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■ SchlaglochBürgerarbeit im Prenzlauer Berg Von Nadja Klinger

„Von oben nicht verwässert, von unten wirklich ergriffen, könnte Bürgerarbeit ... die Seele der Demokratie beleben.“ Ulrich Beck im Abschlußbericht der bayerisch-sächsischen Zukunftskommission, November 1997

Zunächst müssen Ideen zünden. Der Soziologe Ulrich Beck weiß das. Deshalb hat er in der Kaiser's- Filiale am Teutoburger Platz, Berlin-Prenzlauer Berg, ein Feuer entfacht.

Das ist schon ein paar Wochen her, die Anwohner feierten gerade ein Kiezfest mit Klezmer, Salsaband und Rockgruppe. Um halb elf klirrten bei Kaiser's plötzlich die Scheiben. Beck, natürlich maskiert, warf den ersten Brandsatz in die Vorhalle. Die Nachtluft, bisher von ausgelassener Gemeinsamkeit erfüllt, begann zu stinken. Weitere Vermummte – wahrscheinlich auch sie, wie Beck, Mitglieder der Zukunftskommission von Kurt Biedenkopf und Edmund Stoiber – stürmten mit Brandflaschen herbei.

In einem Bekennerschreiben wurde die Firma Kaiser's beschuldigt, Flüchtlingen Waren nicht gegen Geld, sondern für Wertmarken verkaufen zu wollen. „Falls das tatsächlich der Anlaß des Anschlags war“, erklärte Almuth Tharan, Bezirksverordnete von Bündnis 90/Die Grünen, „ist davon auszugehen, daß er eine Solidarisierung gerade nicht bewirken wird.“

Ulrich Beck konnte sich auf den Verlauf seines Experiments verlassen. Die Ereignisse am Teutoburger Platz lieferten fortan all das, was der Soziologe brauchte, um beweisen zu können, daß sein Plan aufgeht: „Bürgerarbeit“ soll demnach zukünftig an die Stelle der (immer weniger vorhandenen) Erwerbsarbeit treten. Und die Menschen, die diese Arbeit verrichten können, die sich „jenseits der klassischen Ehrenamtlichkeit engagieren“, die spontan sind, kooperativ und im Sinne des Gemeinwohls denken, gibt es schon. In der Zukunft, so Beck, müßten diese Eigenschaften nur noch zu „einem neuen, sozial verführerischen Zentrum gesellschaftlicher Aktivität gebündelt werden“.

Der Frust über den abgebrannten Supermarkt erhitzte die Gemüter. Die Bürger kamen auf Ideen. Flugblätter segelten über den Teutoburger Platz. „Um Kaiser's tut es uns nicht leid“, stand darauf geschrieben, „angesichts dessen, was seit Jahren hier passiert: Ein kleiner Laden nach dem anderen geht kaputt. Statt dessen macht eine Yuppiekneipe nach der anderen auf.“ Andere Blätter riefen: „Uns stinkt dieses neue Deutschland gewaltig!“ Die Anwohner stritten. Ein Mann fühlte sich weniger von der Flüchtlingspolitik des Staates als durch die Billiglohnarbeit der großen Supermarktketten bedroht. „Das wäre schon eher eine Begründung für die Abfackelung gewesen“, sagte er.

Der Mehrheit aber ging der Anschlag gegen den Strich. „Ich nehme an, daß Sie nicht eher Ruhe finden werden, bis Sie einen Einkaufsdienst für die alten Leute eingerichtet haben“, schrieb jemand an die ihm unbekannten Brandstifter, vorausschauend anonym, „weil ich keine Lust habe, mir von Kleinkriminellen, denen für politische Aktivitäten jegliche Phantasie fehlt, die Bude anstecken zu lassen.“

Und schließlich, erst ein paar Tage waren seit seinem Brand vergangen, konnte sich Ulrich Beck in der Ferne gelassen zurücklehnen. Die Leute vom Teutoburger Platz waren nicht nur auf Ideen gekommen, sondern in geistige Bewegung geraten. „Wie toll wäre es, wenn Kaiser's sein Vorhaben wahrmachen würde“, schlug einer vor, „da müßte man seinen Einkaufswagen nur zusammen mit einem Flüchtling durch die Kasse schieben – der würde mit seinen Gutscheinen bezahlen, und ich gebe ihm das entsprechende Geld in bar in die Hand.“

