Schiesser ist pleite: Jetzt gehts mir an die Wäsche!
Ein Penis-Monolog anlässlich der Insolvenz des Trikotagenherstellers Schiesser.
Ich weiß sehr wohl, dass man sich heutzutage eher für Feuchtgebiete als für Schwellkörper interessiert. Trotzdem bitte ich Sie, mir für kurze Zeit Ihr Gehör zu schenken, denn die Lage ist ernst. Mag auch mancher in Zeiten der Wirtschaftskrise befürchten, dass ihm alsbald das letzte Hemd genommen wird, die Aussicht, dass man mich nun auch noch meiner geliebten Schiesser-Unterhose für immer entkleidet, ist mir schlicht unerträglich.
Insolvenz. Diese Versager. Und das nach all den Jahren. 1875 wurde die Firma von Jacques Schiesser in Radolfzell am Bodensee gegründet. Dieses Unternehmen hat die Unterhose im Prinzip erfunden, und das in einer Zeit, in der Calvin Klein noch nicht mal als Quark im Schaufenster lag. Kaiserreich ("Abhärtungswäsche"), Erster Weltkrieg ("Reichswehr"-Produktion), Weimar ("Feinripp"), Nationalsozialismus ("Mako-Porös"), Zweiter Weltkrieg ("Wehrmacht"-Produktion), Wirtschaftswunder ("Doppelripp"). Ein einziges Durcheinander, aber eines war doch immer sicher: der Griff durch den Schlitz führte zum Ziel, mag er auch damals noch häufig verschämt gewesen sein. Hygienisch, sauber, praktisch, gut - es dauerte noch eine Weile, bis aus dem lebensreformatorischen Hygieneartikel "Unterhose" ein sexy Accessoire wurde.
Die Schiesser-Unterhosen mussten in Zeiten der sexuellen Revolution einiges mitmachen. Die Doppelripp-Hose mit Eingriffschlitz wurde als "Liebestöter" diffamiert, und unsereins musste, zunächst verschämt, die sichere Umhüllung verlassen. Man(n) wurde zum Objekt - was auch ganz angenehm sein kann, klar.
Nur die Firma Schiesser ging nicht mit der Zeit beziehungsweise verstand nicht, dass Beharren manchmal mehr ist, als sich hektisch zu verzetteln. Die Umsätze schrumpften in den letzten Jahren kontinuierlich, während Kollege Calvin Klein die ganze Welt mit Höschen überschwemmte, die sich von der schlichten Schiesser-Machart nicht wirklich unterschieden. "Retro-Shorts" traten ihren Siegeszug ab den 80ern an - die inzwischen schweizerische Firma Schiesser fand erst im Jahr 2005 den Mut, neue Wege zu gehen, zum Beispiel, indem sie den hippen Designer Kostas Murkudis einkaufte. Spätestens seit diesem Zeitpunkt galten Schiesser-Unterhosen auch bei Fashion-Victims wieder als tragbar. Und aus eigener Erfahrung weiß ich sehr gut, dass auch das weibliche Geschlecht die klassische Schiesser-Optik zu schätzen weiß - übrigens auch die legendären, eng anliegenden Unterhemden. Manche Männer wiederum finden es heiß, wenn Frauen Männerwäsche tragen. Und wenn ich mal ganz ehrlich sein darf: Ein Eingriffschlitz ist total praktisch. Und lange Unterhosen im Winter sind einfach angenehm warm.
Was wird nun auf mich zukommen? Stringtangas? Schwitzige Microfasershorts, die mich einklemmen zum Zwecke der prahlerischen Selbstdarstellung? Schlüpper, auf deren Bund "Australischer Arsch" oder "Bruno Banani" steht? Oder womöglich das Schlimmste: Boxer-Shorts! Ein Dasein als Glocken-Klöppel. Das ist doch kein Leben.
Wie es aussieht, verliere ich nun mein geliebtes Heim. Wenn es bei der Insolvenz bleibt, hilft nur eines: Angela Merkel muss einen Schutzschirm über mich spannen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren