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Schlappe der Berliner Grünen„Der Wind hat sich gedreht“

Vor allem an die Linke hat die viele Partei Stimmen verloren. Landesvorsitzender Philmon Ghirmai spricht im Interview über mögliche Ursachen.

Damals noch optimistischer: Philmon Ghirmai auf der Landesdelegiertenkonferenz im November Foto: dpa | Annette Riedl
Jonas Wahmkow
Interview von Jonas Wahmkow

taz: Herr Ghirmai, die Grünen haben besonders in Berlin stark eingebüßt. Woran hat es gelegen?

Philmon Ghirmai: Wir haben bundesweit in allen Großstädten Verluste erlitten, während die Linke hinzugewonnen hat. Das ist keine Berliner Besonderheit, sondern auch in Hannover, Köln, Leipzig, Freiburg und andernorts zu beobachten. Und ja, wir hatten uns im Bund und im Land mehr erhofft. Es war aber insgesamt ein sehr schwieriger Wahlkampf, in den wir als Mitglied einer sehr unbeliebten Bundesregierung gestartet sind. Dennoch hatten wir ein gutes Momentum zu Beginn, dank der vielen Neumitglieder und auch der richtigen Botschaften in puncto Klimaschutz, Investitionen und soziale Gerechtigkeit. Infolge des Dammbruchs im Bundestag, als die Union willfährig mit der AfD abstimmte, hat sich der Wind aber noch mal gedreht. Die Linke hat es am besten verstanden, dem offenkundigen Rechtsruck eine klare Botschaft entgegenzustellen, während andere Parteien, da schließe ich unsere mit ein, das nicht entsprechend geschafft haben.

taz: In Pankow, Mitte und Tempelhof-Schöneberg konnten die Grünen Direktmandate holen. Das sind die Wahlkreise, die dem Realo-Flügel zuzuordnen sind. In der linksgrünen Hochburg Friedrichshain-Kreuzberg ging das Mandat an die Linke. Ist das Wahlergebnis eine Niederlage des linken Flügels?

Ghirmai: Diese Erklärung greift zu kurz. Wir haben in Friedrichshain-Kreuzberg mit über 30 Prozent das beste Erststimmenergebnis in Berlin erzielt, das aber leider aufgrund des Aufwinds, den die Linke erfahren hat, nicht für das Direktmandat gereicht hat. Das schmerzt uns sehr. Die Stimmenverluste unsererseits und die Stimmenzuwächse der Linken sind jedoch stadtweit zu beobachten und deuten auf ein weitergreifendes Phänomen hin, das einer genauen Analyse bedarf.

Im Interview: Philmon Ghirmai

bildet zusammen mit Nina Stahr den Landesvorsitz der Berliner Grünen.

taz: Wie war der Einfluss der Parteispitze rund um Robert Habeck? Sein Wahlkampf hat eher die bürgerliche Mitte als linke Ber­li­ne­r:in­nen angesprochen.

Ghirmai: Es war folgerichtig, mit Robert Habeck als Spitzenkandidat in die Wahl zu gehen, da er viele Jahre für uns in der Partei und in der Regierung Verantwortung getragen hat. Er hat einen sehr engagierten Wahlkampf geführt und zugleich in seinem Statement nach der Wahl selbstkritisch gesagt, dass die Strategie, für die er persönlich stand, nicht aufgegangen ist. Er beschönigt das Ergebnis nicht und legt den Finger in die Wunde. Diese müssen wir als Partei gemeinsam schließen.

taz: Gibt es Lehren in Hinblick auf die Abgeordnetenhauswahlen 2026?

Ghirmai: Wir werden uns für die Analyse Zeit nehmen und gemeinsam Schlüsse ziehen. Persönlich ist mir wichtig, dass wir Angebote machen, die lebensnah sind, auch beim Klimaschutz. Und dass wir drängende Gerechtigkeitsfragen thematisieren, wie etwa in der Wohnungspolitik, wo wir zum Beispiel einen „Vermieterführerschein“ vorschlagen. Ich werde mich immer für unsere vielfältige Stadt einsetzen. Das Wahlergebnis der in Teilen rechtsextremen AfD darf niemals normalisiert werden. Wir werden als Berliner Grüne alles dafür tun, dass sich das nicht wiederholt.

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