: Schilys letzter Schlag vor der Wahl
Groß angelegte Polizeiaktion gegen Islamisten in fünf Bundesländern. Bundesinnenminister verbietet weitere mutmaßliche Teilorganisationen des „Kalifatsstaats“ und weist Kritik seines Rivalen Beckstein zurück. Zeitpunkt sei nicht absichtlich gewählt
von PASCAL BEUCKER
Pünktlich zum Wahlkampfendspurt hat Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) zum Schlag gegen Überbleibsel des verbotenen „Kalifatsstaats“ ausgeholt. Schily löste gestern 16 mutmaßliche Teilorganisationen des verbotenen radikal-islamistischen Verbandes auf und ließ deren Vereinsvermögen beschlagnahmen. In einer groß angelegten Polizeiaktion wurden dabei am Morgen 108 Vereinslokale und Privatwohnungen in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz durchsucht.
Schily sprach von einem erfolgreichen Einsatz, bei dem es keine Festnahmen oder Zwischenfälle gegeben habe: „Wir unterstreichen damit die Entschlossenheit der wehrhaften Demokratie.“ Kritik am gewählten Zeitpunkt für die Aktion wies er ebenso zurück wie Äußerungen seines bayrischen Amtskollegen Günther Beckstein (CSU), er habe zu spät gehandelt und müsse weitere Organisationen verbieten. Die Polizei habe zum frühestmöglichen Zeitpunkt zugegriffen, so Schily. Der Termin sei nicht absichtlich unmittelbar vor die Wahl gelegt worden.
Von dem Verbot betroffen sind unter anderem die „Islamischen Vereine“ in Hanau, Wiesbaden, Heidenheim und Schorndorf, die „Islamischen Gemeinden“ in Essen und Würselen, das „Islamische Zentrum Esslingen“, der Duisburger „Anatolische Kulturverein“ und die Osnabrücker „HAKK-Moschee“. Sie standen schon seit Dezember 2001 in Verdacht, Untergliederungen der verbotenen Vereinigung des selbst ernannten „Kalifen von Köln“, Metin Kaplan, zu sein. Laut Innenministerium habe jedoch die Beweislage noch nicht ausgereicht. Deswegen seien nur insgesamt 23 vereinsrechtliche Ermittlungsverfahren eingeleitet worden, von denen nun 16 nach einer „zeitaufwändigen Auswertung“ der seinerzeit sichergestellten Beweismittel zum Verbot geführt hätten. Gegen zwei Organisationen in Hessen und NRW wird weiter ermittelt.
Zusammen mit 19 Vorfeldorganisationen war der „Kalifatsstaat“ im vergangenen Jahr verboten worden, weil er sich in „aggressiv-kämpferischer Weise gegen die verfassungsmäßige Ordnung“ richte und die „innere Sicherheit sowie erhebliche – insbesondere außenpolitische – Belange der Bundesrepublik Deutschland“ gefährde. Um gegen den Verband, der seine Zentrale in Köln hatte, vorgehen zu können, war kurz zuvor das des Religionsprivilegs aus dem Vereinsgesetz gestrichen worden.
Anführer Metin Kaplan verbüßt seit 1999 eine vierjährige Jahre Haftstrafe wegen Aufrufs zur Ermordung eines „Gegenkalifen“. Eine vorzeitige Haftentlassung hatte der Bundesgerichtshof im Juli abgelehnt. Über eine mögliche Auslieferung an die Türkei konnten sich die deutsche und die türkische Regierung bisher nicht verständigen. „Ich werde alles daran setzen, dass dies geschieht“, sagte Schily.
Öffentlich in Erscheinung getreten sind die rund 1.100 Kaplan-Anhänger seit dem Verbot vom Dezember nicht mehr. Dass sie allerdings weiter im Verborgenen aktiv sind, wissen die Sicherheitsbehörden seit langem. So treffen sich beispielsweise Kölner „Kaplancis“ regelmäßig zu gemeinsamen Gebetsveranstaltungen. Der Generalbundesanwalt ermittelt bereits seit April wegen des Erscheinens von Beklenen Asr-i Saadet, einer Nachfolgepublikation der Vereinszeitung Ümmet-i Muhammed.
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