran schlimm?
Jahn-Zöhrens: Erst mal nichts, der Kreißsaal steht ja weiter zur Verfügung. Aber die Durchlässigkeit sowohl zwischen ambulanter und stationärer Versorgung wie auch innerhalb der Hebammenarbeit kann im Belegsystem vorteilhafter geregelt werden. Die Flexibilität von Beleghebammen ist größer: Sie unterliegen nicht dem Arbeitszeitgesetz und können sich ihre Arbeit anders einteilen. Sie können zum Beispiel leichter aus der Bereitschaft hinzugezogen werden. Aber ich will die Systeme auch nicht gegeneinander ausspielen.
taz: Wollen die Beleghebammen denn lieber freiberuflich arbeiten, auch wenn etwa das Arbeitszeitgesetz nicht gilt?
Jahn-Zöhrens: Ausdrücklich ja. Sie wollen entscheiden können, auch noch ein drittes Mal innerhalb von vier Tagen zu kommen, wenn sie eigentlich einen freien Tag hätten, aber viel los ist. Sie wissen, nächste Woche wird dafür dann weniger los sein.
taz: Was bedeutet der neue Vertrag für die Geburtshilfe?
Jahn-Zöhrens: Wir haben die große Sorge, dass er regional zu Engpässen und letztlich zu Schließungen ganzer Kreißsäle führt. Zudem werden sich Kolleginnen frustriert beruflich verändern, weil sie mit ihrem Einkommen nicht mehr zurechtkommen.
Was heißt die Situation für werdende Mütter?
Jahn-Zöhrens: Gerade ringen wir noch mit den Kassen um Änderungen bei Regelungen zu notfallmedizinisch-ambulanten Leistungen, zum Beispiel fraglichen Blasensprüngen. Mit dem jetzt gültigen Vertrag befürchten wir, dass Frauen in der Versorgung in der Schwangerschaft – also noch nicht akut unter der Geburt – in ähnlich langen Warteschleifen hängen, wie es jetzt schon PatientInnen aus den Notaufnahmen der Kliniken berichten. Zudem müssen werdende Eltern weiter fahren, wenn tatsächlich so viele Hebammen aussteigen, dass Kreißsäle schließen. Das muss im Kontext der Krankenhausreform generell noch mal betrachtet werden. Und schließlich kann es gut sein, dass Kolleginnen sagen: Ich würde gern zur Verfügung stehen, schaffe es aber nicht mehr, weil die neuen Abrechnungsregelungen zu starr sind.
taz: Kürzlich hat auch die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe geschrieben, sie nehme „mit Sorge“ wahr, dass der Vertrag in Kraft getreten sei. Wenn den nur die Krankenkassen gut finden, warum kam er zustande?
Jahn-Zöhrens: Den Vertrag hat eine unabhängige Schiedsstelle beschlossen, die sich einschaltet, wenn sich Parteien nicht einigen können. Wir als Deutscher Hebammenverband hatten die Verhandlungen dazu mit dem GKV-Spitzenverband der Krankenkassen abgebrochen. Die Schiedsstelle hat dem GKV-Entwurf zugestimmt. Wir fordern deshalb eine Reform sowohl der Vertragsverhandlungen als auch des Prozederes innerhalb der Schiedsstelle. Aber für diesmal hilft das nichts mehr.
taz: Welche Optionen haben Sie noch, den Vertrag zu verändern?
Jahn-Zöhrens: Wir haben Klage vor dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingereicht. Allerdings dauert ein Beschluss erfahrungsgemäß zwei bis drei Jahre, und die Klageeinreichung hat keine aufschiebende Wirkung. Um besonders die Härten für das Belegsystem abzufedern, haben wir noch einen Eilantrag eingereicht, der das Inkrafttreten dieser Vertragsteile zunächst stoppen soll. Den Beschluss dazu hätten wir vor Inkrafttreten des Vertrags am 1. November erwartet. Uns liegt aber noch nichts vor.
taz: Kann sich politisch noch etwas tun?
Jahn-Zöhrens: Alle demokratischen Parteien haben sich sehr engagiert, dafür sind wir sehr dankbar. Das hat dazu geführt, dass der GKV-Spitzenverband im September noch zum Versuch bereit war, die eine oder andere Härte des Vertrags abzumildern. Nichtsdestotrotz kann die Politik einem Prozedere innerhalb der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen faktisch nichts entgegensetzen. Ein geschiedster Vertrag gilt. Die Politik könnte nur intervenieren, wenn es grob fahrlässige Fehler gegeben hätte, die zu einem Versorgungsnotstand der Bevölkerung führen könnten.
taz: Diese Gefahr sehen Sie aber nicht?
Jahn-Zöhrens: Das nicht, nein.
taz: Was könnte im schlechtesten Fall passieren?
Jahn-Zöhrens: Wenn wir das Eilverfahren verlieren und die Kolleginnen im freiberuflichen Bereich nicht durchhalten, weil die Bedingungen einfach zu schlecht sind, kommen wir zu einer prekären Situation in ländlichen Regionen mit weniger Kreißsälen. In urbanen Regionen müssen weniger Klinken dann mehr Schwangere versorgen.
taz: Und was könnte im besten Fall noch passieren?
Jahn-Zöhrens: Bestenfalls käme im Eilverfahren ein Beschluss zustande, der es uns gestattet, die extremsten Schieflagen des Vertrags auszugleichen.
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