Im Bericht der Zukunftskommission liest sich das mit Beck so: „Ich stelle mir Menschen vor ... als ,charismatische‘ Nachbarn. Sie können Geschichten erzählen, Menschen miteinander ins Gespräch bringen und sie so verführen, etwas zu tun, was sie ansonsten vielleicht gar nicht erwogen hätten... Sie verfolgen eine Idee, verstehen aber zugleich, diese in einer Politik der kleinen Schritte umzusetzen. Sie stellen Beziehungen her, knüpfen soziale Netzwerke, stiften Vertrauen und Kooperation... Ihre Initiativen widersprechen oft dem, was in Politik und Verwaltung als machbar gilt.“

So weit, so gut könnte der Prenzlauer Berg mit kleinen Schritten in die Zukunft gehen und „Themen wie Bildung, Umwelt, Gesundheit, Sterbehilfe, Betreuung von Obdachlosen, Asylbewerbern, Lernschwachen ... zum Gegenstand selbstorganisierter, grundfinanzierter Bürgerarbeit machen“ (Beck). Könnte. Wenn man hier statt „Denken im Sinne des Gemeinwohls“ nicht einfach nur „unser Kiez“ sagen würde. Und wenn es in diesem Kiez nicht so eng wäre.

„Unser Kiez“ hegt die eigenen Leute, indem er andere ausgrenzt. Wer am Kollwitzplatz wohnt, ist am Humannplatz, fünf Fußminuten entfernt, fremd. Wer rund um die Oderberger Straße wohnt, sollte sich in den Streit am Teutoburger Platz nicht einmischen. Das Engagement der Leute dort bindet sie dermaßen an den Ort des Geschehens, daß sie fortan nicht die Sache, sondern das Territorium verteidigen.

Kleine Läden, Yuppiekneipen, der Kaiser's-Supermarkt – wer die örtlichen Zusammenhänge nicht ganz genau kennt, erweckt bei den Bewohnern schnell den Verdacht, „mit den Brandstiftern unter einer Decke zu stecken“, mindestens aber „neu in den Kiez gezogen“ zu sein. Die zweite ist die harmlosere, daher gängigere Variante, andere auszuschließen, um mit den Seinen unter sich zu bleiben. Vom Kiezdenken ist es nicht weit bis zum Denken an sich selbst. Mit anderen Worten: So simpel wie hoffnungsvoll Ulrich Becks Gedanke der „Bürgerarbeit“ ist, so leicht und hoffnungslos scheint er auch zum Scheitern verurteilt zu sein. Wie sollten die kleinen Schritte zu großer Politik werden, wenn der Flüchtling aus dem Nachbarkiez mit der Wertmarke-gegen-Geld- Aktion schon nicht mehr gemeint ist?

Jeder Kiez im Prenzlauer Berg ist in einer Verteidigungsposition gegenüber dem anderen. Die Menschen, in denen nach Becks Idee so viele Chancen stecken, werden so, vermutlich, statt daß sie „Bürgerarbeit“ machen, Fronten durch den Stadtbezirk ziehen. So, wie sie es bereits tun – und das sogar, indem sie dabei die demokratisch legitimierten Grenzen ignorieren. Selbst in gewählten Gremien oder in Bürgerausschüssen ist es schwer, Politik für den ganzen Stadtbezirk zu machen.

Statt beispielsweise gemeinsam die notwendigen Schulschließungen für den Bezirk erträglich zu machen, kämpft hier jeder Kiez nur darum, daß seine Schule erhalten bleibt. Die „von oben nicht verwässerte“ und „von unten wirklich ergriffene“ (Ulrich Beck) Mahnung, für den ganzen Bezirk zu denken, bringt einem lediglich den Vorwurf ein, ein junger, zugereister Wessi zu sein. Das schlägt der Demokratie doch eher aufs Gemüt.

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