Schauspielerin Jane Birkin über Komplexe: „Ich zeigte mich gern nackt“
Früher überspielte sie mit auffälliger Kleidung ihre Komplexe, sagt Jane Birkin. Aber auch heute litten viele Frauen unter Selbstzweifeln.
taz: Jane Birkin, in Frankreich bleiben wegen der Pandemie nun auch die Geschäfte geschlossen, genau wie die Kinos und Konzerthallen. Wie gehen Sie mit dieser Situation um?
Jane Birkin: Ich habe Glück, weil ich gerade Promotion für mein Album „Oh! Pardon tu dormais …“ mache und von morgens bis abends zoome. Jeden Tag spreche ich mit Radio oder Fernsehjournalist:innen. Insofern bin ich in einer komfortableren Situation als diejenigen, die ihre Filmprojekte zurückstellen müssen. Der erste Lockdown war allerdings eine große Herausforderung für mich. Ich war fast nur daheim und empfing keinen Besuch. Einzig für einen Spaziergang mit meiner Bulldogge Dolly habe ich das Haus verlassen.
Mit Serge Gainsbourg lebten Sie anders, Sie gingen dauernd aus. Die Sängerin Lio hat Ihren Expartner kürzlich als „Weinstein der Songs“ bezeichnet.
Diese Frau hat zwei Dinge verwechselt: Serges Image und die Realität. Sicher neigte er dazu, bei seinen Fernsehauftritten zu provozieren. Er schrieb skandalöse Songs wie „Je t’aime … moi non plus“ und machte mit mir gewagte Fotos. Doch er hat weder mich noch andere zu irgendetwas gezwungen. Ich ließ mich gerne nackt fotografieren.
Die britische Musikerin und Schauspielerin wurde am 14. Dezember 1946 als Tochter der Schauspielerin Julie Campbell und des Soldaten David Birkin in London geboren. Sie war mit dem Komponisten John Barry verheiratet und mit dem Musiker Serge Gainsbourg und dem Regisseur Jacques Doillon liiert. Aus diesen Beziehungen stammen ihre Töchter Kate Barry – sie starb 2013 –, Charlotte Gainsbourg und Lou Doillon. Ihren Durchbruch hatte Birkin 1966 in dem Antonioni-Film „Blow Up“. Als Sängerin wurde sie 1969 mit dem Serge-Gainsbourg-Duett „Je t'aime … moi non plus“ berühmt. Mit Gainsbourg arbeitete sie während zwölf Jahren gemeinsam an Musik. Ihr aktuelles Album „Oh! Pardon tu dormais …“ ist gerade bei Barclay/Universal erschienen.
Wie stehen Sie zu dem Duett „Lemon Incest“, das Serge Gainsbourg mit Ihrer Tochter Charlotte aufnahm?
Serge war ganz bestimmt kein Pädophiler. Er hat Charlotte abgöttisch geliebt und sie mit diesem Lied auf ein Podest gestellt – ohne unzüchtige Hintergedanken. Ich habe Serge stets als einen tadellosen Mann und Vater erlebt. Im Alltag entsprach er überhaupt nicht seinem Krawallmacher-Ruf. Er war eigentlich schüchtern. Den hemmungslosen Typen spielte er bloß in der Öffentlichkeit, um mehr Aufmerksamkeit zu bekommen.
Haben Sie sich jemals gefragt, wie Ihr Leben wohl verlaufen wäre, wenn Sie Serge Gainsbourg nie begegnet wären?
Rückblickend war es ein Geschenk, dass mich mein Ehemann John Barry verlassen hat. Sonst wäre ich gar nicht aus London rausgekommen. Vermutlich hätte ich mich auf ewig damit begnügt, für John Suppe zu kochen und ihm ein Bad einzulassen. Denn ich wollte ihm lediglich eine gute Ehefrau sein. Bis er mit einer engen Freundin von mir nach Los Angeles ging. Allein aufgrund der Entfernung wusste ich, dass unsere Trennung endgültig war.
Was machten Sie dann?
