■ Sex in der U.S. Army und der Niedergang des Puritanismus: Schlampe & Heroine
Amerikas berühmteste Ehebrecherin heißt Hester Pryne, verhaßt bei Generationen von Schülern, die sich mit ihrer Geschichte beschäftigen mußten. Die schrieb 1850 Nathaniel Hawthorne in seinem Roman „Der scharlachrote Buchstabe“. Nahezu 250 Jahre später bewegt die Geschichte einer Ehebrecherin wieder die Phantasie der Menschen, Kelly Flinn heißt sie und flog bis vor kurzem die B52 genannten urtümlichen Todesmaschinen. Gestern wurde der Prozeß, der ihr unter anderem wegen Ehebruchs gemacht werden sollte, eingestellt. Eine Welle der Solidarität war ihr entgegengeschlagen. Aus der mit dem roten A (für Adulteress = Ehebrecherin) Stigmatisierten von damals ist eine moderne Heldin geworden. Was ist aus dem puritanischen Amerika geworden?
Zur Erinnerung: Kelly Flinn war zunächst nur ein weiterer Name in den sich ausweitenden Sexskandalen in den US-amerikanischen Streitkräften. Gut ein Dutzend Prozesse stehen in Aberdeen, Maryland, noch an; angeklagt werden Ausbilder von Rekrutinnen wegen sexueller Gewalt. Kelly Flinn aber wurde ein Verhältnis zu einem rangniederen Soldaten und dann zu einem verheirateten Zivilisten angelastet. Ehebruch und sexuelle Beziehungen zu Untergebenen sind in der Air Force verboten. Wie antiquiert – stöhnte die Öffentlichkeit auf. Das sind doch Moralvorstellungen von vorgestern, oder?
Man befrage die Soldatin Gayla A. Zigo, die Ehefrau des Mannes, mit dem Kelly Flinn ein Verhältnis hatte. Kaum eine Woche, nachdem die Zigos auf der Luftwaffenbasis in North Dakota angekommen waren, lag die Pilotin mit ihrem Mann im Bett. Schamlos, so Gayla A. Zigo, habe Flinn ihre schmucke Uniform eingesetzt, um ihrem Mann den Kopf zu verdrehen. Des einen Heroine ist der anderen Schlampe.
Durch die Sexskandale in den Streitkräften wurde wieder mal die Frage aufgeworfen, was Frauen in der Armee zu suchen haben. Als Opfer jedenfalls passen sie nicht ins Bild, das sich die amerikanische Öffentlichkeit von ihren Streitkräften macht – jedenfalls nicht als Opfer sexueller Gewalt. Da kam Kelly Flinn sehr gelegen, eine moderne Amazone, die sexuell aktive und zugleich todbringende Frau, im Geschlechterkrieg so erfolgreich wie im Umgang mit militärischer High-Tech. Wenn schon Frauen in der Armee, dann als moderne Penthesilea, die, anders als in Kleists Drama, nicht von Achilles getötet wird. Die Verfilmung von Hawthornes „Scharlachrotem Buchstaben“ hat ja, anders als der Roman, auch ein Happy- End. Peter Tautfest
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