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■ SchlaglochUp, up and away! Von Christiane Grefe

„Laßt uns über Leidenschaft reden“ Jost Stollmann, Schröders designierter Wirtschaftsminister

Am liebsten hören Kinder Geschichten aus der Zeit, als ihre Eltern Kinder waren. Bei uns zu Hause handelten sie oft von den stadtbekannten Fabrikbesitzern – und damit vom Gegensatz zwischen der Enge sauerländischer Täler und der Weltläufigkeit der dort lebenden Technik-Tüftler. Eine dieser lokalen Lichtgestalten war Carl Berg, jener Aluminium- Pionier und Erbauer der ersten Zeppeline. Bis in die 30er Jahre hinein, als die mächtigen Himmelslimousinen längst im Linienverkehr den Atlantik überquerten, machten solche Traumschiffe immer wieder mal einen Umweg über Lüdenscheid, eigens um ihren Erfinder zu ehren. Einmal schon in aller Herrgottsfrüh. So oft hat mein Vater davon erzählt, daß ich das Bild bis heute vor mir sehe: den zwölfjährigen Schüler, der rasch den Mantel über den Schlafanzug geworfen hat und zwischen den vielen Zusammengelaufenen ganz aufgeregt ist über den „dollen Anblick!“ Wie der riesige Wolken- Wal leise brummend und sich regelrecht verneigend minutenlang über der prächtigen Bergschen Villa steht.

Das große, mythische Tier: Zugleich pummelig und poetisch, elefantös und elegant war es damals schlechthin das Symbol für den Traum vom Fliegen. Doch mit der Katastrophe von Lakehurst 1937 fand der „German Sonderweg der Aviation“, so der SZ-Autor Claus Heinrich Meyer, ein jähes Ende. Jahrzehntelang posierten höchstens noch Miniaturausgaben namens „Blimps“ für Fuji-Film oder die LBS, und schnittige Düsenjets haben den fliegenden Phallus dem Spott jener „menschlichen Aktenköfferchen-Anhängsel“ ausgesetzt, welche laut Meyer „von Mach-Zahlen besoffen werden“. Ihre Jets nach New York, Rio, Tokio brüllen den Rhythmus, bei dem jeder mit muß und der sich auf der alten Zeppelinstrecke gesteigert hat bis zum Höhepunkt Concorde: Jenem rasenden Raubvogel, der bei einem einzigen Start angeblich so viel Sauerstoff verbraucht, wie die Schweizer Bevölkerung in einem ganzen Jahr einatmet.

Und nun wird, staunt die Absolventin des „Zeppelin-Gymnasiums“ über Spiegel-Meldungen, an der Schwelle zum 21. Jahrhundert das Luftschiff wiederentdeckt. Das wäre doch etwas: Fliegen ohne Lärm, ohne landschaftsverbrauchende Start- und Landepisten, ohne schädliche Emissionen. Womöglich auch noch solargetrieben. In Friedrichshafen entwickelt die „Zeppelin GmbH“ ein Passagiergefährt für touristische Zwecke, mit neuen Materialien, aerodynamischen Tricks und einem Antriebssystem ohne Explosionsgefahr. Und in Wiesbaden erproben Ingenieure den „Cargo-Lifter“, der als schwebender Kran sperrige Güter weltweit auf jedes Werksgelände transportieren kann. So könnte die „fliegende Zigarre“ auch heute wieder zu einem Sinnbild werden: für schadstofffreien Transport und eine ökologisch verantwortliche neue Kultur des Reisens. Doch statt dessen demonstriert der Umgang mit dieser und anderen Flugverkehrsalternativen eine uninspirierte Forschungspolitik, die, siehe Eurofighter, auf Interessen reagiert – aber nicht mit Lösungen auf Probleme.