Ich zog zunächst zurück zu meinen Eltern. Das konnte natürlich keine Dauerlösung sein, ich musste Geld für mich und meine Tochter Kate verdienen. Also fuhr ich zu einem Casting nach Frankreich und bekam den Job. Bei den Dreharbeiten für den Film „Slogan“ lernte ich schließlich Serge kennen. Er fand mich schön. Das tat mir nach dieser furchtbaren Ehe mit John gut. Plötzlich war ich wieder glücklich. Aus dieser Erfahrung habe ich gelernt, dass sich aus einer schlimmen Situation durchaus etwas völlig Unerwartetes entwickeln kann.
Hätten Sie Ihre Karriere nicht auch in England vorantreiben können?
Nein. Weil meine Mutter in meiner Heimat eine angesehene Schauspielerin war, hätte ich mich nicht getraut, ihr nachzueifern. Hinzu kommt, dass mein Vater aus einer bürgerlichen Familie stammte. Von ihr fühlte ich mich beobachtet, das hemmte mich. Für mich war es ein Befreiungsschlag, nach Frankreich zu ziehen. Dort konnte ich alles ausprobieren und Spaß haben.
Dennoch sagten Sie oft: „Serge Gainsbourg war das Genie, ich sah einfach gut aus.“
Für die Fernsehsender war ich diese wunderschöne Puppe, die Serge Gainsbourgs Songs sang. Es dauerte Jahre, bis ich mich aus dieser Rolle befreit hatte. Mit fast 40 ließ ich mir die Haare abschneiden, ich verzichtete auf Make-up und gab mein erstes Konzert im Pariser Bataclan. Parallel dazu drehte ich mit Jacques Doillon den Film „Kleines Luder“. Er wollte mich ungeschminkt vor der Kamera sehen. Auch für ihn wollte ich perfekt sein. Ich brauchte wirklich lange, um mich von der Erwartungen anderer zu lösen und ganz ich selbst zu sein.
Tun sich junge Frauen heute mit der Selbstverwirklichung leichter?
Selbstzweifel sind immer noch weit verbreitet. Genau wie in den Sechzigern. Damals hatten wir stark geschminkte Augen und trugen auffällige Kleidung, um unsere Komplexe zu überspielen.
Aber inzwischen fordern Frauen selbstverständlich Gleichberechtigung ein.
Sicher hat sich einiges getan. In meiner Generation heiratete man mit 17, 18 und kriegte ein Baby. Heute lassen sich viele Frauen mit der Familienplanung Zeit. Sie werden vielleicht mit 40 schwanger, vorher kümmern sie sich um ihre Karriere. Das liegt gewiss daran, dass viele Scheidungskinder sind und sich finanziell nicht von einem Mann abhängig machen wollen.
Was hat #MeToo für Frauen verändert?
Sie lassen sich nichts mehr gefallen. In meiner Jugend war es normal, dass ein Mann einer Frau an den Po fasste. Nun wehren sich Frauen dagegen, zum Sexobjekt degradiert zu werden. Manchmal denke ich allerdings, sie sollten einiges etwas leichter nehmen. Wenn mir früher in Italien ein Mann auf der Straße hinterher gepfiffen hat, fand ich das schmeichelhaft.
Trotzdem scheinen Sie sich erst jetzt mit Ihrem neuen Album endgültig von Serge Gainsbourg emanzipiert zu haben.
Meine Songs sind auf jeden Fall glaubwürdig. Darum war es mir wichtig, in „Cigarettes“ und „Ces murs épais“ über den Verlust meiner Tochter Kate zu sprechen. Ihr Tod war für mich die größte Tragödie meines Lebens.
Warum basiert Ihr neues Album auf Ihrem 20 Jahre alten Bühnenstück „Oh! Pardon tu dormais … “?
Der Musiker Etienne Daho sah mehrere Aufführungen und wollte meine Texte vertonen. Dabei blieb es aber nicht. Es kamen auch Tagebuchauszüge oder Themen, die mich intensiv beschäftigten, dazu.
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