■ Schlagloch: Nachrichten-Bulimie mit Lady Di Von Friedrich Küppersbusch
Der schreckliche Unfall – alles ganz anders?“
Titeldachzeile der „Bild“- Zeitung gestern
Und bis wir wissen, wie anders alles war, mögen „sich die Betroffenheitsheuchler mit vorschnellen Verurteilungen zurückhalten“. Kommentiert umseitig Bild-Redakteur Udo Röbel. Was Udo sich da zusammenröbelt, trifft zunächst mal volle Kanne seinen Kollegen Paul C. Martin. Der hatte sich tags zuvor an gleicher Stelle routiniert seine Lesebrille auf die Unterlippe gekippt – das sieht prima kompetent aus – und wuchtig ins Blatt offiziert: „Es gibt Grenzen!“ Und die seien durch den „Belagerungszustand“ gegen Diana „eindeutig überschritten“. Ein Erfolgsgeheimnis der Bild-Kommentare mag sein, daß sie in Form, Länge und Konsistenz optimal in jene Pausen passen, die der deutsche Werktätige morgens gegen neun auf der Betriebstoilette zubringt. Das andere Erfolgsgeheimnis ist, daß sie klingen, als seien sie auch genau dort entstanden. Mögen Udo und Paule sich über den Sichtschutz des Springer-Herrenklos angrinsen und das würzige Aroma der Liberalität des Hauses inhalieren. Es gibt Grunzen. Bruharhar.
„Lady Di ist tot“ ist eigentlich keine Nachricht, sondern die erste Hälfte eines One-Liners. In der zweiten Hälfte kommt dann was mit BSE, oder Camilla Parker- Bowles Jagdleidenschaft oder so, die Gagschreiber werden schon was Passendes finden. Reflexe eben, die anspringen und losproduzieren, bevor man noch ganz hat durchrieseln lassen, daß es sich doch wohl um eine Nachricht handelt. Oder auch, um sich davor zu schützen, die Nachricht ganz an sich herankommen zu lassen. Immerhin wäre es ja doch wohl mörderpeinlich, darüber so gar nichts anderes als traurig zu sein. Viele Briten kaufen Blumen und legen sie vor symbolträchtigen Wirkungsorten Dianas nieder. Das betrachten wir im Fernsehen, legen vielleicht im Geiste ein paar dazu oder delektieren uns dann doch lieber an der rührenden Übertreibung. Spekulieren, auf welcher jammernormalen Kompostkippe der ganze Ramsch in ein paar Tagen modern wird. Ein Kanonenschlag eben, der eine Adrenalinausschüttung bewirkt, und die will irgendwie verarbeitet sein. Im „Wie“ des Verarbeitens mag sich dann etwas vom Wesen der Verstorbenen widerspiegeln. Ganz sicher gibt es Auskunft über das Wesen derer, die da verarbeiten.
„Das Unrecht am eigenen Bild“ schlagzeilt die Süddeutsche. „Tödliche Jagd“ die FAZ. „Nach Tod Kritik an den Medien“ die Frankfurter Rundschau. „Privat war nicht einmal ihr Tod“ die taz. Da fällt es schwer, nicht vom Deutschen in seiner possierlichen Gesamtheit zu sprechen, der gern „Die sind Schuld!“ brüllt, auf jede Art von Irritation mit hektischem Zielgrübeln reagiert und so vor allem sich das verschafft, was er am schmerzlichsten entbehrt: Ordnung. Der Tod der – so isses nun einmal: – Märchenprinzessin! schafft: Unordnung. Die kann man ertragen, beweinen, konsumieren, und sogar pervertiert genießen: Ein bei Lichte betrachtet relativ harmloser Fall von Unordnung, der Gelegenheit gibt, ausführlich und kräftig sich selbst bestätigend Ordnung zu schaffen. „Jetzt müssen die Lehren gezogen werden!“ resümiert es da, was nix anderes heißt, als den lächerlichen Versuch zu starten, Unglücksfälle künftig zu verbieten oder wenigstens unter Strafe zu stellen. Oder, die evangelische Version, sich wenigstens selbst zu geißeln.
Ich persönlich finde Frauen in Wurstpellen sexuell unattraktiv und habe es immer bedauert, wenn die Blutblätter statt saftiger Geschichten oder wenigstens richtig nackter Frauen diese blöden Diana-beim-Bodybuilding-Bilder brachten. Die ganze „Sind wir nicht auch selber Schuld?“-Pathetik geht mir am Kreuz vorbei. Es gibt Leute, die zum Kondolenzbesuch belanglose Blümchen und austauschbare Worte mitbringen, und es so auf sich nehmen, daß es für die Situation eh nichts „Passendes“ gibt. Der vorgenannte Deutsche bringt aber wenn schon, dann ganz genau die richtigen Blümchen mit, das hat er vorher nachgelesen, und bietet statt warmer Worte den Hinterbliebenen seine Mitwirkung bei der Gründung einer Bürgerinitiative gegen das Unrecht der Welt an. Da sowieso schon alles unpassend ist, finde ich das auch nicht weiter beklagenswert, sondern schlicht den artgerechten Ausdruck der Trauer. Geht in Ordnung. Andere haben andere Eigenarten.
Mit Abebben des Adrenalinspiegels vollzieht sich die dementsprechende Relativierung des Themas. Ich wette, daß wir bereits in der Phase der ersten Lady-Diana- Witze („...ist geblitzt worden?“) eintreten. Daß eine mächtige Ola von „Kann Prinz Charles jetzt Camilla heiraten“-Beiträgen folgt. In einigen Tagen meldet Andrew Lloyd-Webber die ersten Arbeiten am Libretto des „Diana“-Musicals. „Diana – der Film“, natürlich. Und klasse Verschwörungstheorien à la „Camilla und die angesägte Bremsleitung ... was wußte der CIA ... Gaddafi bezahlte den besoffenen Fahrer“. Das gehört zum endgültigen Aufstieg in die Kennedy-Monroe/Presley-Liga. Das wird verschlungen, lecker Diana-Stöffchen, und je nach Gesinnungslage mit dem säuerlichen Beigeruch angedauter Moral wieder ausgekotzt: Nachrichten-Bulimie mit Lady Di, ein alles in allem standesgemäßer Abschied.
Die einzige tatsächlich zu ziehende Lehre hieße, daß man sich anschnallen möge, wenn der Fahrer mit 1,75 Promille fährt. Igitt, wie banal. Also werden wir die Debatte um die Paparazzi weiterführen, statt uns mit der trefflichen Pointe zu begnügen, die gestern die Nachrichtensendungen präsentierten: Daß nämlich vor dem Pariser Polizeipräsidium eine Horde von Paparazzi auf eine Horde von Paparazzi lauert. Schon tönt Bundesjustizminister Schmidt-Jortzig, er sehe in Deutschland keine Gründe für schärfere Gesetzgebung gegen die Medien. Was bei Schmidt-Jortzig allenfalls klarzieht, daß er es dann eben ohne Gründe macht, wenn ihm danach ist: Die Lex Bundeswehr fand er auch überflüssig, drei Tage bevor er sie vorlegte. Ein weiterer Politpromi, der sich von der Bild-Warnung vor Betroffenheitsheuchelei angesprochen fühlen darf, ist der Bundeskanzler. Statt am offenen Sarg keine Umstände und einen gefaßten Eindruck zu machen, pladdert es aus ihm hervor: „auch das Opfer eines immer brutaleren und skrupelloseren Konkurrenzkampfes eines Teils der Medien“ sei Diana geworden. Was offenbar nicht reicht, weswegen Kohl ihr noch diesen komplett unleserlichen dreifachen Genitiv hinterherwirft. Den „Verantwortlichen in den Medien“, so faßt der Kanzler seine ganze Rührung zusammen, solle das Ganze „endlich Anlaß zum Nachdenken geben“. Hier ist die Grenze zwischen wütendem Austeilen als Ausdruck der Trauer – und schlichtem Süppchenkochen dann doch noch eindeutig überschritten worden. Helmut Kohl, der geschonteste unter allen politischen Medienstars vergleichbaren Ranges, drängelt sich in den zermatschten Daimler, schiebt die unpäßliche Prinzessin zur Seite und grinst mit ins Foto: „Aua! Ich auch!“ Oder frei interpretiert: „Erst hetzen sie Diana zu Tode, und als nächstes fragt mich die von Haaren wieder nach den Arbeitslosen!“
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