Zwar beträgt der Anteil der Luftfahrt am Welt-Ölverbrauch derzeit „nur“ rund fünf Prozent. Ihre Klimafolgen aber haben es in sich: In Höhen über 8.000 Metern bauen sich die Treibstoffemissionen viel langsamer ab. Zudem nimmt die Zahl der Jet-starts atemberaubend zu: Mit einer Verdreifachung der Flugbuchungen bis 2015 rechnet die Internationale Tourismusbörse. Und auch die Frachtflüge expandieren: Up, up and away! Das politische Ziel müßte also klar sein: Weg mit dem Verbrauch fossiler Energien im Flugverkehr – auf Deubel komm raus, wie man in Carl Bergs und meiner Heimatstadt sagt.

Bisher folgenlos nur auf dem Papier steht – in allen Parteien – die Flugbenzinbesteuerung. Lustlos werden Wasserstoff-Flugzeuge entwickelt, die nur noch klimaunschädlichen Dampf emittieren würden. Für Zeppeline sieht die Luft- und Raumfahrtforschung keinen Bedarf. Ihre Erprobung statt Militärflugzeugen zu fördern, war immerhin Teil eines Antrags zur Ökologisierung und exportsichernden Innovation der Luftfahrt, den eine Gruppe von 47 SPD-Bundestagsabgeordneten letztes Jahr einbrachte. Die Reaktion war zurückhaltend. Vermutlich aus Sorge, als wunderlich zu gelten. Als Luftikus...

„Wenn es um die ökologische Erneuerung geht, demonstrieren die etablierten Wortführer der technologischen Innovation lupenreinen Technikpessimismus“, so deutet hingegen der Initiator jenes Antrags, Hermann Scheer, solche Zögerlichkeit. Der Präsident der Sonnenenergievereinigung Eurosolar spricht aus Erfahrung: Auch der Einsatz der Photovoltaik und der Windenergie im großen Stil wurde noch bis vor zehn Jahren für verrückt erklärt. Die vermeintlichen Spinner von damals: Heute haben sie Shell vom Bau einer großen Solarzellenfabrik überzeugt, sie foppen mit Solarstrom-Aktiengesellschaften den fossilen und atomaren Strommarkt, sie bauen Häuser, die das Mehrfache ihres eigenen Energieverbrauches produzieren, und Scheer erhält in diesen Tagen für seine auch international wirksame Unbeirrbarkeit den ersten Welt-Solarpreis.

Von seiner politischen Katalysatorrolle für die Sonnenenergie, die sich ja auch durch die Risikobereitschaft engagierter Tüftler und Unternehmer durchgesetzt hat, kann man auch für die Verkehrsalternativen lernen: Der „Sonnenpapst“ hat sich nie in die Fünf-Prozent-Nische abdrängen lassen, sondern hundert gefordert. Und er hat dabei – realistisch und doch kühn – die Solarenergie stets als Antwort auf die richtigen Fragen und mit der Perspektive einer dezentral- demokratischen Gesellschaft verbunden beschrieben. Denn nur politische Zukunftsentwürfe beflügeln die Forschung – und nicht Leerformeln wie „Visionen“, gar Klaus Kinkels „deutsche Wagniskultur“ oder Jost Stollmanns „Leidenschaft“, bei der man wenigstens noch gespannt sein darf, wofür sie in ihm glüht.

Ökologische Technik libidinös besetzen und voluminös durchsetzen: das haben leider sogar die Grünen verlernt. Warum verbinden sie ihre Forderungen nach Benzin- und Kerosinsteuererhöhungen nicht mehr mutig und lautstark mit praktischen Träumen? Von den Entspannungsgewinnen in verbesserten Nahverkehrssystemen. Vom Warentransport ohne zerstörerische Kohlendioxidschwaden. Oder eben von Zeppelinen, die gewiß nicht alle Probleme lösen können, aber doch ein paar, und bei denen schon das Unterwegssein – in niedriger Flughöhe über Stadtlandschaften, Alpen und Inseln – zu einem in seiner Gemächlichkeit sinnlichen Reiseerlebnis werden könnte. Diese „Märchenerscheinung“, schwärmte meines Vaters Idol, Luftschiffkapitän Hugo Eckener, „die mit der silbrigen Himmelsbläue in eins zu verschmelzen schien, wenn sie in der Ferne, von der Sonne bestrahlt, auftauchte, schien wie aus einer besseren Welt zu kommen...“ Vielleicht nicht nur damals.

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